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# taz.de -- Museum bekommt Gemälde-Schenkung: Neues Wissen, neue Rätsel
> Das Osnabrücker Felix-Nussbaum-Haus hat drei zuvor unbekannte Gemälde
> Felka Plateks geschenkt bekommen. Sie bringen Arbeit mit sich – und eine
> Chance.
Bild: Freuen sich über die Schenkung: Direktor Nils-Arne Kässens, Maryvonne C…
Osnabrück taz | Die Vergangenheit konfrontiert uns immer wieder mit
Rätseln: Fragen sind offen. Vermutungen stehen im Raum. Man wartet ab, man
sucht, man hofft, dass die weißen Flecken auf der Landkarte unserer
Erinnerung schwinden. Bei einem dieser weißen Flecken ist das jetzt
geschehen. Und die neue Geschichte, die das Felix-Nussbaum-Haus im
Museumsquartier Osnabrück (MQ4) nun erzählen kann, ist eine Geschichte
eindrucksvoller Zivilcourage – umso vorbildhafter für unsere Gegenwart.
Das Haus, gewidmet [1][Felix Nussbaum], einem jüdischen Maler der [2][Neuen
Sachlichkeit], 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet, ist mit neuen Fakten
konfrontiert: zu Nussbaum selbst und zu seiner Ehefrau [3][Felka Platek]
(1899–1944), auch sie Künstlerin. Diese neuen Fakten komplettieren das
vielleicht zentrale Narrativ des Hauses. Wichtiger noch: Sie korrigieren
es.
Auslöser ist eine Schenkung. Drei bislang unbekannte Arbeiten Piateks hat
das Nussbaum-Haus erhalten, sie stammen aus dem Besitz von Maryvonne
Collot, einer Nachfahrin der Brüsseler Familie Giboux-Collot. Die hatte
Nussbaum und Platek geholfen, als das Paar sich in Belgien vor der
NS-Verfolgung verbarg. 1943 entstanden, zeigen die Gemälde Augustine Collot
und ihre Kinder Albert und Yvonne Giboux; es sind Porträts von
Unterstützern.
Aber das Nussbaum-Haus verdankt der Schenkerin weit mehr: ihre
Familienerinnerungen. Die füllen Wissenslücken auf, zum Leben Plateks und
Nussbaums im Exil, ihren Brüsseler Aufenthaltssorten und
Ausweichquartieren, der Entstehung der Hauptwerke Nussbaums in den Jahren
1943/44, die den Holocaust anklagten.
Nussbaum, das wissen wir jetzt, hat bei Familie Giboux-Collot, Rue Général
Gratry 23, Brüssel, nicht nur ein Kellerversteck zum Malen gehabt, fernab
seiner eigentlichen Wohnung in der Rue Archimède 22. Der Keller war ein
Souterrain, Nussbaum und Platek haben dort auch gelebt, und eine enge
Freundschaft zwischen den Versteckten und ihren mutigen Helfern entstand.
Mehr noch: Collot hat dem MQ4 Fotos überlassen, die zeigen, dass Nussbaums
Bilder in den 1960ern in Giboux-Collots Wohnung hingen – die Familie
bewahrte sehr aktiv das Andenken an ihre jüdischen Freunde, die beide in
Auschwitz starben. „Das sind ganz neue Erkenntnisse“, freut sich Anne
Schwetter, Nussbaum-Kuratorin des MQ4. „Das verschafft der Forschung
wichtige Ansätze.“ Direktor Nils-Arne Kässens spricht gar von einer
„Sensation“, einem „Wendepunkt in der Erforschung der letzten Lebensjahre
von Nussbaum und Platek“.
Anfang der 1970er-Jahre waren die Arbeiten Nussbaums und Plateks plötzlich
aus der Rue Général Gratry 23 verschwunden, erinnert sich Maryvonne Collot:
Der Kunsthändler Willy Billestraet, Besitzer des Hauses und mit Yvonne
Giboux liiert, der Tochter von Augustine Collot und Schwester von Albert
Giboux, verkauft sie zwischen 1975 und 1984 an das Museum der Stadt
Osnabrück: Rund 130 Arbeiten wechselten den Besitzer, in mehreren
Konvoluten, für insgesamt „grob geschätzt, überschlagen“ rund 340.000 DM,
so Schwetter zur taz.
Hier beginnt das Problem: Billestraets Rolle ist dubios. Sie trägt Züge
eines Kriminalfalls, von Selbstüberhöhung, von Geschichtsfälschung.
Nicht nur, dass er Maryvonne Collot zufolge der Familie Giboux-Collot 1971
sagte, er wolle die Werke dem deutschen Museum schenken. Nein, in Osnabrück
wiederum erweckt er den Eindruck, unmittelbar am Schutz des Künstlerpaares
beteiligt gewesen zu sein. „Billestraet hat teils widersprüchliche
Aussagen getätigt“, sagt die Kuratorin. „Mal sagte er, er persönlich habe
Nussbaum und Platek mit dem Lebensnotwendigen versorgt, mal dass ‚wir‘
für ihn eingekauft hätten – mit ‚wir‘ meint er seine Familie, die er
niemals namentlich erwähnt.“
## Den Tiefen der Vergangenheit entstiegen
Das ist jetzt revidiert. Richtig sei nach ihrem Wissen, so Schwetter:
Billestraet gehörte zwar das Haus Rue Général Gratry 23, aber gewohnt hat
in der Wohnung Familie Giboux-Collot. „Es waren also Augustine Collot und
ihr Sohn Albert mit seiner Frau Lydie, die Nussbaum und Platek versteckten
und das Risiko auf sich genommen hatten.“ In Osnabrück wurde Billestraet
damals aber offenbar ungeprüft geglaubt. Und es sei natürlich möglich, so
Schwetter, „dass Billestraet die Familie besuchte und so Kontakt zu
Nussbaum und Platek hatte“.
Maryvonne Collots Schenkung ergänzt fortan die bislang rund 35 Arbeiten
umfassende Platek-Sammung des MQ4. Die drei Porträts zeigen die wahren
Unterstützer des verfolgten und später ermordeten Künstlerpaars.
Abenteuerlich auch, wie sie den Tiefen der Vergangenheit entstiegen sind:
Maryvonne Collot sagt, sie habe die Bilder 2023 per Zufall in einer Garage
gefunden, eingewickelt in braunes Papier. „Als ich es ausgepackt habe, habe
ich sofort erkannt, was das war!“
Auf das [4][MQ4] kommt jetzt viel Arbeit zu. Denn das neue Wissen ruft nach
Vertiefung, auch Verifizierung. Unter anderem zu der Frage: Ist Osnabrück
damals sorgsam genug mit seiner Erinnerungskultur umgegangen? Dem Haus
liefert das neues Erzählmaterial; eine geradezu detektivische Spurensuche
in alle Richtungen.
19 Apr 2025
## LINKS
[1] /Felix-Nussbaum/!t5608405
[2] /Geistige-Wegbereiter-der-Nazis/!5903496
[3] /Ausstellung-ueber-Malerin-Felka-Platek/!5995567
[4] https://www.museumsquartier-osnabrueck.de/
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Osnabrück
Museum
Felix Nussbaum
NS-Verfolgte
Bildende Kunst
Auschwitz
Schwerpunkt Feministischer Kampftag
Politische Kunst
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