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# taz.de -- Hamburger Gängeviertel feiert Geburtstag: Das gallische Dorf läss…
> Gehackte Algen und twerkende Hintern. Die Geburtstagsfeier des Hamburger
> Gängeviertels ist nach wie vor frei von Routinen.
Bild: Kunst aller Art draußen und drinnen: Fassade im Hamburger Gängeviertel
Es ist schon ein paar Jahre her, da gab es diese Postkarte mit dem
Schriftzug „Grüße aus dem Gängeviertel“. Um die Schrift herum waren Fotos
der Innenhöfe, der Fassadenkunst oder der Jupi-Bar angeordnet. Als wären
sie so etwas wie der Eiffelturm in Paris oder die Berliner
Gedächtniskirche.
Tatsache ist: Nach wie vor ist das Gängeviertel [1][eine Hamburger
Besonderheit]. Als gallisches Dorf mitten in der aufgebretzelten Innenstadt
wird es von Menschen bewohnt, die ein Leben und Arbeiten jenseits von
Profit und Konkurrenz verwirklichen wollen. Mittlerweile ist das Kollektiv
[2][als Genossenschaft organisiert] und hat die zwölf Gebäude von der Stadt
[3][gepachtet]. Mitmachen kann jede*r: Das Gängeviertel ist ein offenes
soziokulturelles Projekt.
Jedes Jahr im August feiert das Viertel Geburtstag, also den Jahrestag der
„Besetzung“, mit der das Projekt 2009 ins Rollen gebracht wurde. Dass das
Ganze keine Feier, sondern ein Festival ist, sieht man an den drei
Dixi-Klos, die zur Entlastung der bestehenden Infrastruktur aufgebaut sind.
Man sieht es an den Einlassbändern, die gegen eine Spende erworben werden
können – „wir empfehlen zehn bis 15 Euro“, heißt es an der Kasse. Und m…
sieht es an den Besucher*innen, die mehrheitlich Wert auf kreative Kleidung
legen. Zwei Pfeiler, auf denen das Projekt steht, sind die Kunst und eine
linke Gesinnung.
Ergo gibt es in den Höfen und Konzerträumen nicht nur elektronische Musik,
Bands und Ausstellungen, sondern auch so etwas wie die Zwillenbude: eine
Jahrmarktbude, bei der man mit Zwillen auf gezeichnete Pappbilder schießt.
Diese zeigen einen Polizisten, einen Polizeibus und einen
Burschenschaftler. Geschossen wird mit Korken aus Weinflaschen.
## Bis die Polizei kommt
Einen Hinterhof weiter strecken sich rund 100 Hintern in die Luft, davon
gehören geschätzt 98 zu weiblich gelesenen Personen und zwei zu männlich
gelesenen. Die Leute gehen in die Hocke, spreizen die Beine und schütteln
die Pobacken zu einem treibenden Beat. Auf der Bühne steht eine junge Frau
in Hot Pants und sagt, was zu tun ist: Jetzt alle nochmal runter, jetzt mit
den Pobacken im Wechsel zucken und jetzt das Gesäß in die Höhe.
Vom Format her ist das wie ein Kurs im Fitnessstudio, inhaltlich sieht es
aus wie eine Übung für den Stripclub. Bei längerem Zusehen scheint es aber
doch eher ein Körperwahrnehmungstraining für die Beckenregion zu sein. Das
Ganze heißt [4][Twerking] und ist als Ausdruck sexpositiver weiblicher
Selbstbestimmung gemeint.
Auch eigen ist die Verpflegung, zum Beispiel [5][Okonomiyaki]. Dabei
handelt es sich um japanische Pfannkuchen, allerdings ohne Eier und
Thunfischflocken – die lassen sie weg, damit das Gericht vegan wird. So
entsteht eine Art Reibekuchen, fettig, geschmacklich dominiert von einer
ketchupartigen Sauce, die in Kombination mit den gehackten Algen und den
Lauchzwiebeln einen undefinierbar klobigen Geschmack ergibt. Keine
kulinarische Entdeckung macht aber satt. Spendenempfehlung: fünf Euro.
Sehr angetan von seinem Okonomiyaki ist ein junger Typ mit Rastas. Auf die
Frage, ob es eine lange Nacht für ihn wird, sagt er: „Nein, wir haben
morgen ein Treffen.“ Und dann erzählt er von der Gruppe Leuten, mit der sie
Techno-Partys veranstalten wollen, und von den Neuen in der Gruppe, die das
Projekt in eine falsche Richtung bringen. „Deshalb müssen wir über eine
Struktur entscheiden, wie wir Entscheidungen treffen. Dafür gibt es ein
Vortreffen. Und morgen machen wir ein Vortreffen für dieses Vortreffen,
damit beim Vortreffen nichts schiefgeht.“
So ähnlich wird es beim Gängeviertel auch gewesen sein. Vielleicht ist es
auch immer noch so: Am späten Sonntagnachmittag löst sich das Festival
langsam auf. Eine Künstlerin baut ihre Ausstellung ab und ist nicht
glücklich darüber, dass sie schon Schluss machen soll. Die Polizei kommt,
weil jemand die Ü60-Tanzparty zu laut findet. Der Bewegungsraum im
Haupthaus ist nicht mehr zugänglich, da heißt es: „Das hier ist privat.“
Die [6][Mühen der Ebene] müssen gewaltig sein bei diesem Projekt. Es ist
tatsächlich ein Grund zum Feiern, dass es weiterhin genug Leute gibt, die
sich davon nicht abhalten lassen.
1 Sep 2023
## LINKS
[1] /Hamburgs-Gaengeviertel-wird-12/!5789970
[2] /Finanzierung/!5129732
[3] https://das-gaengeviertel.info/neues/details/article/wir-haben-den-vertrag-…
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Twerking
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Okonomiyaki
[6] /Mitstreiterin-ueber-10-Jahre-Gaengeviertel/!5617516
## AUTOREN
Klaus Irler
## TAGS
Hamburg
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Gängeviertel
FC St. Pauli
Stadtentwicklung Hamburg
Hamburg
sex-positiv
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