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# taz.de -- Ausstellung „#nichtmuedewerden“: Willkommen im Widerstand
> Ist Kunst noch Kunst, wenn sie politisch ist? Das Museumsquartier
> Osnabrück fordert in seiner Jubiläumsausstellung zum Mitdenken und
> Mithandeln auf.
Bild: Aufforderung, eine Haltung einzunehmen: Nasan Turs „Backpacks“ kann m…
Der Prolog ist wild. Ein Glasgang, durch jähe Textsplitter und
graffitihafte Cartoonskizzen zur Agitativzone verfremdet, führt uns vor
einen Klotz aus Beton, in den sich Finger gekrallt haben, Fäuste gebohrt,
Füße gerammt. Wut entlädt sich hier, Verzweiflung, Aufbegehren.
Dan Perjovschi fetzt in seinem „Osnabrück Drawing“ Dutzende harter,
bissiger, düsterer und sarkastischer Motive auf die Fensterflächen,
minimalistisch und spontan. Eine Predator-Drohne, die nach Zielen späht,
wird zum „New Angel“. „Populists have weird haircuts“, lesen wir da, und
„Art is permanent“, der Rest des dritten Wortes desillusionierend
verwischt. Bomben fallen, Totenköpfe starren uns an. Zwei Kampfpanzer sind
ineinander verkeilt, „Fathers“ steht daneben, ihre Ketten zermalmen Kinder.
Ist der Schreibstift eine stärkere Waffe als die Pistole, der
Künstlerpinsel mächtiger als das Sturmgewehr? Viel Hoffnung macht uns
Perjovschi nicht. Obwohl: Am Kopfende des Gangs, über dem zermarterten
Beton der „Resilience of the 20%“ von Cassils, einem Verweis auf die Gewalt
gegen trans Menschen und Gender-Nonkonforme, schreibt er: „Felix is alive!“
Die [1][Sonderausstellung „#nichtmuedewerden – Felix Nussbaum und
künstlerischer Widerstand heute“] des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4) ist
hochpolitisch. Gezeigt wird sie aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des
Nussbaum-Hauses, einst von Daniel Libeskind als kühne Skulptur „ohne
Ausgang“ erbaut, als Mahnmal für ihren Namensgeber. [2][Felix Nussbaum],
ein jüdischer Maler der Neuen Sachlichkeit, wurde 1944 im KZ Auschwitz
ermordet.
Nussbaums Bilder treten in „#nichtmuedewerden“ in einen feinnervig
inszenierten Dialog mit 21 internationalen KünstlerInnen der Gegenwart. 46
Positionen umfasst die Schau, von Adrian Paci bis Rachel Whiteread, von
Carrie Mae Weems bis Francis Alÿs.
Der Titel geht auf ein Wort Nussbaums zurück, auf seine Hoffnung auf die
Kraft der Kunst, die Identität verleiht, Wirkmächtigkeit und gedankliche
Freiheit, die selbst zivilisationsfernste Repressalien überdauert. Es geht
um Gewalt und Inhumanität in dieser Schau, aber auch um Vielfalt und
Verständigung. Es geht um Widerstand durch die Kunst, in der Kunst.
Osnabrücks Kultusdezernent Wolfgang Beckermann wird sehr deutlich, wenn er
beschreibt, gegen was Haus und Schau antreten: gegen das „Wiedererstarken
des [3][Rechtsextremismus]“, gegen Intoleranz und Ausgrenzung. „Wir sind
mit einer politischen Gemengelage konfrontiert, die ich mir vor wenigen
Jahren nicht hätte vorstellen können“, sagt er kämpferisch, emotional.
Es gibt Kunstschauen, die sich in Historisierung genügen, in
werkstofflicher Avantgarde, in selbstreferenziellem L’art pour l’art. Die
Künstler, die uns hier zum Mitfühlen aufrufen, zum Mitdenken, zum
Mithandeln, fordern uns Haltung ab, so direkt wie symbolistisch, in Videos
und Texttapeten, Fotos und Digitaldrucken, Skulpturen aus Kautschuk und
Neopren, Motorrad-Rückspiegeln, Schaum und Vinyl, Stahl.
Eine der krassesten Stationen ist Nasan Turs Installation „Backpacks“. Fünf
Revoluzzer-Tragegestelle, aktionsfertig gepackt, vom Bolzenschneider bis
zum Megafon, von der Sprühdose bis zum Fernglas, vom Rednerpodest bis zum
Wasservorrat. Man kann sie sich ausleihen, mit aus dem Museum nehmen, als
Aktivist. Sie konfrontieren mit bohrenden Fragen: Was würde ich auf das
leere Banner schreiben? Was würde ich ins Mikro brüllen, wo, gegen wen?
Stark ist das, gewagt. Weiter kann man Partizipation nicht treiben.
Auch Ai Weiweis legendäre „Illumination“ ist stark. Das Handy-Selfie zeigt
ihn in einem Aufzug, wie er von der Polizei zu einer Anhörung abgeholt wird
– anschließend wurde [4][Ai Weiwei] brutal misshandelt.
Ariel Reichmans blendend helle Steinhaufen-Installation „Hold me“, ein
Verweis auf das Körpergewicht des Künstlers, lädt zum Betreten und Berühren
ein. Wer einen Stein in die Hand nimmt, befreit Reichman dadurch imaginär
von Lasten des Lebens. Aber wer auf die Steine zugeht, hat direkt zuvor
Yael Bartanas verstörende Neon-Leuchtschrift „Next Year in New Jerusalem“
gesehen, und da liegt es nahe, zugleich an die [5][Intifada] zu denken, den
palästinensischen Krieg der Steine.
Solche Verschränkungen, oft unterschwellig, zuweilen drastisch, als Werk im
Werk, sind eines der Hauptmerkmale der Schau. Mona Hatoums schwebender
Würfel „Impenetrable“ etwa, aus Stacheldrahtstäben: Unweit davon ist
Nussbaums „Kauernder Gefangener“ zu sehen, hinter Stacheldraht. Und „The
Eyes“ von Parastou Forouhar, eine riesige Wand voller Überwachungs-Augen,
aus denen einzelne durch ihre Unkonformität hervorstechen, ihre Tränen,
stellen eine Brücke zu Nussbaums Weinender dar, in „Die Perlen“.
Mitunter überspannen diese Brücken mehrere Ausstellungskapitel. Sie zu
entdecken, kostet Arbeit, Konzentration. Aber sie sind produktiv. Nussbaums
Gemälde „Der Flüchtling“ etwa, das eine Weltkugel zeigt, und einen
Verzweifelten dem jeder Weg versperrt bleibt, ist von Perjovschis Weltkugel
weit entfernt, um die zwei Revolver geschnallt sind. Aber der Brückenschlag
gelingt.
Manche Motive nehmen Bezug auf die klaustrophobische Labyrinthstruktur des
Nussbaum-Hauses, manche auf den Terror, gegen den es seine Stimme erhebt.
Hintersinniger, vielschichtiger kann eine Ausstellung nicht komponiert
sein. Zweieinhalb Jahre hat das KuratorInnenteam an ihr gearbeitet.
Die Ausstellung hat Schärfe. So muss es sein, denn sie ist ein flammender
Kommentar zu Populismus und Ignoranz, zu geistiger Brandstiftung und zur
zunehmenden Kulturlosigkeit unserer Tage. Staatsministerin [6][Claudia
Roth] (Die Grünen) hat das in ihrer Vernissagen-Rede bewegt und bewegend
unterstrichen: Ihre kraftvolle, sehr persönliche Kampfansage an die Feinde
der Demokratie fand auch bei denen, die sie im Museum nur per
Onlineübertragung hören konnten, lang anhaltenden Beifall.
Ist Kunst noch Kunst, fragt „#nichtmuedewerden“, wenn sie politisch ist?
Die Antwort liegt auf der Hand. Und so könnte der Soundtrack der Schau,
hätte sie einen, von [7][Danger Dan] stammen, aus „Das ist alles von der
Kunstfreiheit gedeckt“: „Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht
ankommen kannst / Ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz!“
Den Epilog bildet Fernando Sánchez Castillos „Memorial“: 2.500 identische
Miniatur-Kunststofffiguren blicken uns an, fordernd. Sie erinnern an ein
Foto von 1936, das einen Mann in einer Menschenmasse zeigt, die Arme vor
der Brust verschränkt. Alle um ihn herum zeigen den Hitlergruß, er nicht.
Auch hier ist Haltung gefordert: Wer sie dokumentiert, auf einem
Klebezettel auf der Wand hinterlässt, kann sich eine Figur mitnehmen. Wenn
sich der Trend der Vernissage fortsetzt, sind sie schnell weg. Aber weitere
2.500 stehen in Reserve.
Wer diese Ausstellung sieht, geht nicht nach Hause und sagt: nett. Sonst
fiele fortan der Blick in den Spiegel schwer. Missstände gibt es viele.
Wege, sie zu beenden, auch. Kreativität ist gefragt.
14 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.nichtmuedewerden.de/
[2] /Felix-Nussbaum/!t5608405
[3] /Rechtsextremismus/!t5007723
[4] /Ai-Weiwei/!t5042898
[5] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[6] /Claudia-Roth/!t5029975
[7] /Danger-Dan-veroeffentlicht-Live-Album/!5939284
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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