| # taz.de -- Ein Jahr nach Beginn der Proteste: Iran? Es ist beschämend! | |
| > Die deutsche Iran-Politik lässt zu wünschen übrig. Die Protestbewegung | |
| > wird nicht unterstützt. Ein Beitrag des ehemaligen Bundesumweltministers. | |
| Bild: Der Hintergrund ist wichtig: Hier flattert die iranische Flagge vor dem I… | |
| [1][Vor fast genau einem Jahr] wurde Jina Mahsa Amini von den Schergen des | |
| Regimes der Islamischen Republik Iran ermordet. Seitdem lehnen sich die | |
| Menschen im Iran, angeführt von mutigen Frauen, gegen das Unrechtsregime | |
| auf. Das Kopftuch ist zum Symbol der Unterdrückung von Frauen im Iran | |
| geworden. | |
| Todesmutig legten Iranerinnen es massenweise ab und gingen auf die Straße, | |
| nachdem die Kurdin Jina Mahsa Amini wegen eines falsch sitzenden Kopftuchs | |
| zu Tode geprügelt wurde. Ihnen geht es um nicht weniger als den Fall des | |
| Regimes. Freiheit oder Terror ist die Alternative, vor der die Menschen im | |
| Land stehen. | |
| Für ihren Freiheitskampf verdienen sie den größten Respekt und jede | |
| Unterstützung, die Deutschland und die Europäische Union leisten können. | |
| Aber trotz vollmundiger Versprechungen während der Hochphase der Proteste | |
| ist die deutsche und die europäische Iran-Politik der vergangenen zwölf | |
| Monate ein beschämendes Beispiel grundlegend fehlgeleiteter und unehrlicher | |
| Außenpolitik. | |
| Während uneingeschränkte Solidarität versprochen wurde, bekamen die | |
| Menschen im Iran Minimalsanktionen, die weder die Mullahs noch die | |
| Iranerinnen und Iraner beeindruckt haben und auch nicht beeindrucken | |
| sollten. | |
| ## Was versprochen wurde und was tatsächlich kam | |
| Die Diskrepanz zwischen dem, was versprochen wurde, und dem, was dann | |
| tatsächlich an Einsatz kam, ist besonders eklatant mit Blick auf die | |
| deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Sie nimmt für sich eine | |
| feministische Außenpolitik in Anspruch, die den Einsatz gegen systematische | |
| Unterdrückung von marginalisierten Gruppen einer Gesellschaft ins Zentrum | |
| der eigenen Politik rücken will. Wo, wenn nicht im Iran, einem Land, in dem | |
| sich ein ganzes Volk, angeführt von Frauen, gegen ein brutales Machtregime | |
| auflehnt, könnte es einen offensichtlicheren Anwendungsfall für | |
| feministische Außenpolitik geben? | |
| Aber anstatt den Frauen im Iran ihre Stimme zu leihen und damit die | |
| Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die Proteste zu lenken, war die | |
| Außenministerin auffallend zurückhaltend. Das hat einen einfachen Grund: | |
| Die Bundesregierung und die Europäische Union haben sich dazu entschieden, | |
| die revolutionäre Bewegung im Iran zugunsten von neuen Atomverhandlungen | |
| mit dem Regime auszusitzen. | |
| Die Bundesregierung mag noch so lange behaupten, dass mit dem Iran nicht | |
| verhandelt werde. Die Treffen vor allem von Diplomaten der E3, also | |
| Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, mit dem iranischen | |
| Vize-Außenminister zeichnen ein anderes Bild. Auf der Ebene der Politischen | |
| Direktoren, die schon den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA) | |
| verhandelt hatten, sind mindestens drei Treffen in diesem Jahr bekannt: | |
| Zwei im E3-Format, eines auf EU-Ebene. Wie der EU-Repräsentant twitterte, | |
| ging es dabei explizit auch um das weitere Vorgehen beim JCPoA. | |
| ## Neue Vereinbarungen? | |
| Es wäre wünschenswert, dass die Ziele der deutschen und europäischen | |
| Außenpolitik wenigstens ehrlich benannt würden. Denn nur dann kann man sie | |
| auch diskutieren. So wird der Elefant im Raum schlicht ignoriert, der darin | |
| besteht, dass das Regime nachweislich kein Interesse mehr am [2][JCPoA] hat | |
| und sämtliche Vorschläge einer Wiederbelebung im Sommer 2022 abgelehnt | |
| wurden. | |
| Warum sollte Teheran auf einmal seine Meinung geändert haben und neue | |
| Vereinbarungen anstreben? Zumal das Regime seine Atomwaffenfähigkeit | |
| inzwischen so weit gesteigert hat, dass es mindestens kurz davor ist, | |
| glaubwürdig mit der Atombombe drohen zu können. Dieses Drohpotenzial werden | |
| die Mullahs sich nicht mehr nehmen lassen. Sie spielen mit uns Katz und | |
| Maus und schauen genüsslich zu, wie Deutschland und die EU ihnen auf den | |
| Leim gehen. | |
| Statt das Regime zu isolieren, wird ihm durch Treffen und Gespräche, die | |
| der iranische Außenminister anschließend prompt auf Twitter verbreitet, | |
| Legitimation verliehen. Das Regime nutzt dies als Waffe gegen das eigene | |
| Volk. Die Botschaft lautet: Seht her, ihr könnt euch noch so sehr | |
| auflehnen, Europa wendet sich nicht von uns ab. | |
| ## Die rote Linie der Mullahs: die Terrorlistung | |
| Dabei hätte die EU es in der Hand, den Mullahs zu zeigen, auf wessen Seite | |
| sie steht, indem sie mit der Terrorlistung der Islamischen | |
| Revolutionsgarden Ernst macht. Die Terrorlistung wird von den Mullahs als | |
| rote Linie begriffen, die – davon muss man ausgehen – [3][zu einem Ende der | |
| Atomgespräche] führen würde. Darum findet sie nicht statt. Denn rechtlich | |
| ist die Terrorlistung der Revolutionsgarden, anders als vom Auswärtigen | |
| Amt wieder und wieder behauptet, machbar. Sie ist sogar überfällig. | |
| Allein die Ermittlungen und Anklage des deutschen Generalbundesanwalts im | |
| Fall der Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen würden | |
| ausreichen. Hinzu kommen Ermittlungen in vielen anderen EU-Staaten und | |
| Drittstaaten, die ebenfalls zur Beweisführung herangezogen werden können. | |
| Statt immer neue Ausreden anzuführen, sollte sich Außenministerin Baerbock | |
| endlich eindeutig und aktiv für dieses Ziel in der EU einsetzen. | |
| Wenn ein ganzes Volk im Hass gegen die Herrschenden geeint ist, dann lässt | |
| es sich nicht dauerhaft unterdrücken. Ich habe daher weiterhin Hoffnung, | |
| dass es den Menschen im Iran gelingen wird, sich aus der Unterdrückung der | |
| Mullahs zu befreien. Darum sind sie es, die wir unterstützen sollten, indem | |
| wir mit den Mitteln, die wir haben, dem Regime das Leben so schwer wie | |
| möglich machen. | |
| Ein Erfolg der Revolution im Iran, ob heute, morgen oder in einigen Jahren, | |
| wäre ein Weltereignis im positiven Sinne. Millionen Menschen würden sich | |
| aus der Unterdrückung befreien, Israel wäre ein Stück sicherer und die | |
| Dynamik der ganzen Region, in die das Regime Terror exportiert, würde sich | |
| zum Positiven verändern. Dass die deutsche und die europäische Außenpolitik | |
| diese Chance nicht sehen und auf der falschen Seite der Geschichte stehen, | |
| ist ein riesiges Versäumnis. Aber die Iranerinnen und Iraner werden es | |
| notfalls auch ohne Hilfe schaffen. | |
| 14 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Norbert Röttgen | |
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