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# taz.de -- Halbzeit der UN Agenda 2030: „Geld allein würde nicht helfen“
> Um die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen, braucht es
> strukturelle Veränderungen, sagt Imme Scholz. Sie ist Ko-Autorin des
> Statusberichts.
Bild: Die CO2-Emmission in Deutschland sinkt nicht schnell genug, um UN Nachhal…
taz: Wie steht es um die Welt, Frau Scholz?
Imme Scholz: Wenn man die Indikatoren für die [1][17 Ziele für ein gutes
Leben für alle und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen] global
zusammenrechnet, dann ist das Bild insgesamt absolut nicht zufrieden
stellend. Nur 15 Prozent der Indikatoren sind auf Kurs und und können bis
2030 umgesetzt werden. Es wird sehr schwer, die Ziele selbst bis 2050 zu
erreichen.
Sie haben den [2][Halbzeitbericht] zu den 17 nachhaltigen
Entwicklungszielen der Agenda 2030 mitverfasst. Was sind denn die großen
Baustellen und was läuft gut?
Insgesamt gab es mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung, mehr Menschen
haben Zugang zu mobilen Telefonen und Internet. Und mehr Menschen haben ein
Dach über dem Kopf. Rückschritte gab es bei der Bekämpfung der extremen
Armut und der Kindersterblichkeit, was vor allem mit der Corona-Pandemie
zusammenhängt, sowie beim Impfschutz. Global schaffen es weniger Kinder als
zuvor, zumindest die Grundschule abzuschließen. Es gibt Rückschritte beim
Artenschutz, und die CO2-Emissionen nehmen weltweit zu. Eine Zahl, die ich
besonders anschaulich finde: Die Subventionen für fossile Energieträger
haben sich global verdoppelt.
Häufig geht es in der Debatte um die Erreichung der Ziele um Investitionen
und Entwicklungsfinanzierung. In Ihrem Bericht fordern Sie
sozialökologische Transformationsprozesse. Was heißt das?
Es gibt eine Finanzierungslücke. Aber das Geld allein würde auch nicht
helfen. Viele der Ziele erfordern strukturelle Veränderungen. Es geht um
die Umstellung auf Klimaneutralität in allen Bereichen und darum, ein
Wirtschaftswachstum zu erzielen, das positive Umverteilungseffekte hat, die
Armut verringert und den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme finanziert.
Man muss notwendige Veränderungen so in Gang bringen, dass sie auch einen
Regierungswechsel überleben. Ein wichtiger Punkt ist auch die
Geschlechtergerechtigkeit. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Stärkung von
Frauen sich immer positiv auf mehrere Ziele auswirkt.
Dennoch werden globale Systemfragen bei der Agenda bislang hintangestellt,
etwa wie das internationale Finanzsystem verändert werden müsste oder ein
ungleiches exportorientiertes globales Handelssystem.
Im Bericht sprechen wir uns auch für einen Schuldenerlass für besonders
verschuldete Länder und ein funktionierendes
Schuldenumstrukturierungssystem aus. Das ist nicht nur eine Aufgabe der
Industrieländer, sondern auch China muss unbedingt mitmachen. Außerdem
unterstützen wir eine globale CO2-Steuer, deren Erträge auch an
Entwicklungsländer ausgezahlt würden – [3][wie gerade beim afrikanischen
Klimagipfel gefordert]. Wir hoffen, dass diese konkreten Ideen zum Umbau
der globalen Finanzarchitektur mit in die gemeinsame Abschlusserklärung
kommen.
Was erhoffen Sie sich noch vom Nachhaltigkeitsgipfel in New York?
Die Umsetzung der Ziele muss beschleunigt werden. Dazu ist unser Vorschlag,
dass schon zum nächsten Jahr alle Länder Aktionspläne vorlegen, die sich
auf die Ziele beziehen, bei denen sie stagnieren oder sich in eine negative
Richtung entwickeln. In vielen afrikanischen Ländern werden das fast alle
Ziele sein. Für Deutschland wäre das in Bezug auf internationale
Zusammenarbeit etwa, dass die Verpflichtungen zu Entwicklungs- und
Klimafinanzierung eingehalten werden. Die mittelfristige Finanzplanung
garantiert das derzeit nicht. Deutschland müsste sich natürlich auch am
Schuldenerlass und der Schuldenumstrukturierung beteiligen.
Und wie steht Deutschland bei der nationalen Umsetzung der 17
Entwicklungsziele da?
Die deutsche Umsetzung ist in der Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt. Alle
zwei Jahre gibt es einen Bericht vom Statistischen Bundesamt dazu. Einige
Ziele sind wirklich nicht sehr ambitioniert. Zum Beispiel haben wir das
Ziel der Vollbeschäftigung erreicht, das sagt aber nichts über die Qualität
der Beschäftigungsverhältnisse aus. Zudem haben wir jetzt einen
Fachkräftemangel. Wir hatten sehr lange kaum soziale Ziele in der
Nachhaltigkeitsstrategie, das hat sich in den letzten Jahren geändert, der
Gini-Koeffizient, also die Einkommensverteilung, wurde etwa hinzugefügt.
Das Ziel, besser als der EU-Durchschnitt zu sein, wurde 2020 nicht
erreicht. In der Nachhaltigkeitsstrategie gibt es aber auch aussagekräftige
konkrete Ziele zum Biodiversitätsschutz, zur Verringerung der
CO2-Emissionen.
Hat Deutschland die erreicht?
Bei der Biodiversität sieht es absolut nicht gut aus, da werden wir das
Ziel deutlich verfehlen. Die CO2-Emissionen sinken zwar, aber nicht schnell
genug, sodass wir auch hier das Ziel, sie bis 2030 um 65 Prozent zu senken,
deutlich verfehlen werden. Zwei Bereiche stechen besonders hervor: Im
Gesundheitsbereich sinkt die Sterblichkeitsrate an sogenannten
Zivilisationskrankheiten seit Jahren nicht mehr und ist noch zu hoch, und
die Adipositas-Rate bei Erwachsenen steigt seit Jahren stetig an. Im
Bereich Bildung ist ein Ziel, dass der Anteil der jungen Menschen ohne
Abitur oder abgeschlossene Berufsausbildung maximal 9,5 Prozent betragen
sollte. Das ist viel zu hoch! 2014 war das Ziel erreicht, nun liegen wir
bei 12 Prozent.
Hat Deutschland auch Ziele zu sogenannten Spill-over-Effekten, also die
negativen Auswirkungen, unseres Wirtschaftens oder Investitionen auf andere
Länder oder das Klima?
Das hat lange gefehlt, inzwischen deckt der Rohstoffindikator aber auch die
Importe ab, es gibt ein Ziel zu nachhaltigen Lieferketten, zur
internationalen Klimafinanzierung und zum internationalen Waldschutz und zu
ausländischen Studierenden aus Entwicklungsländern. Das könnte sowohl bei
uns als auch international noch ausgebaut werden, und es ist auch eine
Empfehlung in unserem Bericht, solche Ziele mit in die Aktionspläne
aufzunehmen.
19 Sep 2023
## LINKS
[1] /Nachhaltigkeitsziele-der-UN/!5957909
[2] https://sdgs.un.org/sites/default/files/2023-09/FINAL%20GSDR%202023-Digital…
[3] /Klimagipfel-in-Afrika/!5955603
## AUTOREN
Leila van Rinsum
## TAGS
Entwicklungspolitik
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