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# taz.de -- Labelporträt Public Possession: Lust am Ironisieren
> Das Münchner Label Public Possession hat im Ausland einen exzellenten Ruf
> für unprätentiösen House- und Ambient-Sound. Völlig zu Recht.
Bild: Understatement im Schaufenster, die Telefonnummer reicht
Fast unbemerkt schiebt sich ein dampfender Stahlkochtopf ins Bild. Von den
rotierenden Plattentellern und den Handgriffen des DJs schwenkt die Kamera
blitzartig auf einen Brotkorb mit Brezn. Ein DJ-Pult mit Weißwurstbuffet –
so hat das Münchner Label Public Possession im vergangenen Jahr den
Online-TV-Sender Boiler Room empfangen, ziemlich respektlos, wenn man
bedenkt, dass Boiler Room als wichtigste Netzplattform für elektronische
Musik gilt.
Lokalkolorit als Promo-Gag. Und ein Bruch mit dem mythenumrankten Bild vom
DJ, der meist inszeniert wird, wie er von der Kanzel herunter zur tanzenden
Gefolgschaft predigt. In jedem Fall humorvolles Understatement.
Mit diesem betreiben Marvin Schuhmann und Valentino Betz seit Frühjahr 2013
Public Possession Records. Dahinter verbirgt sich neben ihrem unabhängigen
kleinen Label, das stilistisch in einer Grauzone zwischen House, Ambient
und Electro operiert, auch ein Plattenladen. Dort verkaufen die beiden
Youngster Vinyl, an das zuvor in München nicht ranzukommen war: „Wenn wir
neue Musik wollten, mussten wir ins Netz gehen oder in andere Städte
fahren“, sagt Valentino Betz.
## Die nördlichste Stadt Italiens
Also haben sie den Laden, der ihnen gefehlt hat, einfach selbst eröffnet.
Hartnäckig hält sich die Behauptung, München sei die nördlichste Stadt
Italiens. Mit der unprätentiösen Musik auf Public Possession lässt sich
dies nun untermauern. Denn einerseits wirkt der Public-Possession-Sound von
leichter Hand gezeichnet, nie zu niedlich, eher grantig und fett im Groove.
Andererseits ist die Musik mit einer Pop-Sensibilität ausgestattet.
Seit Längerem legen Schuhmann und Betz, beide 29, zusammen als DJ-Team auf.
2007 haben sie sich einen Sommer lang in kleinen Bars ans Deejaying
herangetastet, damals noch als Marvin & Valentino. „Wir haben Platten in
Baumarktkisten durch die Stadt geschleppt“, erinnert sich Betz, „meganervös
und parfümüberschüttet.“ Inzwischen bespielen sie als Public Possession
Clubs von Mailand über Sydney bis Los Angeles. Und stehen mit ihrer
Zwei-Mann-Plattenfirma für einen eigenständigen Stilmix abseits dessen, was
in vielen Clubs gerade en vogue ist.
„Uns war immer wichtig, kein reines Dance-Label zu machen“, erklärt Marvin
Schuhmann, „das entspricht auch nicht der Art, wie wir auflegen.“ Und
tatsächlich fällt es schwer, den Labelsound in ein Genrefach
einzusortieren. Da wäre zum Beispiel Obalski mit seinen sparsam
instrumentierten Ambient-Tracks. Oder der Schwede Anton Klint, dessen
hypermelodische EP „Drunch“ dringend auf die Tanzfläche bittet. Der
Moskauer Produzent TMO wiederum legt über knarzige Four-to-the-Floor-Beats
gerne mal Synthesizer-Hooks, die im Ohr haften bleiben.
Musikalisch ist die einzige Konstante im Public-Possession-Universum die
Liebe zur Melodie, zur Eingängigkeit. „Wir tendieren schon in eine poppige
Richtung“, sagt Marvin Schuhmann. Bei ihren Künstlern achten sie auf eine
je eigene Klangsignatur, „man soll merken, dass sie sich nicht an Moden
orientieren“, meint Schuhmann. Stilistische Grenzen interessieren sie
hingegen kaum, wichtiger sei ihnen die Haltung, für die Public Possession
als Ganzes steht.
Diese spricht vor allem aus dem Artwork, die sie ihren Platten verpassen.
Stets platzieren sie dort kleine Textschnipsel und Gebrauchshinweise. Das
kann das Labeletikett einer Schallplatte sein, auf dem steht: „Wallstreet
may crash, this record not.“ Oder ein Sticker, über den sich Musikvertriebe
freuen dürften: „Bazar approved, price is debatable.“
## Kein Bling-Bling
Gesteigerte Lust am Ironisieren sieht man auch den Flyern an, mit denen sie
die wöchentlichen Instore-Sessions in ihrem Laden bekanntmachen. Kecke,
schnell entworfene Flyer in Low-Budget-Ästhetik, die an Fanzines und DiY
denken lassen. Zusammen ergibt das ein visueller Auftritt, der das
Bling-Bling von Clubkultur einfach ignoriert. „Wir sehen unsere Arbeit
einerseits sehr locker“, sagt Valentino Betz, „andererseits ist uns das mit
Public Possession aber sehr ernst.“
Daran besteht kein Zweifel. Gerade international wird ihr Label viel
beachtet. Der New Yorker Radio-DJ Tim Sweeney hat sie bereits in seine
Sendung „Beats in Space“ eingeladen. Auch bei Amoeba Records, jener
ruhmreichen kalifornischen Ladenkette, haben Public-Possession-Platten
einen festen Platz im Sortiment. Nur hierzulande scheint man noch wenig von
ihnen gehört zu haben.
Ein Phänomen, das auch Mathias Modica kennt. Modica betreibt das
renommierte Münchner Label Gomma, bei dem Valentino Betz vor einigen Jahren
als Praktikant gearbeitet hat. Gomma war im Ausland längst erfolgreich, ehe
es in München groß wurde. Er sieht den Grund dafür in der stilistischen
Nonkonformität: „Wir veröffentlichen Musik, die außerhalb der Norm
funktioniert, und in Los Angeles oder New York hast du halt viele
Verrückte, die ungewöhnliches Zeug suchen.“
Außerdem greift das Prinzip von Angebot und Nachfrage. „Wenn man nicht die
Masse der Clubgänger anspricht, muss man in andere Städte gehen, um präsent
zu sein“, sagt Modica, „das ist in New York nicht anders.“ So wenig sich
Schuhmann und Betz auf ein bestimmtes Genre festlegen, so wenig beschränken
sie Public Possession auf die Labelarbeit und ihren Laden. Dass sie für
sich und einen Teil ihrer Künstler das Booking übernehmen, ist noch
naheliegend. Dazu publizieren sie ein eigenes Fanzine namens PP und
veranstalten „The Other News“, eine Lesungsreihe rund um Musiktheorie.
„Für Sachen, die wir gut finden, hält im Moment Public Possession her“,
sagt Valentino Betz. „Wir bauen uns parallel was auf, damit wir mit 50
nicht mehr selbst im Club stehen müssen“, sagt Betz. Wie klassische
Labelchefs wirken die beiden nicht. Eher wie Partners in Crime, denen es
ein diebisches Vergnügen bereitet, ihr Label jederzeit in eine andere
Richtung zu manövrieren. Eine ihrer neuesten Offerten: Public Possession
Catering. Vorerst wird noch im Kochlabor experimentiert, „the company
nobody knows“ heißt es auf der Homepage. Ob sie bald auch außer Haus
kochen? Gänzlich auszuschließen ist das wohl nicht.
28 Mar 2016
## AUTOREN
Josef Wirnshofer
## TAGS
München
Schwerpunkt Coronavirus
München
Vinyl
Folk
Synthesizer
House
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