| # taz.de -- Vaterschaft vor dem Verfassungsgericht: Im Patchworkland mit zwei V… | |
| > Das Bundesverfassungsgericht könnte eine Liberalisierung des | |
| > Familienrechts beschließen. Zwei rechtliche Väter könnten neben der | |
| > Mutter stehen. | |
| Bild: Ist es der biologische Vater, oder der rechtliche? | |
| Karlsruhe taz | Ein Junge aus Sachsen-Anhalt könnte bald drei Elternteile | |
| haben: seine Mutter, seinen biologischen Vater und den neuen Freund der | |
| Mutter. In der Praxis gibt es solche Patchwork-Verhältnisse schon lange. | |
| Rechtlich sind drei gleichberechtigte Elternteile bisher ausgeschlossen. | |
| Doch das [1][Bundesverfassungsgericht] denkt über eine Anpassung des Rechts | |
| an moderne Verhältnisse nach. | |
| An diesem Dienstag wurde der Fall aus Sachsen-Anhalt vor dem | |
| Bundesverfassungsgericht verhandelt. Eine Frau hat mit ihrem Freund ein | |
| geplantes Kind gezeugt. Im April 2020 kam es zur Welt. Doch schon im Juni | |
| trennte sie sich vom biologischen Vater des Kindes. Dieser wollte zwar die | |
| Vaterschaft anerkennen, doch die Mutter ließ den Termin auf dem Standesamt | |
| platzen. Sie hatte einen neuen Freund, der alsbald bei ihr einzog und nun | |
| seinerseits die Vaterschaft des Säuglings anerkannte. | |
| Doch der biologische Vater kämpfte um seinen Status und focht die | |
| Vaterschaft des neuen Partners der Mutter an. Ein Abstammungsgutachten | |
| belegte zwar, dass er eindeutig der biologische Vater ist. Dennoch lehnte | |
| das Oberlandesgericht Naumburg die Anfechtung ab. Laut Gesetz kann ein | |
| biologischer Vater die Vaterschaft des rechtlichen Vaters nicht anfechten, | |
| wenn dieser eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hat. | |
| Der biologische Vater, inzwischen 44 Jahre alt, gab nicht auf und erhob | |
| Verfassungsbeschwerde, sowohl gegen das Naumburger Urteil als auch gegen | |
| die gesetzliche Grundlage. Der Fall hat also grundsätzliche Bedeutung. | |
| ## Mehr Flexibilität für die Gerichte | |
| Seine Anwältin Franziska Köpke sagte: „Das Elternrecht meines Mandanten ist | |
| verletzt, weil er keine Chance hat, rechtlicher Vater zu werden“. Die | |
| rechtliche Vaterschaft wolle er nutzen, um ein gemeinsames Sorgerecht mit | |
| der Mutter zu erlangen. Derzeit habe er nur ein gelegentliches Umgangsrecht | |
| und auch das habe er sich gerichtlich erkämpfen müssen. | |
| Die Vertreterin der Bundesregierung, Justizstaatssekretärin Angelika | |
| Schlunck, ließ Sympathien für die Verfassungsbeschwerde erkennen. „Eine | |
| verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes ist möglich“, sagte Schlunck, | |
| „die Gerichte brauchen [2][mehr Flexibilität bei der Feststellung der | |
| Vaterschaft.“] | |
| Die Mutter will jedoch verhindern, dass ihr Ex-Freund auch zum rechtlichen | |
| Vater des inzwischen dreijährigen Jungen wird. Ihr Anwalt Dirk Siegfried | |
| sagte in Karlsruhe, der biologische Vater wolle sich nur „konfrontativ in | |
| die Beziehung von Mutter und rechtlichem Vater drängen“. | |
| Unterstützt wurde sie vom Deutschen Juristinnenbund. „Wenn der biologische | |
| Vater am Sorgerecht beteiligt wird, ist das ein Einfallstor für viele | |
| weitere Konflikte, zum Beispiel um den Wohnort oder die Schulwahl“, warnte | |
| Vizepräsidentin Lucy Chebout. | |
| ## Frühere Rechtsprechung korrigieren | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat nun drei Möglichkeiten. Wenn es die | |
| Verfassungsbeschwerde des biologischen Vaters ablehnt, bleibt der neue | |
| Freund rechtlicher Vater des Jungen. Wenn es der Verfassungsbeschwerde | |
| stattgibt, muss das Gericht in Naumburg neu entscheiden. Es könnte dann zum | |
| Beispiel darauf abstellen, dass der biologische Vater bereits eine | |
| sozial-familiäre Beziehung zum Kind hatte, als er die Vaterschaft | |
| anerkennen wollte und dann ausgebremst wurde. | |
| Das Gericht könnte aber auch einen ganz gewagten Schritt gehen und den Weg | |
| zur rechtlichen Vaterschaft beider Männer ebnen. Dazu müssten die | |
| Karlsruher Richter:innen aber erst einmal ihre eigene Rechtsprechung | |
| korrigieren. Noch 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass | |
| ein Kind maximal zwei Elternteile haben soll, um Komplikationen zu | |
| vermeiden. | |
| ## Kaum Forschung zum Kindeswohl | |
| Darüber wollen die Richter:innen nun aber ausdrücklich noch einmal | |
| nachdenken, weshalb sie zur Verhandlung viele psychologische und | |
| familienrechtliche Sachverständige eingeladen hatten. Diese konnten | |
| allerdings nur bedingt weiterhelfen, es gebe kaum Forschung, wie sich | |
| Familien mit drei rechtlichen Elternteilen aufs Kindeswohl auswirken. | |
| Allerdings habe es [3][in ähnlichen Konstellationen keine zusätzlichen | |
| Konflikte] gegeben, etwa bei Stiefkindfamilien, die Kontakt zum | |
| ursprünglichen Vater halten oder wenn bei in-vitro gezeugten Kindern der | |
| Samenspender ins Familienleben integriert wird. | |
| Das mit Spannung erwartete Urteil wird in einigen Monaten verkündet. | |
| 26 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bundesverfassungsgericht/!t5009583 | |
| [2] /Ampelkoalition-reformiert-Familienrecht/!5950425 | |
| [3] /Haeusliche-Gewalt-beim-Sorgerecht/!5947126 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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