# taz.de -- Brasiliens Präsident Lula: Gottvertrauen in den linken Heiland | |
> Brasiliens Präsident schaffte es aus bitterer Armut an die Spitze seines | |
> Landes. Viele ärmere Landsleute vertrauen ihm deshalb blind. | |
Bild: Anhänger:innen von Präsident Lula da Silva im Wahlkampf 2022 in der Fav… | |
Im vergangenen Oktober war ich im Nordosten Brasiliens unterwegs. Mit einem | |
Mann namens Eraldo Ferreira Santos fuhr ich ins staubige Hinterland. Dort | |
steht eine kleine muffige Lehmhütte, stockdunkel, ohne elektrisches Licht. | |
Hier erblickte am 27. Oktober 1945 Luiz Inácio da Silva das Licht der Welt. | |
Unter dem Spitznamen „Lula“ wurde er später weltbekannt, heute ist er | |
Präsident von Brasilien. Mein Begleiter war Lulas Cousin. | |
Die meisten Politiker*innen Brasiliens stammen aus der Elite, Lula | |
wuchs in bitterster Armut auf. Wie Millionen von Landarbeiter*innen | |
floh seine Familie vor dem Hunger in den Industriegürtel São Paulos. Dort | |
schuftete Lula in Stahlwerken, wurde Gewerkschaftsführer und letztlich | |
Präsident. | |
Warum ich das erzähle? Weil Lula weiß, was es heißt, arm zu sein. Das macht | |
ihn nicht zwangsläufig zu einem besseren Politiker. Aber es macht ihn | |
authentischer. Und das ist wichtig, denn in Brasilien wählt man eine | |
Persönlichkeit, kein Wahlprogramm. | |
Viele identifizieren sich mit einem Landflüchtling, der nur wenige Jahre | |
die Schulbank drückte und immer noch mit breitem Nordost-Akzent | |
Portugiesisch spricht. Ebenso wie sich viele mit Ex-Präsidenten Jair | |
Bolsonaro identifizieren, einem ungehobelten Provokateur, der in | |
Fußballtrikots Interviews gibt und in Kneipensprache Opponenten | |
beschimpft. | |
## Andere Vorzeichen | |
Aber zurück zu Lula. Dieser ist seit dem 1. Januar erneut Präsident. Und er | |
hat sich Großes vorgenommen. Den Regenwald retten, Brasiliens demoliertes | |
Image reparieren, die Armut bekämpfen. Gerade beim letzten Punkt sind die | |
Hoffnungen groß. Wer, wenn nicht er? Während seiner ersten beiden | |
Amtszeiten konnte die Regierung tatsächlich die Armut massiv verringern und | |
den Hunger fast komplett ausrotten. | |
Die Bedingungen für Lulas Präsidentschaft waren damals aber andere. | |
Brasiliens Wirtschaft boomte, Rohstoffexporte spülten viel Geld in die | |
Kassen. Und jetzt? Nach vielen Krisen ist nur wenig zum Verteilen da, die | |
Jubeljahre sind schon lange vorbei. | |
Eine weitere Sache könnte zum Problem werden: Lula geriert sich – zumindest | |
im Ausland – [1][als Öko-Präsident und verspricht eine radikale Wende der | |
Umweltpolitik]. Wenn er es damit aber zu weit treibt, geht die Agrarlobby | |
auf die Barrikaden, die für die Exporte des Landes essenziell ist. Weniger | |
Einnahmen durch Exporte könnten wiederum weniger Geld für Sozialprogramme | |
bedeuten. Ein Dilemma. | |
## Lula, der Tintenfisch | |
Dennoch legte Lula ambitioniert los. Hier ein Programm zur Bekämpfung des | |
Hungers, dort ein bisschen mehr Sozialhilfe. Allerdings sind das eher | |
Reförmchen, von denen zwar einige profitieren werden, die aber auch | |
niemandem wirklich wehtun. [2][Strukturelle Veränderungen] sind mit einem | |
mehrheitlich rechten bis rechtsextremen Kongress nicht zu machen. | |
Oder doch? Schließlich heißt Lula nicht ohne Grund Lula, übersetzt: | |
Tintenfisch. Lula streckt seine Tentakeln gerne in alle Richtungen aus, er | |
ist ein Meister des Verhandelns. Wenn jemand der anderen Seite Kompromisse | |
abluchsen kann, dann ist es Lula. | |
Nachdem ich im vergangenen Oktober mit Santos auf den Spuren seines | |
berühmten Cousins war, kehrten wir in ein Restaurant ein. Irgendwann, nach | |
viel Grillfleisch und noch mehr Schnaps, verkündete er: „Lula wird immer | |
demütiger, je erfolgreicher er wird.“ Er habe nie vergessen, wo er | |
herkommt. Dies präge seine Politik, sei die Leitlinie seines Handels. Die | |
Erzählung vom linken Heiland, vom Super-Lula, vom Überpräsidenten, hört man | |
oft in Brasilien. Allzu oft wird sich dann aber darauf verlassen: Lula wird | |
es schon irgendwie richten! Nach vier Jahren unter Bolsonaro kann man das | |
sogar verstehen. Nur, realistisch ist es nicht. | |
13 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gipfel-zum-Schutz-des-Amazonas-Regenwalds/!5949432 | |
[2] /Transfeindlichkeit-in-Brasilien/!5940251 | |
## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
## TAGS | |
Kolumne Fernsicht | |
Luiz Inácio Lula da Silva | |
Brasilien | |
Schwerpunkt Armut | |
Politiker | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Brasilien | |
Luiz Inácio Lula da Silva | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Rassismus in Brasilien: Was Lula nicht sieht | |
Der Protest schwarzer Frauen in Rio de Janeiro zeigt: Das Land tut viel zu | |
wenig gegen den tiefsitzenden Rassismus in der Gesellschaft. | |
Menschenrechte und Waldschutz: Umstrittenes Gesetz in Brasilien | |
Das Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das die Rechte der indigenen | |
Bevölkerung einschränkt. Ob Präsident Lula ein Veto einlegt, ist fraglich. | |
Wegen Korruption in Haft: Personalie „Lula“ spaltet Brasilien | |
In Brasilien kommt Bewegung in den Fall des früheren Präsidenten Luiz | |
Inácio Lula da Silva. Womöglich kommt er bald aus dem Gefängnis. |