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# taz.de -- Sanktionen gegen Aserbaidschan: Glotzt nicht so erleichtert!
> Alle Argumente, sich aus dem Konflikt um Bergkarabach herauszuhalten,
> erweisen sich als bequem und ahistorisch. Deutschland muss endlich
> handeln.
Bild: Ein Mitglied der EU-Beobachtermission blickt auf den Latschin-Korridor im…
Halten wir es schlicht. Das ist ein Text für all jene, die sich nicht dafür
interessieren möchten, [1][was gerade in Bergkarabach und Armenien
geschieht]; ein Text für die Menschen, die vielleicht sogar froh sind, dass
sich dort gerade ein Problem erledigt, wenigstens [2][einer dieser
Konflikte] endet, die „uns“ hier in letzter Zeit beschäftigen. Es ist auch
ein Text für die Menschen, die finden, dass Armenier:innen verdient
hätten, was gerade geschieht, weil Bergkarabach laut Völkerrecht zu
Aserbaidschan gehört, weil Armenien mit Russland verbündet ist und seine
Einwohner allesamt putinfreundlich seien. Und zu guter Letzt für jene, die
finden, es sei das gleiche, wenn die Ukraine die Krim zurückerobern wolle
und Aserbaidschan Bergkarabach und man müsse als „proukrainische“ oder
zumindest „antirussländische“ Person deshalb automatisch Aserbaidschan
unterstützen.
Es hat sich – wahrscheinlich auch in einem Wunsch, die Kompliziertheiten
der Welt für sich zu ordnen – in Deutschland eine Erzählung durchgesetzt
laut der ein Verweis aufs Völkerrecht alles klären soll: Kosovo, Krim,
Karabach – alles ein und dasselbe, aber das ist apolitisch und ignorant.
Also ja, völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan. Es spielt
jedoch eine Rolle, wer diesen Anspruch auf welche Art und Weise durchsetzen
will. Aserbaidschan ist eine mit Erdöl und Erdgas reich gewordene Diktatur.
Es gibt ein Parlament, aber die Dynastie des Präsidenten Ilham Alijew
regiert das Land. Diese Machthaber und ihre Gefolgsleute hetzten in den
vergangenen Monaten und Jahren systematisch rassistisch gegen
Armenier:innen, nannten sie „Ungeziefer“, redeten von Auslöschung und
Reinigung des Landes.
Und beim Sprechen blieb und bleibt es nicht. [3][Während des
Karabach-Kriegs von 2020], den Aserbaidschan gewann, und später
vergewaltigten und folterten aserbaidschanische Soldaten, [4][es gibt viele
Videos davon,] zum Teil drehten die Soldaten sie gleich selbst. Solche
Videos tauchen gerade wieder auf. Wenn man also schon Ukraine-Vergleiche
ziehen will, sollte man die Ähnlichkeiten im genozidalen Reden und Handeln
zwischen den beiden Fossilautokratien Russland und Aserbaidschan wenigstens
bemerken. Es gibt Gründe dafür, warum Zehntausende aus Karabach fliehen,
einem Gebiet, dass seit etwa 2.000 Jahren armenisch besiedelt ist. Oder war
– wenn es so weitergeht.
Armenien als „russlandfreundlich“ zu sehen, scheint auf den ersten Blick
Sinn zu ergeben. Armenien ist [5][Teil des von Russland dominierten
Verteidigungsbündnisses OVKS,] kauft Waffen von Russland, russländische
Soldaten sind im Land stationiert, und armenische Politiker:innen sind
beziehungsweise waren lange vorsichtig mit Kritik Richtung Moskau.
## Zwei mächtigere Feinde
Schon 2017 und 2018 habe ich auf Reisen im Land Politiker:innen,
Aktivist:innen und andere Menschen getroffen, die wussten, dass der
Verbündete Russland auch Waffen an Aserbaidschan verkaufte. Manche
verteidigten das als Russlands Recht, aber schon nach ein paar Nachfragen
sagten die meisten, dass Armenien einfach keine andere Wahl habe, als sich
an Russland anzulehnen. Armenien grenzt an zwei sehr viel mächtigere
Feinde. Aserbaidschan und die Türkei, beide miteinander verbündet, bedrohen
Armenien von zwei Seiten, Politiker:innen in beiden Autokratien reden
regelmäßig davon, Teile Armeniens zu erobern oder es gleich ganz
auszulöschen.
Russland wurde in Armenien lange Zeit als Schutzmacht angesehen, zu der es
keine Alternative gibt. Dass das falsch ist, steht spätestens fest, seit
Russland nicht verhindert hat, dass Aserbaidschan im Dezember 2022 [6][den
Latschin-Korridor blockiert] hat, die einzige Verbindungsstraße von
Karabach nach Armenien. Aserbaidschan hat Karabach erst ausgehungert und es
dann erobert, die russländischen „Friedenstruppen“ haben nichts dagegen
getan.
[7][Zu guter Letzt hat Deutschland gegenüber Armenien eine besondere
Verantwortung.] Als das Osmanische Reich 1915 und 1916 alles versuchte, um
seine armenische Minderheit mit Massakern und Todesmärschen auszulöschen,
wussten das Diplomaten und Offiziere des Deutschen Kaiserreichs, die im
Land waren. Die Führung in Berlin entschloss sich, das systematische Morden
an 300.000 bis 1,5 Millionen Armenier:innen zu ignorieren, viele
befürworteten den Genozid sogar.
Angesichts dieser Geschichte und heutigen aserbaidschanischen und
türkischen Drohungen gegen Armenien ist es irgendetwas zwischen fahrlässig,
geschmacklos bis Beihilfe zum Krieg wenn deutsche Politiker:innen
[8][vor allem in CDU/CSU] sich jahrelang und ohne nennenswerte Konsequenzen
von Aserbaidschan schmieren ließen (googeln Sie „Aserbaidschan-Connection“)
oder [9][die deutsche EU-Kommissionspräsidentin] Ursula [10][von der Leyen
Aserbaidschan im Juli 2022 als verlässlichen Partner bei der
Energieversorgung] bezeichnet hat.
So wie deutsche Gier, deutsche Korruption und deutsche
Wirtschaftsinteressen die Autokratie in [11][Russland stärker gemacht und
zum Krieg in der Ukraine beigetragen] haben, so geschah dies auch im Falle
der aserbaidschanischen Aggression gegen Armenien. Sich dafür zu
interessieren, was dort geschieht, wäre das Mindeste, was „wir“ tun könne…
die hier leben. Von denen, die Politik machen, wäre sehr viel mehr zu
erwarten: Sanktionen gegen Aserbaidschan.
27 Sep 2023
## LINKS
[1] /Krieg-in-Bergkarabach/!5961868
[2] /Eskalation-im-Kosovo/!5959661
[3] /Waffenstillstand-in-Berg-Karabach/!5717356
[4] /Paramilitaerisches-Training-in-Armenien/!5909212
[5] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5908329
[6] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5915297
[7] /Deutschland-und-Bergkarabach/!5955723
[8] /Geld-fuer-autokratisches-Regime/!5813480
[9] https://www.youtube.com/watch?v=X1igRQDJuzU
[10] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5961485
[11] /Deutschland-EU-und-Aserbaidschan/!5879182
## AUTOREN
Daniel Schulz
## TAGS
Schwerpunkt Bergkarabach
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