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# taz.de -- Konflikt um Bergkarabach: Zehntausende weiter auf der Flucht
> Knapp 30.000 Menschen sind bis Dienstagabend in Armenien angekommen. Die
> Fahrt dauert derzeit 20 Stunden und länger.
Bild: Armenier auf der Flucht aus Bergkarabach nahe der grenznahen armenischen …
Wien taz | Eine Woche nach Beginn des aserbaidschanischen Angriffs ist die
Lage in Bergkarabach weiterhin unübersichtlich. Seit Montag sind
Zehntausende Menschen auf der [1][Flucht nach Armenien]. Die Fahrtzeit aus
Bergkarabachs Hauptstadt Stepanakert in die armenische Stadt Goris nahe der
Grenze dauert mehr als 20 Stunden, vielfach sogar mehr als 30 Stunden.
Normalerweise ist die 90 Kilometer lange, serpentinenreiche Strecke in die
armenische Kleinstadt Goris in zwei Stunden machbar. Berichten zufolge
werden aber alle Autos bei der Ausreise von aserbaidschanischen Soldaten
kontrolliert, die gezielt nach Veteranen aus dem ersten Bergkarabachkrieg
Anfang der 1990er Jahre suchen sollen.
28.120 Vertriebene sind Dienstag 21 Uhr Lokalzeit bereits in Armenien
angekommen, hieß es von der dortigen Regierung. Die Bevölkerung
Bergkarabachs dürfte vor Beginn der Vertreibungen bei rund 100.000 gelegen
haben, genaue Zahlen gab es keine.
Zehntausende Menschen sind weiter auf der Flucht. Die meisten von ihnen
ahnen, dass sie wohl nie wieder in ihre alte Heimat zurückkönnen. Viele
weinten bei ihrer Ankunft in Goris und anderswo, wie Fotos und Videos
zeigen.
## Armenier sprechen von ethnischen Säuberungen
Von „ethnischen Säuberungen“ sprechen viele in Armenien, unter anderem auch
der armenische Premier Nikol Paschinjan. Die internationale
Staatengemeinschaft vermeidet diese Bezeichnung noch, wiewohl man die
Ereignisse kaum anders bezeichnen kann.
Über die Zahl der Todesopfer seit Beginn der aserbaidschanischen Aggression
gibt es seit mehreren Tagen keine Zahlen mehr. Bereits Mitte letzter Woche
meldeten die Behörden mehr als 200 Tote.
Mittlerweile liegt sie jedenfalls noch deutlich höher. Die Opferzahl durch
die verheerende [2][Explosion in Stepanakert] vom Montag stieg zuletzt auf
mindestens 60 Tote an. 290 Menschen sind mit Verbrennungen
unterschiedlichen Grads ins Krankenhaus gekommen, so die lokalen Behörden
in Bergkarabach.
Berichten zufolge hätten zum Zeitpunkt der Explosion viele Menschen für
Benzin angestanden, um für ihre bevorstehende Flucht aufzutanken.
Treibstoff war während der vorangegangenen neunmonatigen Blockade
Bergkarabachs durch Aserbaidschan zur Mangelware geworden. Wie es zur
Explosion kam, ist weiter unklar.
## Erst spät eintreffende Hilfe
Laut einem auf dem Portal X kursierenden [3][Video] mit dem Hilferuf einer
Ärztin von Montagnacht zum Trotz kam erst Stunden später Hilfe von außen.
Dies ist seit geraumer Zeit deutlich erschwert, da außer den Helfern des
Internationalen Roten Kreuzes weiter keine internationalen
Hilfsorganisationen – auch keine Journalisten – Zutritt nach Bergkarabach
erhalten.
Dienstagvormittag wurde schließlich eine kleine Zahl Verletzte per
Hubschrauber in Armeniens Hauptstadt Jerewan auf eine
Verbrennungs-Spezialambulanz gebracht.
Auch ein Konvoi armenischer Rettungsautos, eskortiert vom Roten Kreuz, hat
am Dienstag Bergkarabach erreicht. Vom aserbaidschanischen Präsidialberater
Hikmet Hajiyev kam die Information, dass mehrere Spitäler in Aserbaidschan
sich um armenische Patienten aus Stepanakert kümmern. Unabhängig lässt sich
dies derzeit nicht bestätigen.
Unterdessen hat die EU ein weiteres [4][Hilfspaket von 4,5 Millionen Euro]
– zusätzlich zu 500.000 Euro von letzter Woche – angekündigt. Das Geld so…
den Vertriebenen sowie der verbliebenen Zivilbevölkerung in Bergkarabach
zugutekommen.
## Hohe US-Vertreterin schon in Armenien
Am Dienstag kam auch Samantha Power, die Direktorin der US-Agentur für
Internationale Entwicklung (USAID), nach Armenien. Sie sprach ihre
Unterstützung für die Bewohner Bergkarabachs und Armeniens aus. Den Begriff
„ethnische Säuberung“ vermied auch sie, was viele armenische Beobachter
kritisierten. Aus der EU ist dieser Tage noch kein hochrangiger Vertreter
nach Armenien gereist.
Die Lokalregierung der „Republik Arzach“, wie sich die de-facto autonom
regierte Region Bergkarabach unter Verweis auf ihren historischen Namen
bezeichnet, kündigte in der Zwischenzeit Bustransporte für all jene an, die
nicht im eigenen Auto nach Armenien fliehen können. Diese Transporte sollen
in „den nächsten Tagen“ stattfinden.
Inwieweit die Lokalregierung noch über jegliche administrative und
politische Kompetenz verfügt, ist derzeit nicht bekannt. Seit Tagen
kontrollieren aserbaidschanische Bodentruppen die gesamte Region wie auch
die Hauptstadt.
27 Sep 2023
## LINKS
[1] /Nach-dem-Krieg-um-Bergkarabach/!5959760
[2] /Nach-der-Kapitulation-von-Bergkarabach/!5962811
[3] https://twitter.com/SiranushSargsy1/status/1706389973174223235
[4] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_23_4618
## AUTOREN
Florian Bayer
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