# taz.de -- Kolumne Durch die Nacht: Nur alte Männer im Jazzclub | |
> Jahrelang war free Jazz ein Männermetier, aber unser Kolumnist stellt die | |
> Frauenfrage und sieht Handlungsbedarf, zumindest in kleineren Clubs. | |
Bild: Für mehr Diversity in dunklen Jazzclubs | |
Neulich im Sowieso gewesen; das ist ein Jazzclub in Neukölln. Man sitzt da | |
in gemütlicher Kneipenatmosphäre und hört fordernde Musik. Swingen tut der | |
Jazz, der in dem Laden gespielt wird, eigentlich nie. Hier | |
[1][konzentrieren sie sich auf Free Jazz] und freie Improvisationsmusik, | |
also auf die etwas härtere Kost. Trotzdem habe ich gehört, das Sowieso sei | |
inzwischen ein angesagter Laden, auch bei Hipstern, weil Jazz bei | |
ebendiesen gerade als das neue Ding gelte. Die wirklich coolen jungen Leute | |
interessieren sich jetzt für Jazz, heißt es, und nicht mehr für Techno. | |
Und weil Jazz für Austausch und direkte Kommunikation steht, auch unter | |
Musikern und Musikerinnen, könnte der jetzt, wo aus der Pan- langsam eine | |
Endemie wird, noch populärer werden. Weil die Sehnsucht nach dem großen | |
Miteinander ja gerade so groß sei. | |
Aber als ich im Sowieso bei meinem Jazzkonzert saß, war kaum jemand da und | |
Hipster gleich gar nicht, zumindest keine, die sich optisch als solche zu | |
erkennen gaben. Ich zählte mal das Publikum durch, was keine schwere | |
Aufgabe war, obwohl ich in Mathematik ein Totalausfall bin: 13 Gäste hatten | |
sich eingefunden. Dabei spielte an diesem Abend nicht mal irgendwer, | |
sondern angesagte Größen der Berliner Improszene. | |
Ich frage mich, wie so ein Jazzkonzertabend rein ökonomisch funktioniert. | |
An der Kasse des Sowieso wird nicht einmal regulärer Eintritt verlangt. Man | |
zahlt eine Spende, wobei man höflich darauf hingewiesen wird, dass diese | |
bitte nicht unanständig niedrig ausfallen möge. Doch selbst wenn alle | |
Spender großzügig in ihre Taschen gegriffen haben sollten, kann bei den | |
drei Musikern am Ende des Abends kaum etwas hängengeblieben sein. Und von | |
irgendwas, außer ein paar verkauften Bier, muss das Sowieso am Ende ja auch | |
noch leben. | |
Beim [2][Berliner Jazzfest, das nächste Woche stattfindet], dreht sich | |
alles um eine zumindest ähnliche Musik wie im Sowieso, und doch hat man das | |
Gefühl, das hochsubventionierte Festival und den Club am Rande des | |
Existenzminimums verbindet kaum etwas. Das Jazzfest, eines der ältesten | |
Festivals dieser Art in Europa, hat sich in den letzten Jahren unter seiner | |
neuen Leiterin Nadin Deventer rundum erneuert. | |
Man holt sich Musiker und Musikerinnen aus aller Welt und achtet darauf, | |
dass wirklich nicht nur Männer auftreten, sondern auch angemessen viele | |
Frauen. Diversität wird inzwischen groß geschrieben und das wird honoriert | |
– die letzten Jazzfeste waren gut besucht. | |
Schaut man sich das gewiss hervorragende Programm im Sowieso bis Ende | |
November an, fällt dagegen eins gleich auf: Es fehlen die Frauen. Wie | |
gesagt, ich bin schlecht in Mathe, aber wenn man das | |
Männer-Frauen-Verhältnis auf dem Spielplan grob überschlägt, dürfte es so | |
sein, [3][dass der Männeranteil nicht unter 90 Prozent] liegt. | |
Natürlich ist es einfacher, bei dem durchsubventionierten Jazzfest, das nur | |
einmal im Jahr stattfindet, auf die Quote zu achten als bei einem prekär | |
wirtschaftenden Club, der viermal die Woche Konzerte veranstaltet. Sicher | |
ist Jazz immer noch ein von Männern dominiertes Genre. | |
Aber mit genug Planungszeit und dem nötigen Kleingeld bekommt man genügend | |
Jazzfrauen, von denen es immer mehr gibt, auf sein Festival. Während sie | |
beim Sowieso sicherlich schon froh sind, dass überhaupt solche Jazzgrößen | |
bereit sind, für lächerliche Gagen bei ihnen zu spielen. Bei diesem Druck | |
auch auf die Quote zu achten dürfte schwer sein. Und: Free Jazz, der den | |
Ruf hat, eine etwas machohafte Form des Jazz zu sein, ist einfach kein | |
Genre, in dem sich die Frauen nur so tummeln. | |
Und trotzdem, ein paar mehr Frauen sollten sie in Zukunft schon auf die | |
Bühne bringen. Eine von den wenigen, die Sängerin Audrey Chan, kann man | |
gleich am Mittwoch als Teil eines Trios erleben. | |
26 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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