# taz.de -- Nach der Kapitulation von Bergkarabach: Schwere Explosion und mehre… | |
> Bei einer Explosion in Bergkarabachs Hauptstadt werden 200 Menschen | |
> verletzt, viele getötet. Die Ursache ist unklar. Zehntausende verlassen | |
> das Land. | |
Bild: Warum dieses Treibstoffdepot nahe Stepanakert in Flammen aufging, ist der… | |
Wien taz | Knapp eine Woche nach Beginn des [1][aserbaidschanischen | |
Angriffs] sind Zigtausende Menschen aus Bergkarabach vertrieben worden. | |
Fotos zeigen lange Autokolonnen über die bergigen Straßen. Mehr als 6.600 | |
Vertriebene waren Montagnachmittag bereits in Armenien angekommen, hieß es | |
aus der Hauptstadt Jerewan. Beobachter sprechen aber bereits von | |
Zehntausenden Vertriebenen. | |
Seit Monaten warnt Armenien vor „ethnischen Säuberungen“, nichts anderes | |
dürfte nun im vollends von Aserbaidschan kontrollierten Bergkarabach | |
eintreten. Dafür sprechen die Hunderten Toten, darunter auch mehrere | |
Kinder, seit Aserbaidschan auch mit Bodentruppen einmarschierte. Die | |
Streitkräfte Bergkarabachs hatten umgehend [2][kapituliert], das Mutterland | |
Armenien räumte von Vornherein – auch mangels militärischer Kapazitäten – | |
ein, sich herauszuhalten. | |
Montagabend kam es zu einer schweren Explosion in der Gebietshauptstadt | |
Stepanakert, offenbar von einem Treibstoffdepot. Dabei wurden nach Angaben | |
der dortigen Gesundheitsbehörden mindestens 20 Menschen getötet und 290 | |
verletzt. Die Ursachen der Explosion sind noch unklar. | |
Von einer großen Zahl an Verbrennungsopfern berichtet eine verzweifelte | |
Ärztin am Krankenhaus Stepanakert in einem [3][Video]: „Viele haben | |
Verbrennungen, uns fehlen die Ressourcen für die nötigen | |
Wiederbelebungsmaßnahmen. Wir müssen die Patienten in spezialisierte | |
Abteilungen in Jerewan bringen.“ Zu solchen Evakuierungen dürfte es aber | |
nicht gekommen sein, da weiterhin weder Hilfsorganisationen noch | |
Journalisten in das aserbaidschanisch kontrolliere Bergkarabach einreisen | |
dürfen. | |
## Völliger Bruch zwischen Armenien und Russland | |
Am Montag traf der türkische Präsident [4][Recep Tayyip Erdoğan] seinen | |
aserbaidschanischen Verbündeten und Amtskollegen Ilham Alijew, symbolisch | |
bedeutsam in Nachitschewan. Alijew fordert schon lang eine Anbindung dieser | |
aserbaidschanischen Exklave an das Mutterland. Einiges spricht dafür, etwa | |
die derzeitigen Mächteverhältnisse, die Passivität Russlands und die | |
schwache bis fehlende westliche Reaktion, dass Aserbaidschan den | |
Verbindungs-Korridor militärisch einnimmt. | |
Die armenische Armee hätte dem hochgerüsteten Aserbaidschan kaum etwas | |
entgegenzusetzen. An seiner schmalsten Stelle ist der südöstliche Zipfel | |
Armeniens kaum breiter als 20 Kilometer. Ein armenisches Alptraumszenario | |
wäre, wenn Alijew den äußersten Südosten des Landes vom Rest Armeniens | |
abschneidet – oder gleich die gesamte Region unter seine Kontrolle bringt. | |
Dies könnte schneller gehen als vielen lieb ist. „Leider haben die | |
Sowjetautoritäten das westliche Sangesur (die heutige armenische Provinz | |
Syunik, Anm.) von Aserbaidschan gelöst. Und damit die Landverbindung | |
gebrochen“, sagte Alijew zu Erdoğan. Erklärtes Ziel beider sei es, dies zu | |
ändern. | |
Unterdessen hat Moskau offenbar völlig mit Armenien gebrochen. Nachdem | |
Armeniens Premier [5][Nikol Paschinjan] die russischen Friedenstruppen, die | |
2020 zum Schutz der Karabach-Armenier in Bergkarabach abgestellt wurden, | |
offen kritisiert hatte, folgte am Montag die Retourkutsche. „Paschinjans | |
inakzeptable Attacken gegen Russland müssen zurückgewiesen werden. Sie sind | |
ein Versuch, sich von eigenem Versagen in Innen- und Außenpolitik zu | |
befreien“, so das russische Außenministerium. | |
Es folgt russische Kritik daran, dass sich Armenien von Russland wegbewegt | |
hätte – und nun mit den Folgen zu leben habe. Das ist eine Umkehrung der | |
Realität: Die russischen Friedenstruppen waren es, die der vorangegangenen | |
neunmonatigen [6][Blockade Bergkarabachs] tatenlos zugesehen haben. Auch | |
die aktuellen Angriffe Aserbaidschans ließen die Friedenstruppen geschehen | |
– mit höchster Wahrscheinlichkeit erhielt Alijew davor grünes Licht von | |
Moskau. | |
Das russische Heraushalten bei dieser Katastrophe war vielleicht erwartbar, | |
das europäische war es nicht. Auch im Angesicht von ethnischen Säuberungen | |
und Hunderten Toten erwägt die EU weiterhin nicht, Sanktionen zu verhängen, | |
allen voran die Gasimporte aus Aserbaidschan zu beenden. Alles deutet | |
darauf hin, dass Aserbaidschan weiterhin tun und lassen kann, was es will. | |
26 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Krieg-um-Bergkarabach-ausgebrochen/!5958247 | |
[2] /Feuerpause-in-Bergkarabach-vereinbart/!5961507 | |
[3] https://twitter.com/SiranushSargsy1/status/1706389973174223235 | |
[4] /Nach-der-Kapitulation-von-Bergkarabach/!5962010 | |
[5] /Nach-dem-Krieg-um-Bergkarabach/!5961583 | |
[6] /Konflikte-in-Bergkarabach/!5950507 | |
## AUTOREN | |
Florian Bayer | |
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