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# taz.de -- Die Mullahs und der Gazakrieg: Wie Irans Regime ablenken will
> Die aggressive Außenpolitik der Islamischen Republik ist ohne die
> Innenansicht nicht zu erklären. Armut und Repressionen machen den
> Menschen zu schaffen.
Bild: Protest wird im Iran brutal unterdrückt. „Hinrichtungen stoppen“ for…
„Jahrelang habe ich jeden Tag gearbeitet, an manchen Tagen zwölf, 13
Stunden“, sagt Maryam Ahadi am Telefon. Und trotzdem ist sie jetzt, mit 32
Jahren, arbeitslos und hat kaum noch Geld für Essen, Kleidung oder Benzin.
Denn Sparen ist im Iran illusorisch. Maryam Ahadi hat promoviert und
arbeitete an der Universität in Teheran, bis sie wegen ihrer Unterstützung
der Protestbewegung gekündigt wurde. Weil sie [1][weitere Repressionen]
fürchtet, wurde ihr Name hier geändert.
Wirtschaftlich geht es den meisten Menschen im Iran wie Ahadi: extrem
schlecht. Hohe Preise und Arbeitslosigkeit machen einem großen Teil der
Bevölkerung ein normales Leben schier unmöglich. Dazu kommt die politische
Lage. Als im September 2022 [2][nach dem Tod von Jina Mahsa Amini] Tausende
von Menschen auf den Straßen protestierten und Frauen ihr Kopftuch
abnahmen, war Ahadi eine von ihnen. „Frau, Leben, Freiheit“ – das war ihr
Ruf. Und es war der Beginn einer staatlichen Repressionswelle, die bis
heute anhält.
2023 wurden laut der Menschenrechtsorganisation Abdorrahman Boroumand
Center (ABC) 806 Menschen hingerichtet. Die Islamische Republik Iran war
schon vor 2023 neben China das Land mit der höchsten Anzahl an
Hinrichtungen weltweit, gemessen an der Bevölkerung. Mehr als 800
Hinrichtungen sind aber selbst für das iranische Regime eine grausam hohe
Zahl. Massenhinrichtungen haben in der Islamischen Republik System: Von
Beginn waren sie ein Mittel der Macht.
„Das ist nicht das erste Mal, dass die Zahl der Hinrichtungen steigt“,
erklärt Roya Boroumand, Mitgründerin und Vorständin des ABC. In den 1980er
Jahren seien Tausende von Menschen hingerichtet worden, zur Konsolidierung
des Staats. Auch in der Folge der großen Proteste nach den gefälschten
Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 habe es einen „starken Anstieg an
Hinrichtungen“ gegeben, sagt Boroumand. „Willkürliche und
Massenhinrichtungen waren und sind immer noch ein Mittel, um Oppositionelle
zum Schweigen zu bringen und Angst in der Gesellschaft zu verbreiten“,
erklärt die Menschenrechtlerin.
## Kopftuch? Nur noch im Auto
Auch für Nava Shirazi (Name geändert, Anm.d.Red.) ist klar, warum das
Regime so viele Menschen hinrichtet: „Sie wollen uns Angst machen.“ Die
37-jährige Lehrerin trägt wie viele andere Frauen im Iran seit den
Protesten kein Kopftuch mehr, wenn sie draußen unterwegs ist. So groß die
Angst auch ist, diese Freiheit wird sie sich nicht mehr nehmen lassen. Sie
wurde mehrmals verhaftet und verhört. Auch ihr Auto wurde schon mal
einkassiert.
Im Auto setzen die meisten Frauen das Kopftuch auf, erzählen Shirazi und
Ahadi. Weil es fast unmöglich ist, den teuren Geldstrafen zu entgehen. Das
Auto wird den Frauen dann oft weggenommen. Über das Kennzeichen kann die
„Straftat“ schnell geahndet werden. Sobald sie das Fahrzeug verlässt,
erzählt Nava Shirazi, nimmt sie das Kopftuch sofort wieder ab. Das ist ihre
Art des Protestes. Die Straßenproteste aber, sagt sie mit hörbarer Trauer
in der Stimme, seien vorbei.
Mehr als 500 Menschen wurden bei der Niederschlagung von Protesten getötet;
viele von ihnen Kinder und Jugendliche. Die Macht des Regimes hat seit der
Islamischen Revolution im Jahr 1979 nie so gewackelt wie in der Zeit der
landesweiten Proteste im Jahr 2022. Trotz der vielen Ermordeten gaben die
Protestierenden monatelang nicht auf.
Also erdachte das Regime sich andere Methoden, um die Menschen zum
Schweigen zu bringen. Die bewaffneten Kräfte wurden angewiesen, Menschen
direkt in die Augen zu schießen. Hunderte von Menschen verloren so ihr
Augenlicht. Frauen wurde gezielt in die Genitalien geschossen. Erste
Hinrichtungen von Protestierenden folgten; die täglichen Proteste endeten
schließlich.
## Kriegspropaganda für den Machterhalt
Drei Monate lang hatte die Wut auf das Regime die friedlichen
Demonstrationen getragen. Drei Monate, in denen die obersten Führer des
Landes zum ersten Mal spürten, dass ihre Macht endlich sein könnte. Die
Auswirkungen dieser existenziellen Angst der Herrschenden spürt nun die
ganze Welt. Denn der aggressive außenpolitische Kurs des Regimes ist ohne
die innenpolitischen Entwicklungen nicht zu verstehen und nicht zu
erklären.
„Seit dem 7. Oktober findet nichts mehr, das im Land geschieht,
Aufmerksamkeit“, sagt Nava Shirazi. Als Beispiel nennt sie Armita Garavand.
Das 16-jährige Mädchen wurde Anfang Oktober 2023 in einer Teheraner U-Bahn
von sogenannten Sittenwächter:innen derart stark geschlagen, dass sie
ins Koma fiel; die junge Frau hatte kein Kopftuch getragen. Zunächst wurde
international berichtet – der Fall erinnerte an den Tod von Jina Mahsa
Amini, der die Proteste erst ausgelöst hatte. Als Armita Garavand Ende
Oktober verstarb, kriegte die Welt das kaum noch mit.
Nun ist überall die Rede von der „Achse des Widerstands“, der vermeintlich
letzten Bastion gegen Israel und die USA im Nahen Osten, angeführt von der
Islamischen Republik. Die iranischen Führer inszenieren sich seit dem 7.
Oktober noch offensiver als zuvor als „Retter“ des palästinensischen
Volkes, auch wenn ihnen dessen Schicksal herzlich egal ist – die
Palästinenser:innen sind für das iranische Regime nicht mehr als
Propagandainstrumente für ihren Machterhalt. Innerhalb des Landes starteten
die Machthaber eine aggressive Kriegspropaganda – die eigenen Reihen, die
während der Proteste einzelne Lücken aufzeigten, sollten geschlossen
werden.
Die iranische Führung verkauft sich seinen Gefolgsleuten als die Anführerin
für die „muslimische Sache“ weltweit. Das Zündeln des iranischen Regimes …
der gesamten Region ist ein großes Ablenkungsmanöver von der wachsenden
Repression und der immensen Wut der Menschen im Land. Der massive Anstieg
an Hinrichtungen geschieht im Windschatten der außenpolitischen Aktivitäten
des Regimes.
## Die Machthaber brechen ihre eigenen Regeln
Die innenpolitische Situation ist verheerend: Der Verfall der Währung,
Arbeitslosigkeit und Armut, Streiks und Proteste von Arbeiter:innen
wegen fehlender oder verspäteter Lohnauszahlungen, steigende Preise – und
die Wut der Bevölkerung darüber, dass das Regime Millionen an Dollar in die
Bewaffnung von Hisbollah, Hamas und anderen Gruppen steckt, während die
eigene Bevölkerung sich nicht einmal mehr Brot leisten kann.
Auch dahinter steckt Kalkül, meint die 32-jährige Maryam Ahadi. „Der
wirtschaftliche Druck auf den Menschen ist enorm. Wir sind kaum noch in der
Lage, uns mit etwas anderem zu beschäftigen.“ Es scheint eine Art
Ermüdungstaktik des Regimes zu sein – den Menschen Kräfte zu rauben und
gleichzeitig durch die staatliche Gewalt jeglichen Widerstand auszumerzen.
Dafür spricht zudem, dass die Machthaber ihre eigenen Regeln brechen, die
sie für den Schein stets vorgeben zu halten, erklärt Mina Khani, Sprecherin
der Menschenrechtsorganisation Hengaw. Ende Januar wurden die vier
kurdischen politischen Gefangenen hingerichtet. „Sie waren 19 Monate lang
verschwunden“, so Mina Khani. „Auf einmal kam die Meldung über ihre
Hinrichtung, ohne dass ihre Todesurteile überhaupt verkündet wurden.“
Die vier Männer hätten mit dem Mossad „kollaboriert“, so der Staat. Eine
offensichtliche Lüge, die als Kriegspropaganda verstanden werden kann – und
in ihrer Willkür die Menschen zermürben soll.
## Die Verbrechen dürften nicht vergessen werden
„Die internationale Gemeinschaft muss das iranische Regime zur
Verantwortung ziehen“, ist die Menschenrechtsaktivistin Roya Boroumand
überzeugt. Die Hinrichtungen hätten zu keinerlei Konsequenzen geführt, die
das Regime abschrecken würden. „Die internationale Gemeinschaft muss ihre
Strategie überdenken, um der iranischen Führung zeigen, dass ihre
Tötungsorgien nicht toleriert werden.“ Der iranischen Führung müsse
außerdem klar gemacht werden, dass ihre Verbrechen nicht vergessen werden,
sagt Boroumand.
Viele ihrer Freund:innen hätten den Iran im vergangenen Jahr verlassen,
erzählt die 37-jährige Lehrerin Nava Shirazi. Zwar kämpfen sie und ihre
Freundinnen auf ihre Art weiter. Während der Protestbewegung hätte die
ganze Welt auf sie geschaut. „Diese Unterstützung hat mein Herz erwärmt.
Wer hätte gedacht, dass Menschen auf der ganzen Welt Zan, Zendegi, Azadi
rufen?“, sagt sie lachend.
Aber nun fühlt sie sich im Stich gelassen. „Ich will auch nicht im Iran
bleiben“, sagt Nava Shirazi nach einer kurzen Pause. Sie weint. „Aber es
gibt für mich kein anderes Zuhause. Meine Heimat wird immer der Iran sein.“
10 Feb 2024
## LINKS
[1] /Journalist-ueber-Repression-im-Iran/!5985877
[2] /Ein-Jahr-Jina-Revolution-in-Iran/!5960056
## AUTOREN
Gilda Sahebi
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