# taz.de -- G-20-Gipfel in Indien: Neueste Trends auf der Modi-Schau | |
> Beim G20-Treffen in Delhi zeigen sich die Schwellenländer unter Führung | |
> des indischen Premierministers selbstbewusst. | |
Bild: In Schale geworfen: die Staats- und Regierungschef:innen der G20 beim Bes… | |
DELHI taz | Es ist ruhig in [1][Delhi]. In die Altstadt verirren sich kaum | |
Touristen, die sonst so überfüllten Straßen sind für indische Verhältnisse | |
nur spärlich bevölkert. Auch Rikschafahrer Rahul hat an diesem Wochenende | |
kaum Kunden, was er jedoch mit Fassung nimmt. Einen Gipfel dieser | |
Größenordnung habe es in Delhi noch nie gegeben, versichert er. | |
[2][Indien richtet den G20-Gipfel der Industrie- und Schwellenländer aus]. | |
Viele Bewohner:innen Delhis haben drei Tage frei und sind aufgefordert, | |
zu Hause zu bleiben. Damit sie wissen, wem sie dieses Großereignis zu | |
verdanken haben, hat Premierminister Narendra Modi, ein Jahr vor den | |
Parlamentswahlen, die Stadt mit G20-Grußbotschaften und seinem Konterfei | |
zuplakatieren lassen. | |
Für Modi läuft es gut. Schon einen Tag vor dem offiziellen Ende des Gipfels | |
am Sonntag konnte er einen großen Erfolg verkünden, nämlich die Einigung | |
auf eine gemeinsame Abschlusserklärung durch die 19 Mitgliedsländer der G20 | |
und die EU. Die Herstellung dieser Einstimmigkeit ist so etwas wie das | |
Gesellenstück einer jeden G20-Präsidentschaft. Indien hatte von Anfang an | |
darauf hingearbeitet, dass alle 20 Mitglieder, inklusive China und | |
Russland, dem Abschlusskommuniqué zustimmen. Das ist gelungen, doch es | |
hatte seinen Preis, den vor allem die Ukraine bezahlt. | |
[3][Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine] ist das zentrale Thema, | |
welches die G20 auseinanderdividiert. Anders als vor einem Jahr, als sich | |
die Gemeinschaft auf Bali in ihrer gemeinsamen Erklärung noch darauf | |
verständigte, dass „die meisten Mitgliedsländer den Krieg in der Ukraine | |
aufs Schärfste verurteilen“, heißt es nun schwammiger: Alle Staaten sollten | |
jede Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen, um sich fremde | |
Territorien einzuverleiben. Das ist ein Erfolg für Russland und China und | |
ein Dämpfer für die westlichen Industrieländer. | |
## Alle sehen einen Erfolg, nur die Ukraine nicht | |
In der Ukraine ist man enttäuscht über die Ergebnisse des Gipfels. Das sei | |
nichts, worauf die G20 stolz sein könnten, schrieb der Sprecher des | |
ukrainischen Außenministeriums Oleg Nikolenko auf X, vormals Twitter. | |
Indien hatte auch aus diplomatischen Erwägungen verhindert, dass der | |
ukrainische Präsident Wolodomir Selenski wie im vergangenen Jahr als Gast | |
zum Gipfel zugeschaltet wurde. Die russische Unterhändlerin Swetlana | |
Lukasch nannte die Erklärung dagegen ausgewogen. | |
Russland konnte noch einen weiteren Punkt für sich verbuchen. Die G20 rufen | |
dazu auf, die Lieferung von Düngemitteln und Getreide aus Russland und der | |
Ukraine zu gewährleisten. Zwar sind Getreide und Dünger gar nicht | |
sanktioniert, doch fällt diese russische Erzählung in den Ländern des | |
Globalen Südens, wo die Getreidelieferungen seit Kriegsbeginn ausbleiben, | |
die Preise steigen und Menschen hungern, auf fruchtbaren Boden. | |
Für Indien ist ein gemeinsamer Abschluss ein Muss gewesen. Der Gastgeber | |
habe besonders hart und lange verhandelt, hieß es auf dem Gipfel. Indem er | |
persönlich verhindert habe, dass der Ukrainekrieg, wie von den westlichen | |
Staaten gewünscht, alle anderen Themen überschatte, habe er dem Globalen | |
Süden wie versprochen eine Plattform geboten. Modi habe mit diesem | |
G20-Gipfel Geschichte geschrieben und Indiens Autorität auf der Weltbühne | |
unter Beweis gestellt. In den westlichen Industrieländern, die Indien als | |
strategischen Verbündeten gegen China und Russland umwerben, gönnt man den | |
Gastgebern den Erfolg und übt sich in Zurückhaltung. | |
Die Erklärung vertrete sehr gut den Grundsatz, dass Staaten keine Gewalt | |
anwenden dürften, um Gebietserwerb anzustreben, so der Sicherheitsberater | |
des amerikanischen Präsidenten Jake Sullivan. Und der deutsche Kanzler Olaf | |
Scholz bezeichnet es „für sich genommen als einen großen Erfolg“, dass ei… | |
gemeinsame Erklärung zustande gekommen ist. Das war in der Tat fraglich. | |
## Der ganze Ruhm geht an Modi | |
Noch wenige Tage vor dem Gipfel bemühte man sich im Berliner Kanzleramt, | |
die Erwartungen zu dämpfen. Auf ein gemeinsames Dokument in der | |
Bali-Sprache zu drängen, wäre unklug, hieß es aus dem Umfeld des Kanzlers. | |
Es könne auch ein gutes Zeichen sein, wenn sich im Abschlussdokument | |
Formeln wie die „Achtung der territorialen Integrität“ wiederfinden. | |
Immerhin, das ist gelungen. | |
Zumindest diese Formulierung könnte Russland unter Druck setzen. Dass | |
Russlands Präsident Wladimir Putin, der per internationalem Strafbefehl | |
gesucht wird, nicht nach Delhi kommen würde, war lange vorher klar. Er | |
hatte wie im vergangenen Jahr Außenminister Sergei Lawrow geschickt. | |
[4][Auch Chinas mächtigster Mann, Präsident Xi Jinping, war erstmals nicht | |
selbst zum Gipfel angereist]. Über seine Motive schwieg er sich aus. Man | |
vermutete, dass er dem Rivalen Indien mit seiner Abwesenheit die Party | |
verderben wollte. | |
Doch ob diese Taktik tatsächlich aufging? Wie Indien bemüht sich China um | |
den Posten als Klassensprecher des Globalen Südens. Nun blieb Xi Jinping | |
ausgerechnet jenem Gipfeltreffen fern, auf dem beschlossen wurde, die | |
Afrikanische Union, die Vereinigung von 55 afrikanischen Staaten, als | |
ständiges Mitglied in die G20 aufzunehmen. Den Ruhm dafür heimste Modi ein. | |
Die G20, die sich nun eigentlich in G21 umbenennen müssten, repräsentieren | |
bereits heute zwei Drittel der Weltbevölkerung und über 80 Prozent ihrer | |
Wirtschaftsleistung. Sie sind das einzige Forum, in dem Entwicklungsländer | |
und Schwellenländer mit den Industriestaaten auf Augenhöhe diskutieren, | |
Themen setzen und Selbstverpflichtungen eingehen können. Im diplomatischen | |
Instrumentenkasten sind sie unerlässlich, als Bausteine und Hebel für | |
bindende Verträge – von Klimaabkommen bis zu Friedensverhandlungen. | |
## Lula will Putin nicht verhaften lassen | |
Die Gipfeltreffen und Erklärungen sind aber auch so etwas wie die | |
Momentaufnahmen eines globalen Stimmungsbildes. Und das zeigt: Die Gewichte | |
verschieben sich. Der Globale Süden tritt lauter und selbstbewusster auf, | |
die westlichen Industrieländer bescheidener und zurückhaltender. Eine | |
Entwicklung, die Scholz eigentlich begrüßt. Nach dem Gipfel betonte er, | |
dass es darum gehe, an einer multipolaren Welt zu arbeiten, in der nicht | |
die Macht einzelner Staaten, sondern das internationale Recht die | |
Zusammenarbeit bestimme. Mit Ländern wie Indonesien und Indien, aber auch | |
Brasilien und Südafrika, die die nächsten G20-Gipfel ausrichten werden, | |
arbeite man daher gern zusammen. | |
Doch auch diese Zusammenarbeit hat ihre Tücken. [5][Brasiliens Staatschef | |
Lula da Silva], der die Präsidentschaft von Modi übernahm, kündigte | |
umgehend an, Putin nicht verhaften zu lassen, sollte er nächstes Jahr zum | |
G20-Treffen nach Rio de Janeiro kommen. Das ist eine explizite Einladung an | |
den russischen Staatschef. Die Verhandlungen für den nächsten G20-Gipfel | |
haben damit im Grunde schon begonnen. | |
10 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Natalie Mayroth | |
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