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# taz.de -- Neuausrichtung des Jugendfußballs: Anders kicken
> Der FC St. Pauli krempelt den Jugendfußball um. Der Zweitligist
> beschränkt den Zugang von Beratern zu Talenten und fördert den Spaß am
> Spiel.
Bild: Sie nennen es „Rebellution“: St. Paul will den Nachwuchs für sich ge…
Wenn Benjamin Liedtke über Nachwuchsarbeit spricht, klingt er wie ein 68er:
„Wir verstehen uns als Ausbildungsinstitut und nicht als
Auslesemaschinerie“, sagt der 36-jährige Leiter [1][des
Nachwuchsleistungszentrums des FC St. Pauli]. „ Als kleinerer Player sind
wir darauf angewiesen, Spieler langfristig zu entwickeln und besser zu
machen. Der Trainer, der im Zentrum steht, der Trainer, der Ansagen macht –
das werfen wir über Bord.“
Stattdessen gehe es um begleitetes Training und um subjektive
Lerneinstiege. „Wir haben keine Spielprinzipien, sondern wir haben
Spielerprinzipien“, lautet ein Kernsatz des mit „Rebellution“
überschriebenen Konzepts, mit dem die Arbeit im Zentrum seit gut einem Jahr
neu aufgestellt wird. Und mit dem der Beweis angetreten werden soll, dass
„ein anderer Jugendfußball möglich“ ist.
Bundesweite Aufmerksamkeit erlangte das Konzept vergangene Woche, als der
Klub mitteilte, künftig im Nachwuchsbereich nicht mehr mit Beratern
zusammenzuarbeiten. Damit positioniert sich der Verein „gegen die
Kapitalisierung des Jugendfußballs“. Man wolle „den partnerschaftlichen
Dialog mit Spielern und deren Umfeld stärken“.
Der Jugendbereich ist im Profifußball längst zum Einfallstor für
Spielervermittler geworden, die ins Geschäft kommen wollen. Teilweise
werden schon die Eltern von 12-jährigen Talenten angesprochen, in der
Hoffnung, mit ihnen als Erwachsene das große Geld zu verdienen. Nicht
selten sind sie es, die jungen Spielern einen Wechsel in ein anderes
Leistungszentrum nahelegen. Seit 2001 sind Bundesliga-Vereine verpflichtet,
ein Nachwuchszentrum zu führen, mittlerweile gibt es 57 Stück, die um die
größten Talente konkurrieren.
## Gespräche mit Familien
„Das Hopping ist ungesund“, sagt Liedtke. „Wenn wir einen sehr guten
Spieler haben, dann weckt er natürlich das Interesse bei anderen. Und wenn
dann Berater oder andere Akteure kommen, die versuchen, an diesem Spieler
zu partizipieren, wird es schwierig, stringent und gut mit dem Spieler zu
arbeiten. Fehler machen, wiederholen, Fehler machen, wiederholen – das ist
ein wichtiger Ablauf, um zu lernen und sich zu verbessern. Das schließt das
aktuelle System aber an vielen Stellen aus.“
Um die Ansprache für Spielervermittler, aber auch Scouts anderer Zentren zu
erschweren, gibt es auf den St.-Pauli-Plätzen eine klare Trennung zwischen
dem Spieler- und Zuschauerbereich. Ganz verhindern kann der Klub die
Kontaktanbahnung nicht – eine seriöse Beratung kann besonders bei älteren
Spielern kurz vorm Übergang in den Profibereich auch sinnvoll sein. „Aber
wir sprechen bei uns maximal über eine Aufwandsentschädigung. Und ich habe
bis heute nicht verstanden, was es da zu verhandeln gibt“, sagt Liedtke.
Deshalb führt er in diesem Bereich Gespräche nur noch mit den Spielern und
deren Familien.
Aufgrund eines Kernpunkts des „Rebellution-Konzepts“ hat sich die Anzahl
der Berater, mit denen man in Kontakt stand, schon reduziert. Der Verein
macht im Jugendbereich keine überregionalen Transfers mehr, sondern
verpflichtet nur noch Spieler aus der Metropolregion Hamburg. „Der FC St.
Pauli ist ein Stadtteilverein, und wir wollen Spieler haben, deren
Identität mit der Stadt verknüpft ist“, sagt Liedtke. Das verhindert
außerdem, dass Spieler ihr Umfeld zu früh verlassen müssen.
## Weg von einer Kopie des Erwachsenfußballs
Die größten Veränderungen innerhalb des Nachwuchsleistungszentrums bringen
die Trainingsinhalte und Spielformen mit sich. Ähnlich wie [2][in der
umstrittenen Reform des Kinderfußballs im DFB] geht es darum, weg von einer
Kopie des Erwachsenfußballs zu kommen. Auch der Jugendfußball wurde in den
vergangenen Jahren immer stärker an Ergebnissen orientiert.
„Spielanalyse, professionelles Athletiktraining und Mentaltraining,
VR-Brillen, Kopfhörer für Spieler auf dem Feld“, zählt Liedtke einige
Merkmale der Überprofessionalisierung auf. „Wir wollen dagegen ‚back to
basics‘, weil das Spiel zwar schneller und athletischer geworden ist, die
fußballerischen Fähigkeiten aber abgenommen haben.“
Die Grundlage dafür bildet wie im Kinderfußball die Spielform Funino, die
beim FC St. Pauli seit 2012 von der U8 bis zur U10 praktiziert wird. „Drei
gegen drei, vier gegen vier oder fünf gegen fünf auf ein großes Tor ist nur
die Übertragung vom Bolzplatz in den Vereinsfußball: Wir treffen uns und
zocken einfach. Der Erfolg wird sichtbar, wenn man nur zuguckt.“
## Professionelle Fußball führt bislang über die Ergebnisse
Im ersten Schritt sollen die Ergebnisse in den Altersklassen U12 bis U16
eine geringere Rolle spielen. Ein Grund, warum bei Eltern und Trainern
Überzeugungsarbeit nötig ist. Der Weg in den professionellen Fußball führt
in Deutschland für Nachwuchstrainer bislang über die Ergebnisse.
Liedtke und sein Kollege Fabian Seeger, der vorher in Hamburg als
Verbandstrainer gearbeitet hat, haben Ausbildungsmodule erstellt, mit
Videos, Fragestellungen, Lerneinstiegen und Trainingsformen. So innovativ
das klingt, ist das alles schon vor ein paar Jahren im „Projekt Zukunft“
des DFB beschrieben worden. „Wir haben die Erfahrung gemacht, wie schwierig
es ist, kleinere Spieleformen in der U12 und U13 mit den Verbänden
einvernehmlich hinzubekommen“, sagt Liedtke.
„Wir können aber nicht darauf warten, dass der große Umbruch über den DFB
und die Verbände kommt, sondern müssen anfangen, den ganz praktisch und in
unserem täglichen Rahmen zu gestalten.“
5 Oct 2023
## LINKS
[1] https://www.fcstpauli.com/teams/nachwuchs/
[2] https://www.msn.com/de-de/sport/fifa-world-cup/warum-es-so-viel-kritik-an-d…
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
## TAGS
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