| # taz.de -- DFB-Pokalspiel St. Pauli gegen HSV: Die Ultras zum Derby | |
| > Zu Hamburgs größtem Frauenfußballspiel aller Zeiten kommen fast 20.000. | |
| > Am Millerntor sind wie stets Pyros im Spiel, nur ohne | |
| > Testosteronüberschuss. | |
| Bild: Stimmung beim Derby im Millerntor-Stadion | |
| Tiefe Glockentöne dröhnen durchs Stadion. Spätestens, als die Bratzgitarre | |
| dazwischen sägt, weiß jeder über 50: Es sind die „Hells Bells“ von AC/DC. | |
| Leuchtraketen steigen auf, Rauch wabert über den Rasen. Beim Anpfiff ist | |
| auf dem Spielfeld kaum etwas zu erkennen. | |
| Ein ganz normaler Freitagabend [1][am Millerntor auf St. Pauli]. Oder? Als | |
| der Rauch verfliegt, ist zu sehen: Hier ist gar nichts normal. Auf dem | |
| Rasen stehen keine durchtrainierten Profi-Athleten mit raspelkurzen | |
| Frisuren, sondern 22 Frauen, die meisten mit Pferdeschwänzen, die beim | |
| Laufen wippen. | |
| Es ist DFB-Pokal, zweite Hauptrunde. Gastgeberinnen sind die Ersten Frauen | |
| des FC St. Pauli, die sonst auf einem Kunst-rasenplatz vor dem Stadion vor | |
| 200 Zuschauer:innen kicken. Zu Gast sind die HSV-Frauen. [2][Hamburger | |
| Derby also], und das erklärt, warum heute alles anders ist als üblich im | |
| Frauenfußball. | |
| Etwa, dass 19.170 Menschen das Spiel sehen wollen. Und dass die Ultras | |
| beider Seiten voll dabei sind. Sie haben die Pyros gezündet. Und sie | |
| versuchen ständig, einander mit Gesängen zu überbieten. „Scheiß St. Pauli… | |
| tönt es aus dem Gästeblock. Die Ultrà St. Pauli verzichten auf den üblichen | |
| Schmähgesang „We hate the Volkspark bastards“, antworten einfach mit | |
| „Allez, allez St. Pauli!“. | |
| Mit feinerer Klinge geht es auf den Transparenten zu: Mit einem schlichten | |
| „Clase obrera“, spanisch für „Arbeiterklasse“, auf den Vereinsfarben | |
| blau-schwarz, necken die HSV-Fans jene von St. Pauli, von denen viele zwar | |
| mit der Arbeiterklasse sympathisieren, selbst aber einen bürgerlichen | |
| Hintergrund haben. Auf einem anderen Banner steht: „Wir fahren nach Hause, | |
| ihr müsst hier wohnen.“ Ein neuer Stolz der Peripherie, gegen die urbanen | |
| Besserverdiener gewendet. | |
| Das Stadion ist zu zwei Dritteln gefüllt. Mehr Menschen waren in Hamburg | |
| noch nie bei einem Frauenfußballspiel. Der bisherige Rekord, gut 12.000 | |
| Zuschauer:innen, ist schon 12 Jahre alt. Es spielte die Nationalelf, damals | |
| noch eine Weltmacht, gegen das Spitzenteam aus Schweden. | |
| Heute liegen die Dinge anders: Die HSV-Frauen sind gerade in die Zweite | |
| Bundesliga aufgestiegen und wollen in die erste. Die St. Paulianerinnen | |
| hoffen, aus der dritten Liga nicht abzusteigen. Aber im Pokal, ist da nicht | |
| alles möglich? Das werden sich so manche gedacht haben, die vor allem da | |
| sind, weil es mal Karten fürs Millerntor gab. Für die Spiele der | |
| Männer-Profimannschaft werden auf St. Pauli Wartelisten geführt. | |
| Viele Fans wirken konsterniert, als St. Paulis Frauen nach zehn Minuten mit | |
| 0:2 hinten liegen. So hatten sie sich das nicht vorgestellt. Dabei könnte | |
| es längst viel schlimmer stehen, die HSV-lerinnen wirken eher zwei Klassen | |
| stärker als eine. Das ist symptomatisch für den Frauenfußball, wo die | |
| Leistungsdichte viel geringer ist als bei den Männern. Selbst in der | |
| Bundesliga gibt es regelmäßig Ergebnisse jenseits der Schmerzgrenze. | |
| St. Paulis Ultras lassen sich nicht verdrießen, machen einfach weiter mit | |
| ihrem lauten Support. Was auf dem Feld geschieht, scheint ihnen egal zu | |
| sein. Ultras feiern ihre Farben – und sich selbst. Dafür brauchen sie weder | |
| Spitzenfußball noch bekannte Idole oder Testosteronüberschuss auf dem | |
| Platz. | |
| Einmal geraten doch zwei Spielerinnen aneinander, bauen sich voreinander | |
| auf wie im Fernsehen (das an diesem Abend auch da ist). Nur mit einem Meter | |
| mehr Abstand. Kopfnussgefahr: null. Trotzdem pfeift die Schiedsrichterin | |
| sie sofort heran. Im Wegtrotten reichen sie einander flüchtig die Hand. | |
| Als es 0:7 steht, haben sich längst alle St.-Pauli-Anhänger:innen damit | |
| abgefunden, dass es an diesem Abend nichts zu holen gibt. Die Stimmung ist | |
| trotzdem ausgelassen. Als in der Nachspielzeit noch das 1:7 gelingt, bricht | |
| unbändiger Jubel los. Noch zehn Minuten nach Abpfiff applaudiert ganze | |
| Stadion stehend. | |
| Dann macht sich in dieser lauen Sommernacht eine ungewohnte Leichtigkeit | |
| breit. Man plaudert und geht entspannt nach Hause oder noch auf ein Bier. | |
| Die Polizei steht ganz umsonst an der U-Bahn und langweilt sich. | |
| 15 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan Kahlcke | |
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