# taz.de -- Bremens „Women in (E) Motion-Festival“: Gerechtigkeit auf der B… | |
> Obwohl Musik die Sprache der Menschheit sein soll, schließt die | |
> Konzertpraxis Frauen oft aus. Das „Women in (E) Motion-Festival“ bekämpft | |
> den Missstand. | |
Bild: Der Machismo des Flamenco verkrümelt sich unter den Händen von „Las M… | |
Auch lustvoll können Missstände bekämpft werden. Das führt bereits seit | |
1988 das Festival „Women in (E) Motion“ vor, das in Bremen, Worpswede und | |
Stuhr mehrere Wochen unterschiedliche Bühnen mit einem entschieden diversen | |
Konzertprogramm bevölkert. Seit 35 Jahren kuratiert das Label Tradition & | |
Moderne in Zusammenarbeit mit Radio Bremen und der Sparkasse dafür | |
ausschließlich weibliche musikalische Handschriften. | |
Denn Musik soll zwar laut dem US-amerikanischen Dichter Henry Wadsworth | |
Longfellow „die gemeinsame Sprache der Menschheit“ sein. Bloß kommen halt | |
weite Teile dieser Menschheit im öffentlichen Gespräch nicht angemessen zu | |
Wort – und insbesondere Frauen. So hat die 2022 vorgestellte [1][Studie | |
„Gender in Music“] ermittelt, dass Charts wie Festivalbühnen auch | |
gegenwärtig noch zu 70 Prozent männlich besetzt sind. | |
Früher war die Dominanz noch größer. In ihrer privaten Erhebung kam die | |
Bookerin und Veranstalterin Rike van Kleef auf mehr als 80 Prozent. Bei der | |
Gema, der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische | |
Vervielfältigungsrechte, die sich um die Tantiemen, also um die | |
kommerzielle Verwertung des geistigen Eigentums von Komponist*innen und | |
Texter*innen kümmert, ist das Verhältnis der Geschlechter noch | |
verheerender. | |
In den vergangenen Jahren mehrten sich Stimmen, die angesichts vor allem | |
männlich besetzter Positionen im Musikgeschäft [2][Veränderungen anmahnen]. | |
Mittlerweile haben einige große Festivals eine 30-Prozentquote für „nicht | |
männlich-gelesene Personen“ eingeführt. Gerade ein paar Tage ist es her, | |
dass sich in Bremen die [3][Initiative „MusicHBwomen*“] vorstellte, die | |
sich „für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der Bremer | |
Musikkultur und -wirtschaft“ einsetzen will, als Teil einer | |
[4][bundesweiten Initiative], die den beschriebenen Missstand beheben will. | |
Die Bandbreite der so oft unerhörten Musik von Frauen für alle hat „Women | |
in (E) Motion“ schon in der Vergangenheit aufgeblättert. Anlässlich des | |
kleinen Jubiläums stößt man beim Blick ins Festival-Archiv beispielsweise | |
auf [5][Susanna Wallumrød], die durch radikal verlangsamte Versionen von | |
Hardrock-Hymnen bekannt wurde und in ihrer norwegischen Heimat mehrfach den | |
renommierten „Spellemanprisen“ gewonnen hat. Oder auf Ingrid Laubrock, die | |
sich als Bandleaderin, Gastsolistin und Komponistin international einen | |
Namen im Jazz gemacht hat. | |
Oder auf Grammy-Preisträgerin [6][Ani DiFranco], als Songwriterin und | |
Sängerin eine Institution. Die leider vor etwas mehr als einem Jahr | |
verstorbene Sandy Dillon bestach mit einer eigenwilligen, an Tom Waits und | |
Captain Beefheart geschulten Musik, die marokkanische Sängerin Oum | |
verbindet die Musik ihres Heimatlandes mit Jazz, Gospel, Soul und | |
verschiedenen afrikanischen Einflüssen, das Hedvig Mollestad Trio spielt | |
eine brachiale Mixtur aus Jazz und Hard Rock. | |
Die Geschichte ist nicht vorbei. Am vergangenen Freitag führten die im | |
vergangenen Jahr für ihr Album „Libres“ mit einem Latin Grammy geehrten | |
„Las Migas“ – zu Deutsch: die Krümel – aus Barcelona in der Worpsweder | |
Music Hall vor, wie sich die Tradition des lange männlich dominierten, | |
machistischen Flamenco in ein feministischeres Heute weiterspinnen lässt. | |
Mit großer Spielfreude bürsten Carolina Fernández (Gesang und Tanz), Marta | |
Robles (Gitarre), Alicia Grillo (Gitarre) und Laura Pacios (Violine) den | |
ehrwürdigen Flamenco gegen den Strich. Wozu auch die Freiheit gehört, die | |
Musik eine gleichgeschlechtliche Liebesgeschichte darstellen zu lassen. | |
Grillo erzählt dann nach der Pause eine Anekdote, die auf den Punkt bringt, | |
was ein Festival wie „Women in (E) Motion“ nach wie vor so wichtig macht: | |
Als sie und Marta Robles als Kinder begannen, Gitarre zu spielen, hätten | |
sie nie und nirgends Gitarristinnen auf der Bühne zu sehen bekommen. Immer | |
gab es nur Paco de Lucía und dessen Kollegen. Mit einer Fassung des | |
Klassikers „Asturias“ von Isaac Albéniz führten die beiden dann vor, dass | |
das kaum etwas mit technischen Fertigkeiten zu tun hat und umso mehr mit | |
überkommenen Geschlechterrollen. | |
Dass es allein schon ein Politikum ist, wenn vier Frauen auf der Bühne | |
Flamenco spielen, ist das eine. Las Migas nehmen sich allerdings auch noch | |
heraus, das Nationalheiligtum des Flamenco um Einflüsse aus Jazz, Rumba, | |
Son, Pop und sogar Spuren von Country zu erweitern – mit bestechendem | |
vierstimmigem Satzgesang und einem kleinen bisschen HipHop, was sich nicht | |
nur durch den subtilen Einsatz von Samples niederschlägt. | |
Spätestens am Ende des rund zweistündigen Abends ist es dann so wie es wohl | |
eigentlich immer sein sollte: Da stehen vor allem vier Menschen auf der | |
Bühne, die Musik machen. Auch wenn es so etwas wie eine Sprachbarriere | |
geben mochte, wenn die „Palmas“, also die geklatschten Rhythmen des | |
Flamenco, dann doch recht kompliziert sein können und die Aufforderung zum | |
Tanz erst spät am Abend Früchte trug, war die Begeisterung einhellig. | |
In den kommenden Tagen dürfte es noch einige solcher Momente geben. Die | |
neueste Ausgabe von „Women in (E) Motion“, die in der vergangenen Woche mit | |
einem Doppelkonzert von Lady Nade und Holly Carter eröffnet hatte, bietet | |
ein vielseitiges Programm zwischen klassischer Americana, ukrainischer | |
Folklore und, vielleicht besonders spannend, persischer Musik: So tritt die | |
Formation Māhbānoo am Dienstag, 19. September im Bremer Schlachthof auf. | |
Unter Leitung des in Hamburg lebenden Musikers und Komponisten Majid | |
Derakhshāni widmet sich dieses Ensemble der großen persischen | |
Musiktradition. Die Musikerinnen stammen aus Teheran, wo Frauen das Singen | |
in der Öffentlichkeit verboten und das Musizieren auf Instrumenten | |
weitgehend untersagt ist. | |
Das Kulturzentrum Schlachthof belässt es nicht dabei, einer der | |
Austragungsorte für „Women in (E) Motion“ zu sein. Im Rahmen der explizit | |
feministischen Veranstaltungsreihe „Femme Art Club“, kurz FAC, stellt die | |
Satirikerin und Autorin Sarah Bosetti dort ihr neues Buch „Wer Angst hat, | |
soll zuhause bleiben – Poesie gegen Populismus“ vor. Und zwei Tage später | |
lädt FAC unter dem Titel „Frau, Leben, Freiheit“ zum Poetry-Slam. | |
19 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://malisastiftung.org/gender-in-music/ | |
[2] /Heroines-of-Sound-Festival-in-Berlin/!5862578 | |
[3] https://www.instagram.com/musichbwomen/ | |
[4] https://www.musicwomengermany.de/ | |
[5] /Piano-Pop-Noir/!5575552 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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