# taz.de -- Nachruf auf den Musiker Burt Bacharach: The Big Easy | |
> Burt Bacharachs Musik wird leicht abfällig als Easy Listening | |
> kategorisiert, aber versuchen Sie mal „What's New Pussycat“ zu singen! | |
Bild: Er prägte die Popmusik entscheidend mit: Burt Bacharach, 2015 | |
Man könnte es sich leicht machen und einfach die Hits aufzählen: Wer | |
Evergreens wie [1][„I Say A Little Prayer“], „[2][Raindrops Keep Falling … | |
My Head]“, „[3][I’ll Never Fall In Love Again]“ und „[4][A House Is N… | |
Home]“ komponiert hat, hat selbstverständlich einen Ehrenplatz in der | |
Ruhmeshalle des Tonsatzes sicher. | |
Mit diesen Songs wurde Burt Bacharach – und sein Textdichter Hal David – in | |
den 1960-er Jahren eine Berühmtheit, und Interpret*innen wie Aretha | |
Franklin, Tom Jones und The Carpenters rissen sich um seine Stücke. Der | |
kommerzielle Erfolg gab ihm aber auch die Freiheit, die Grenzen des | |
Pop-Song-Formats auszutesten, Orchideeninstrumente wie das Cymbalon oder | |
die Bass-Marimba ins Pop-Universum einzuführen, mehrfach mitten im Song den | |
Takt zu ändern und Melodien zu ersinnen, die man als gemeine*r | |
Radiohörer*in nicht ohne weiteres mitsummen kann (versuchen Sie mal | |
„What’s New Pussycat“ zu singen!) – auch wenn die Musik speziell von | |
Rockfans etwas verächtlich als „Easy Listening“ kategorisiert wurde. | |
Einige dieser gewagten Minidramen voller schwierig zu dechiffrierender | |
Dissonanzen mussten dann auf B-Seiten oder irgendwo auf Alben versteckt | |
wurden, vorzugsweise denen seiner Lieblingsinterpretin Dionne Warwick: | |
Songs wie „Don’t Say I Didn’t Tell You So“, “Walking Backwards Down T… | |
Road“, “Fool Killer“ oder “Let Me Go To Him“ bringen eigentlich erst … | |
richtigen, ganzen Bacharach nach vorne. | |
Gelernt hatte der 1928 in Kansas City geborene Bacharach das | |
Kompositionshandwerk bei niemand geringeren als Darius Milhaud an der | |
Mannes School of Music in New York. Es war die Zeit von Atonalität und | |
„Fäuste-auf-dem-Piano-Zeug“, wie sich Bacharach später erinnerte. Milhaud | |
hörte jedoch eine Sonatine von ihm und bestärkte ihn darin, tonal zu | |
arbeiten: „Das ist nichts wofür man sich schämen muss.“ | |
Ab Mitte der 1950-er Jahre versuchte sich Bacharach als Pop-Songschreiber | |
mit wechselnden Textern, traf Hal David und gemeinsam hatten sie erste | |
kleinere Chartserfolge. Als ihm jedoch ein fester Job als Orchesterleiter, | |
Arrangeur und Tour-Pianist von Marlene Dietrich angeboten wurde, nahm er an | |
und reiste drei Jahre mit ihr durch die Welt. | |
## Der Sound der Sixties | |
Erst Anfang der 1960-er Jahre intensivierte er wieder die Zusammenarbeit | |
mit David und als sie die Ausnahmesängerin Dionne Warwick entdeckten und | |
begannen, ihr ein Repertoire maßzuschneidern, kam der kommerzielle Erfolg. | |
Bacharach sollte den Sound der noch heute so sehnsüchtig geliebten | |
Pop-Sixties nicht weniger prägen als die Beatles, Bossa Nova und Tamla | |
Motown. Bacharach/ David wurden mit Preisen überschüttet und mit seiner | |
zweiten Frau, der Schauspielerin Angie Dickinson, war Bacharach Teil des | |
Jet Sets. | |
Der Break kam 1973, als der Film „Lost Horizon“ mit einem exzellenten, aber | |
extrem arbeitsufwändigen Bacharach/ David-Soundtrack an der Kasse und bei | |
den Kritikern floppte, worüber die Partnerschaften mit Hal David und in der | |
Folge auch mit Dionne Warwick zerbrachen. Es folgten persönliche, kreative | |
und juristische Krisen und die musikalischen Vermächtnisse aus dieser Zeit | |
sind zwar superschön, aber auch ausgesprochen düster (etwa das Soloalbum | |
„Futures“ von 1976). | |
Umso strahlender fiel dann 1985 das Comeback aus, als der von Dionne | |
Warwick (mit Hilfe von Stevie Wonder, Elton John und Gladys Knight) | |
gesungene Aids-Benefiz-Song „That’s What Friends Are For“ sich zur | |
weltweiten Nummer eins hochschraubte. | |
## Die schrecklichen Achtziger | |
Künstlerisch bekamen die schrecklichen Achtziger allerdings auch Bacharach | |
nicht gut und Freunde seiner hochkomplexen Sixties-Pop-Artistik tun gut | |
daran, diese Veröffentlichungen zu meiden. Besser gelangen ihm spätere | |
Kollaborationsprojekte, etwa „Painted With Memory“ (mit Elvis Costello, | |
1998) oder „At This Time“ (mit Rufus Wainwright, 2005). Ein weiteres Album | |
mit Costello war zum Zeitpunkt seines Todes in Arbeit. | |
Bacharach war immer genauso Produzent wie Komponist, dachte | |
Instrumentierung, Produktion und Effekte bei der Kreation mit, weswegen er | |
auch nicht am Piano arbeitete wie die meisten seiner Kolleg*innen. | |
„Ich habe immer in meinem Kopf komponiert“, verriet er mir bei einem | |
Interview 1996. „Wenn man am Piano schreibt, suchen die Finger automatisch | |
die Wege, die sie kennen, weil sie sie oft gegangen sind. Nur wenn ich auf | |
dem Sofa liege, kann ich mir die ganze Linie vorstellen. Es gibt Leute, die | |
erfolgreich am Klavier arbeiten können, aber ich bevorzuge die Horizontale | |
und habe Notenpapier dabei, um Notizen machen zu können.“ | |
Bis zuletzt reiste Bacharach als Pianist und Orchesterleiter durch die Welt | |
und Zeugen dieser Konzerte waren erstaunt über die jugendliche Frische des | |
über 90-Jährigen. Burt Bacharach starb am 8. Februar in Los Angeles. | |
10 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://youtu.be/TDyiREoBw0o | |
[2] https://youtu.be/BjFqbGkclYY | |
[3] https://youtu.be/FzQBOBoPg04 | |
[4] https://youtu.be/K0fSMnGsBww | |
## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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