| # taz.de -- Blasphemiegesetz in Dänemark: Kein Gott vorm Staat | |
| > Um Koranverbrennungen zu stoppen, wollen die dänischen Sozialdemokraten | |
| > Gotteslästerung wieder unter Strafe stellen. Das ist ein Rückschritt. | |
| Bild: Rasmus Paludan und die Partei Stram Kurs verbrennen einen Koran in Kopenh… | |
| Gesellschaftlicher Fortschritt ist kein Automatismus. Das zeigt sich dieser | |
| Tage wieder einmal in Dänemark. Die dortige sozialdemokratische Regierung | |
| will Gotteslästerung erneut unter Strafe stellen, um eine neuerliche Welle | |
| von Koranverbrennungen zu brechen. Sie möchte gerne zurück ins Jahr 1683 – | |
| als sich das Königreich seinen ersten Blasphemieparagrafen gab. Lang ist’s | |
| her: Im selben Jahr endete auch die zweite Belagerung Wiens durch die | |
| osmanische Armee. | |
| In den letzten Monaten hatte unter anderem der rechte Politiker Rasmus | |
| Paludan mehrere [1][Korane verbrannt], was zu teils gewaltsamen | |
| Gegenprotesten führte. Die „unangemessene Behandlung von Objekten, die | |
| für eine Religionsgemeinschaft eine wichtige religiöse Bedeutung haben“, | |
| soll in Dänemark deswegen mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. | |
| [2][Die französische Satirezeitung Charlie Hebdo, der bekanntlich nichts | |
| und niemand heilig ist,] tat sich diese Woche mit 17 skandinavischen | |
| Blättern zusammen, um gegen das Gesetz und für die Meinungsfreiheit zu | |
| protestieren. | |
| [3][In der Tat hatte das dänische Parlament den alten | |
| Gotteslästerungsparagrafen erst 2017 abgeschafft]. Den Anstoß gab damals | |
| kurioserweise eine Anklage nach einer Koranverbrennung. Daraufhin forderte | |
| die linke „Einheitsliste“, den Paragrafen 140 zu streichen; die | |
| Mitte-rechten Sozis hingegen verteidigten damals wie heute diesen | |
| vormodernen Straftatbestand, um des „öffentlichen Friedens“ willen. | |
| ## Vulgär und subversiv | |
| Ein Akt, der die Meinungsfreiheit beschneidet, der aber auch unter Linken | |
| Sympathien findet, könnte ein solches Gesetz doch eine religiöse Minderheit | |
| vor den Provokationen rechter Fanatiker schützen. Doch obwohl die | |
| Verbrennung heiliger Schriften oft vulgär ist, wohnt dem Bildersturm – der | |
| Zerstörung religiöser Ikonen – auch ein subversives Potenzial inne: Erst | |
| Anfang August schredderte die feministische dänisch-iranische Künstlerin | |
| Firoozeh Bazrafkan einen Koran vor der iranischen Botschaft in Kopenhagen | |
| und trug dabei ein „Woman Life Freedom“-Shirt – ein Akt des Widerstands | |
| gegen die Ajatollahs in Teheran. | |
| Da wäre auch die Fotografin Sooreh Hera, ebenfalls Iranerin: Ihr Bild „Adam | |
| & Ewald“ von 2007 zeigt zwei schwule Männer mit Masken des Propheten | |
| Mohammed und seines Schwiegersohns Ali. Das Gemeentemuseum in Den Haag | |
| zensierte das Bild damals, vorgeblich, um die „religiösen Gefühle“ von | |
| Muslimen nicht zu verletzen – aber wohl eher aus Angst vor | |
| Terroranschlägen. | |
| Unter dem vorgeschlagenen Paragrafen müssten der Protest und Kunst von | |
| Bazrafkan und Hera ebenfalls verfolgt werden. Denn das Gesetz kann nicht | |
| zwischen „guter“ und „schlechter“ Gotteslästerung unterscheiden. Auch … | |
| Kunst- und Meinungsfreiheit weiter im Gesetz bestehen bleiben, müssten die | |
| Rechtsgüter dann immer mit dem Blasphemieparagrafen abgewogen werden. | |
| Die Rechte migrantischer Künstlerinnen stehen hier also ebenso auf dem | |
| Spiel – und gar die von Muslimen selbst. Denn es sind Minderheiten, die in | |
| der Mehrheitsgesellschaft am meisten von einer breiten Religions- und | |
| Meinungsfreiheit profitieren. Der Staat verteidigt diese Freiheiten also | |
| entweder für alle – oder schafft sie für alle ab. | |
| Das Blasphemiegesetz fügt sich in ein größeres Bild der dänischen Politik | |
| ein. In das Bild einer Regierung, die es mit einigen fundamentalen | |
| Menschenrechten nicht mehr so genau nimmt. Seit Jahren schotten sich die | |
| Dänen gegen Einwanderer*innen ab; 2019 gab die sozialdemokratische | |
| Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die Losung aus, „keine Asylsuchenden“ | |
| mehr aufnehmen zu wollen. Vergangenes Jahr begann ihre Regierung dann gar, | |
| Geflüchteten aus Syrien die bereits erteilte Aufenthaltserlaubnis zu | |
| entziehen. Sie können seitdem in ein Land abgeschoben werden, in dem nach | |
| wie vor die faschistische Assad-Familie herrscht. | |
| Dieselbe dänische Regierung, die künftig religionskritischen Protest | |
| verbieten will, möchte also auch Syrer*innen aus ihren Wohnungen zerren | |
| und sie ins Flugzeug Richtung Damaskus setzen. Klingt das nach einem Staat, | |
| der sich wahrhaft um das Wohlergehen von Minderheiten sorgt? | |
| 7 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Leon Holly | |
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