# taz.de -- Neues Album von Sängerin Anna B Savage: Sehnsucht nach körperlich… | |
> Ohne Emo-Kitsch: Die britische Künstlerin Anna B Savage spielt auf ihrem | |
> neuen Album „InFlux“ Singer-Songwriter-Folk in zeitgemäßem Gewand. | |
Bild: Stil ohne jede Befindlichkeit: Anna B Savage | |
Unruhiges Pochen, fast wie ein Marsch, doch einladend sanft, später der Ruf | |
eines Kauzes im Wald, dazu das Trommeln von Rotorblättern und stumpfe Töne | |
eines präparierten Klaviers, die von einer akustischen Gitarre | |
umschmeichelt werden: Die Songs von Anna B Savage beginnen | |
aufsehenerregend. Wohin mag die britische Künstlerin mit ihrer Musik | |
führen? | |
Auf ihrem zweiten Album setzt die 32-Jährige ihren Weg fort, solide | |
Singer-Songwriter-Kompositionen mittels ideenreichen Arrangements und | |
interessanten Detaillösungen zu verfeinern. Im Dienst einer subtilen | |
Innerlichkeit verlassen die Kompositionen der in Dublin lebenden Britin | |
immer wieder das derzeit gültige Regelwerk musikalischer Selbstdarstellung | |
und verbleiben im Stillen. | |
Zum Glück, denn Anna B Savage berichtet von Zwischenräumen, gefährlichen | |
Orten des Gefühlslebens. Zur akustischen Gitarre im fast geflüsterten „Say | |
my name“ leiten urplötzlich ein Saxofon und ein bedrohliches Klappern aus | |
dem Miteinander in eine panische Kakophonie der Verlassenheit ein. | |
## Ekstatische Version von Freiheit | |
Das Titelstück „InFlux“ konkretisiert diese Trennungssituation, er fühlt | |
sich nicht wahrgenommen, Vorwürfe, Streit. Der Zusammenhalt des Paars | |
verliert sich in einem Bläserarrangement. Als daraus ihre Vision erklingt, | |
erhebt sich das Stück zum elektronischen Groove, der das flehende Ansinnen | |
„Please believe me – I want to, I want to be alone“ in eine ekstatische | |
Vision der Freiheit verwandelt. | |
Auch dies gelingt Anne B Savage fern der mit verwaschener Sprache und | |
kopfstimmigen Eruptionen imitierten Gefühlswallungen, welche, etwa bei | |
Popstars wie Adele, Beziehungen als Akte der Selbstinszenierung entlarven. | |
Savage hingegen singt klar und in warmer, kehliger Dunkelheit und kreiert | |
so eine Poesie, ökonomisch in Worten. Fans von Künstlerinnen wie Weyes | |
Blood und [1][Aldous Harding] werden nicht enttäuscht, sofern sie deren | |
Retro-Posen mit Anna B Savages mutigeren Klängen tauschen mögen. | |
Hierbei hilft Produzent Mike Lindsay, der in den nuller Jahren mit der | |
Brasilianerin Cibelle und seinem eigenen Projekt Tunng den | |
„Folkatronic“-Stil schuf, nun aber vor allem Soulelemente beisteuert. | |
Dadurch erinnert das Finale „The Orange“ gar an den kürzlich verstorbenen | |
[2][Burt Bacharach]. Er komponierte zusammen mit dem Texter Hal David Mitte | |
der 1960er den Soundtrack der ersten Generation junger Frauen, deren | |
Liebesleben sich dank der durch die Pille ermöglichten Freiheit gewandelt | |
hatte. | |
Es waren Lieder, differenzierter, zarter, auch tiefer als jene aus der | |
Ferne schmachtenden Dramen früherer Jahre. Doch als die Popautoren Ende der | |
1960er von Singer-Songwritern verdrängt wurden, gelangte die puritanische | |
Idealisierung des bürgerrechtsbewegten Folkrevivals in den Song. | |
Großstädtische Modernität wich dem körperlos engelsgleichen Sopran | |
trauriger Landpomeranzen. | |
Eine Männerfantasie wohlgemerkt, und es bedurfte der stimmlichen | |
Selbstbefreiung Joni Mitchells, um wieder realistische Bilder der Liebe | |
zeichnen zu können, nun oft auf die Schattenseite der Beziehungen | |
reflektierend. Ist seitdem viel geschehen? | |
Anna B Savage beendet den letzten Song mit „I think I’m gonna be fine“, | |
trotz des Dramas einer Trennung und der Sehnsucht nach erfüllender Lust. Es | |
spricht für die Lust, dass sie verwirrend intensive Erinnerungen | |
hinterließ. Wo in Joni Mitchells Songs der männliche Verführer und Betrüger | |
mit all seinen Qualitäten und Marotten erschien, verbleibt er bei Savage | |
als fremder, stummer Schatten. | |
Irgendwann sind wir hinter die 1960er zurückgefallen. Das berichten auch | |
die Songtexte von Anna B Savage, jedoch ihre Musik arbeitet an neuen | |
Aufbrüchen: „Pull my hair, caress my cheek / One more graze that lingers / | |
My mouth would part to welcome those fingers“, lange her, dass so | |
sehnsuchtsvoll über körperliche Nähe gesungen wurde. | |
4 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Oliver Tepel | |
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