| # taz.de -- Baba Stiltz' Album „Paid Testimony“: Autofiktionales Trinken | |
| > Erst Star-DJ, jetzt Singer-Songwriter. Der schwedische | |
| > Elektronikproduzent Baba Stiltz kehrt mit dem Album „Paid Testimony“ zu | |
| > seinen Anfängen zurück. | |
| Bild: Einflüsse aus Kalifornien und New York: Baba Stiltz. Bitte Aufkleber im … | |
| Zum ersten Mal kann ich zeigen, wer ich wirklich bin“, sagt der Stockholmer | |
| DJ Baba Stiltz über sein neues Album: „Paid Testimony“ erschien vor Kurzem | |
| [1][beim Münchener Label Public Possession]. Wer ist Baba Stiltz? Zuletzt | |
| veröffentlichte der Schwede die EP „Journals“, vergangenes Jahr brachte er | |
| die Kassette „In L.A.“ raus. Auf „Paid Testimony“ verfeinert er den gro… | |
| Folkrock der EP zu einem von Blues und Americana beeinflussten | |
| Singer-Songwriter-Sound. Statt mit Beats zu experimentieren, beschäftigt | |
| sich der 30-Jährige nun mit dem Klangspektrum seiner Akustikgitarre. | |
| Und doch klingt die Musik von „Paid Testimony“ überraschend. Denn Stiltz, | |
| der sich seit Mitte der Zehner mit seinen funkigen und oftmals | |
| gesangslastigen Dancefloor-Tracks in der House-Szene einen Namen gemacht | |
| hat, lässt diesen eher groben Background mit feinsinnigen Folkideen | |
| kollidieren. | |
| Seine Elektronik-Karriere startete er schon als Teenager beim Stockholmer | |
| Label Studio Barnhus, später veröffentlichte er auch [2][beim britischen | |
| Label The Trilogy Tapes]. Baba Stiltz kollaborierte mit [3][dem | |
| US-chinesischen Techno-Produzenten Tzusing] und [4][produzierte Tracks für | |
| den schwedischen Rapper Yung Lean]. Auch der nigerianische Afrobeats-Star | |
| Burna Boy führt ihn in seinen Songwriter-Credits an. | |
| ## Uferlose DJ-Jetset-Kultur | |
| Beim Zoom-Interview sitzt er in seinem Studio in Stockholm, gerade | |
| zurückgekehrt von einer Asientour. Im Gespräch übt er Kritik an der | |
| uferlosen DJ-Jetset-Kultur, zu der er aber selbst beiträgt, zum Beispiel | |
| mit Mixen für Boiler Room. „Für mich bedeutet Musik alles. Nun bin ich aber | |
| nicht mehr 22. Ich will mit Musik nachhaltig wachsen.“ Über seine | |
| Zukunftspläne verrät Stiltz wenig. Lieber bleibt er in der Gegenwart und | |
| macht deutlich, dass er sich in seiner neuen Rolle als Singer-Songwriter | |
| wohlfühlt. Schließlich sei dies eine Rückkehr zu den Anfängen. | |
| „Ich habe als Jugendlicher bereits zwei Folktronica-Alben veröffentlicht | |
| und zuvor in diversen Bands gespielt. Selbst meine House-Tracks habe ich | |
| auf der Gitarre komponiert“, erzählt er. Seine Eltern brachten ihm Blues | |
| von Lightnin’ Hopkins, Glamrock von den New York Dolls und Folk von Nick | |
| Drake nahe. Aufgewachsen ist er in Stockholm, sein Vater ist US-Filippino | |
| und seine Mutter hat neben der schwedischen auch die britische | |
| Staatsangehörigkeit. | |
| „Ich bin Filipino-Amerikaner. In Schweden, dem weißesten Land der Welt, | |
| aufzuwachsen ist äußerst seltsam, wenn man gemischter Herkunft ist. Mit | |
| Anfang 20 habe ich oft damit gehadert. Inzwischen gelingt es mir besser, | |
| einfach nur ich selbst zu sein“, sagt Stiltz über seinen Background. Jedes | |
| Jahr besucht er Familie und Freunde in Kalifornien. | |
| ## Unendliche Weiten des US-Westens | |
| Bei einem Aufenthalt dort Anfang des Jahres entstand dann auch die Musik | |
| für „Paid Testimony“. Mehr als Los Angeles interessiert ihn die | |
| kalifornische Provinz. In den neun Songs beschwört Stiltz beinahe stereotyp | |
| die unendlichen Weiten des US-Westens herauf. Im Auftaktsong „Finite Jest“ | |
| setzt er wabernde Reverb-Effekte ein, in „Wild Ride“ treibende Kuhglocken | |
| und Körperperkussion, in „Chasing It Again“ knisternde E-Gitarren-Riffs. | |
| Dazu singt er in Slackermanier. | |
| Seine Stimme klingt oft monoton, gleichzeitig wirkt sie weich und warm. | |
| „Damn, I’m stuck in the past“, singt er in „Sacramento“. Tatsächlich… | |
| er als Songwriter eher nostalgisch als avantgardistisch, anders als in | |
| seinen elektronischen Tracks. | |
| Die New Yorker Punkszene der 70er Jahre dient ihm ebenfalls zur Inspiration | |
| für die Musik. Dabei gibt es wiederum eine Verbindung zu seiner | |
| schwedischen Heimat. Am deutlichsten wird das bei seiner Coverversion von | |
| Johnny Thunders’ altem Hit „You Can’t Put Your Arms Around A Memory“, zu | |
| dem Baba Stiltz eine persönliche Verbindung hat. „Mein Vater hing oft mit | |
| Johnny Thunders in Stockholm ab“, erzählt er im Interview. | |
| ## „They’re all drunk“ | |
| Sein Coverversion ist akustisch, die Akkorde greift er mittels | |
| Fingerpicking. Hin und wieder flackert wie im Original ein E-Gitarrenriff | |
| im Hintergrund auf. Bei Stiltz klingt es nicht punkig, sondern dezent | |
| bluesig. | |
| An die eindringliche, von einsamer Verzweiflung gezeichnete Stimmung des | |
| Originals kommt er nicht heran. Dem Cover wohnt dafür ein eigenwilliger | |
| melancholischer Grundton bei, der ebenso schwer zu fassen ist wie beim | |
| Original. Auch Lou Reed widmet Stiltz eine Hommage. „Für mich ist Reed der | |
| wichtigste Künstler des 20. Jahrhunderts“, sagt er über sein Idol. | |
| Am Anfang des Songs „Stockholm“ sampelt er ein Zitat von Lou Reed aus der | |
| US-Komödie „Blue In The Face“ (1995). Darin spricht Reed über Schweden: �… | |
| get scared in Sweden. Its kind of empty, they’re all drunk, everything | |
| works.“ Reeds Bemerkung passt sich nahtlos in Stiltz’ Song ein, in dem er | |
| sich selbst wie ein Außenseiter durch seine Heimatstadt bewegt. | |
| ## Eindrücke im Bewusstseinsstrom | |
| In seinem Songwriting lässt er sich autobiografisch beeinflussen, gibt | |
| Anekdoten wieder, die für Außenstehende nicht immer sofort verständlich | |
| sind. Oftmals geht es darin um Trinkgelage und die schrägen Gestalten, die | |
| einem in angeheiterten Nächten begegnen. „Autofiktionales Schreiben ist | |
| gerade ein großer Trend. Auch in meinen Songs wird deutlich, dass alles von | |
| mir handelt“, sagt er lakonisch. | |
| Immer wieder verhandelt Stiltz seine Herkunft. „Northern California, that’s | |
| where my dad was raised/Northern California it’s a very real place“, singt | |
| er in „Sacramento“. Im Song „Stockholm“ widmet er sich wiederum seiner | |
| Heimatstadt. „Stockholm ist komisch geworden“, sagt er im Gespräch. „Ich | |
| bin genervt von Södermalm, dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin. Alles | |
| ist teuer geworden, es gibt nur noch Weinbars und Smashburger.“ | |
| Im Song zählt er seine Eindrücke im Bewusstseinsstrom auf, der in folgende | |
| Überlegung mündet: „Young professionals carelessly living/I can’t say that | |
| I’m not jealous/ Even though I live my life just like they do.“ Diese | |
| Aussage kann man Stiltz nicht ganz abkaufen. Mit beachtlichen | |
| Produktionscredits, weltweiten DJ-Gigs und der Parallelkarriere als | |
| Singer-Songwriter ist er eine Ausnahmeerscheinung. Und das fernab der | |
| Stockholmer Musikszene. | |
| 2 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Labelportraet-Public-Possession/!5288152 | |
| [2] /Labelportraet-The-Trilogy-Tapes/!5019763 | |
| [3] /Techno-Produzent-Tzusing/!5930828 | |
| [4] /Musiklabel-Year0001-auf-Tiktok/!5889836 | |
| ## AUTOREN | |
| Louisa Zimmer | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| elektronische Musik | |
| Singer-Songwriter | |
| DJ | |
| Blues | |
| Americana | |
| Dancefloor | |
| House | |
| Stockholm | |
| Kalifornien | |
| Performance | |
| Singer-Songwriter | |
| Seoul | |
| Singer-Songwriter | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vinyl Release des Albums „intimate yell“: Ein Bett aus Stimmen | |
| Ein Chor, viele Assoziationen und trockener Humor: der Vinyl Release von DJ | |
| Courtesys Album will Öffnung zwischen den Künsten sein. | |
| US-Songwriterin Rickie Lee Jones: Manierismen und all that Jazz | |
| Die Frau mit dem Barett: US-Singer-Songwriterin Rickie Lee Jones | |
| veröffentlicht das Album „Pieces of Treasure“. Würdigung einer großen | |
| Künstlerin. | |
| Soloalbum von Hans Nieswandt: Blumen des Guten | |
| Mit „Flower Hans“ baut der in Seoul lebende Elektronikproduzent Hans | |
| Nieswandt eine Brücke zwischen Westcoast-Hippiesound und House. | |
| Neues Album von Sängerin Anna B Savage: Sehnsucht nach körperlicher Nähe | |
| Ohne Emo-Kitsch: Die britische Künstlerin Anna B Savage spielt auf ihrem | |
| neuen Album „InFlux“ Singer-Songwriter-Folk in zeitgemäßem Gewand. |