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# taz.de -- Anwalt über Klimaklagen: „Die Welt braucht mehr Inspiration“
> Antonio Oposa will, dass Regierungen die Umwelt schützen. 1990 verklagte
> der Anwalt die Philippinen. Daran nehmen sich heute einige ein Vorbild.
Bild: Rund 15 Prozent der gesamten Fläche der Philippinen stehen unter Schutz
wochentaz: Herr Oposa, eine Gruppe junger Leute hat kürzlich ein
[1][historisches Urteil in Montana gewonnen]. Es verpflichtet den
US-Bundesstaat, den Klimawandel bei der Genehmigung fossiler
Energieprojekte zu berücksichtigen. Julia Olson, die Anwältin, die die
Jugendlichen vertrat, nennt Ihren Fall als Inspiration. Haben Sie sich über
das Urteil gefreut?
Antonio Oposa: Ja, sehr. Ich habe Julia und ihrer ehemaligen Professorin
Mary Wood geschrieben, um ihnen zu gratulieren. Was sie und ihr Team in den
USA geleistet haben, ist beeindruckend. Gerade auch, weil es sie Jahre
harter Arbeit gekostet hat, die kaum anerkannt wurden. Es gibt ein
Sprichwort, das ich häufig benutze. Wenn du etwas Edles und Schönes tust
und niemand merkt es, sei nicht traurig. Die Sonne geht jeden Morgen in
einem wunderschönen Schauspiel auf, und ihr Publikum schläft. Und trotzdem
tut sie es jeden Morgen von neuem, schenkt der Erde Licht, Leben und
Lachen, ohne je eine Gegenleistung zu erwarten.
1990 verklagten Sie das philippinische Umweltministerium im Namen Ihrer
Kinder und zukünftiger Generationen. Eine verrückte Idee, noch nie zuvor
hatte ein Gericht zukünftige Generationen als Partei in einem Rechtsstreit
akzeptiert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Lange bevor ich selber Kinder hatte, bin ich auf meiner Heimatinsel Cebu
auf einen Berg gestiegen, um den Blick über die Wälder zu genießen. Doch
ich konnte kein einziges Stück Wald sehen.
Über Jahrzehnte hatten japanische und US-amerikanische Unternehmen
philippinisches Regenwaldholz aufgekauft. 1989 entdeckte ich dann, dass es
auf den Philippinen nur noch 800.000 Hektar Urwald gab. Das waren kaum 5
Prozent der Waldfläche, die wir noch in den 1950ern hatten. Und Daten der
Regierung zeigten, dass wir weiterhin 120.000 Hektar im Jahr abholzten. Da
wurde mir klar, dass meine Kinder – damals 4, 2 und weniger als 1 Jahr alt
– als Jugendliche vielleicht nicht mehr die Chance haben würden, den
philippinischen Urwald zu erleben. Ich musste etwas tun.
Anstatt die Holzindustrie direkt vor Gericht zu bringen, haben Sie die
Umweltbehörde verklagt. Warum?
Die Holzindustrie hatte damals unglaublich viel Macht, ähnlich wie die
Fossilindustrie heute. Viele Abgeordnete hatten enge Verbindungen zu ihr.
Ich wusste, dass ich als einzelner Anwalt niemals eine Chance gegen ihre
Armee von Unternehmensanwälten gehabt hätte. Sie hätten mich in einem Meer
von Anträgen ertränkt. Eine Ameise kann schließlich nicht gegen eine
Elefantenherde kämpfen. Da schien es mir die bessere Strategie zu sein, die
Umweltbehörde zu verklagen, die trotz des wenigen verbleibenden Urwalds
Abholzungslizenzen erteilt hatte.
Dort trafen Sie nicht auf Widerstand?
Auf weniger als erwartet. Kurz nachdem ich mein erstes Forderungsschreiben
an die Umweltbehörde geschickt hatte, erhielt ich einen Anruf vom damaligen
Leiter der Behörde, Fulgencio S. Factoran, Jr. Ich dachte, dass er mir
jetzt eine verpassen würde, weil ich gedroht hatte, seine Behörde zu
verklagen. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Factoran ermutigte mich,
mit der Klage fortzufahren. Ich war baff. Es stellte sich heraus, dass er
schon seit einiger Zeit versuchte, die Regierung davon zu überzeugen, die
Abholzung zu stoppen. Bisher aber ohne Erfolg.
Ihre Klage war in zweierlei Hinsicht verrückt. Erstens gab es damals auf
den Philippinen keine rechtliche Grundlage, um den Staat zu verklagen. Und
zweitens war klar, dass Kinder und zukünftige Generationen keine
Klagebefugnis vor Gericht hatten. Warum überhaupt klagen?
Ich habe ein Jahr gebraucht, um zu entscheiden, ob und wie ich es machen
soll. Die Abholzung des Urwalds war damals sehr präsent – als Umweltanwalt
wurde ich zu Kongressanhörungen und zu Interviews zu dem Thema eingeladen.
Aber wer würde im Kongress auf einen jungen Anwalt hören? Und selbst wenn
in den Medien über dich berichtet wird, kriegst du oft nur ein paar Minuten
Sendezeit. Danach wird deine Botschaft vergessen.
Aber vor Gericht kann man eine Geschichte auf eine Weise erzählen, die
angemessen und geordnet ist und durch klare und überzeugende Beweise
gestützt wird. Ein rechtliches Verfahren bringt ein Problem auf den Tisch,
es gibt Aktion und Reaktion und früher oder später, ob man gewinnt oder
verliert, gibt es eine Auflösung. Meine Arbeit als Anwalt ähnelt in
gewisser Weise der eines Gärtners: Ich säe Samen, ohne zu wissen, was aus
ihnen wird, in der Hoffnung, dass sie eines Tages blühen werden.
Die Abholzung des Urwalds wurde 1991 per Anordnung der Umweltbehörde
gestoppt. Etwa zur gleichen Zeit wurde Ihre Klage mit der Begründung
abgewiesen, Kinder könnten vor Gericht keine Klage einreichen. Die Wälder
waren gerettet, sie hätten die Niederlage also einfach akzeptieren können.
Was hat Sie dazu bewogen, trotzdem weiterzumachen?
In der philippinischen Verfassung heißt es: „Der Staat schützt und fördert
das Recht der Menschen auf eine ausgewogene und gesunde Ökologie im
Einklang mit dem Rhythmus und in Harmonie der Natur.“ Für mich war
offensichtlich, dass der Staat die Pflicht hat, das Recht seiner Bürger auf
eine [2][sichere und gesunde Umwelt zu schützen]. Und zwar sowohl der
heutigen als auch der künftigen Generationen. Also zog ich vor den Obersten
Gerichtshof, um es zu beweisen.
Sie haben ihren Fall vor dem Obersten Gerichtshof der Philippinen nicht
gewonnen. Das Gericht entschied, dass Sie in die Vorinstanz zurückkehren
und die Holzunternehmen direkt verklagen müssten. Dennoch gilt Ihr Prozess
als historischer Meilenstein im Umweltrecht. Warum ist das so?
Weil es ein obiter dictum, ein nebenbei gesprochenes Urteil des Obersten
Gerichtshofs gab, das bedeutsam war. Mein Fall war auf dem Schreibtisch des
damals jüngsten Richters des Obersten Gerichtshofs der Philippinen, Richter
Hilario Davide Jr. gelandet. Er war ein leidenschaftlicher Gärtner und
„Sohn des Bodens“, wie ich ihn nenne.
In seinem Urteil bekräftigt Davide, dass Kinder und zukünftige Generationen
ein Recht auf eine saubere und sichere Umwelt haben. Er fügt hinzu, dass
„dieses Recht älter ist als alle Regierungen und Verfassungen. Denn das
Recht auf Selbsterhaltung und Selbstfortführung sei von Anbeginn der
Menschheit anzunehmen.“ Eine wunderschöne [3][Formulierung eines
Naturrechts].
Heute, 30 Jahre später, treffen Richter:innen auch in Deutschland, den
USA und den Niederlanden Entscheidungen, die die Interessen künftiger
Generationen schützen. Warum hat es so lange gedauert, bis sich dieser
Grundsatz unter Jurist:innen durchgesetzt hat?
Es dauert immer lange, bis ein Samen keimt. Anwälte verteidigen bis heute
tendenziell eher die Interessen des Kapitals und lassen sich von lukrativen
Aufträgen für Unternehmen ködern. Dabei übersehen sie das Offensichtliche.
In meinen Vorträgen frage ich oft: Wer von euch hat schon einmal versucht,
zwei Minuten lang die Abgase eines Autos einzuatmen? Niemand. Und doch
blasen wir diese Gase jeden Tag in unsere Atmosphäre. Dass wir uns homo
sapiens, also weise Menschen, nennen, entbehrt angesichts dieser Dummheit
nicht einer gewissen Ironie.
Ihre juristischen Essays lesen sich oft eher wie Poesie oder Literatur.
Dürfen Anwält:innen so schreiben?
Viele Anwälte verstecken sich hinter kilometerlangen Sätzen. Ich mag dieses
juristische Abrakadabra nicht. Ich versuche, so einfach zu schreiben, dass
auch normale und jüngere Menschen die Botschaft verstehen können. Das Recht
ist ein Werkzeug, um Menschen zu schützen. Für mich steht das englische
Wort „LAW“ für Land, Air und Water. Die Grundlagen unseres Lebens. Als
Anwälte können wir dieses Recht des Lebens schützen.
1993 haben Sie für Kinder und zukünftige Generationen das Recht auf eine
sichere und saubere Umwelt erstritten, 2008 haben Sie ein Urteil erwirkt,
das die Regierung verpflichtet, die stark verschmutzte Bucht von Manila zu
säubern. Welchem Projekt widmen Sie sich als Nächstes?
Ich bin gerade von einer Reise nach Den Haag zurückgekehrt. Dort habe ich
mit einer jungen Anwältin von der Weltjugend für Klimagerechtigkeit
zusammengearbeitet. Wir haben praktische Maßnahmen zusammengestellt, die
Staaten ergreifen können, um den Klimawandel in ein Klima des Wandels zu
verwandeln. Gerichtsverfahren sind in der Regel konfrontativ. Aber
angesichts der Zerstörung und Verschmutzung der Erde, die wir Menschen
verursachen, halte ich es derzeit für wichtiger, kooperativ zu sein und
positive Wege aufzuzeigen.
Unser Papier ist eine Liste von klugen Lösungen im Angesicht der
Klimakrise. Werden Staaten, Regierungen und Menschen auf unsere
Lösungsvorschläge hören? Ich weiß es nicht und wie immer ist es mir egal.
Unsere Sammlung von Geschichten beschreibt den Weg in die Welt, die wir
wollen. Vielleicht kann sie dazu beitragen, Menschen zu inspirieren, die
unsere Leidenschaft für einen lebenswerten Planeten teilen. Denn wenn ich
mir mit einem sicher bin, dann damit, dass die Welt [4][gerade mehr
Inspiration] braucht.
2 Sep 2023
## LINKS
[1] /Klimaklage-in-den-USA/!5950075
[2] /Klimaklage-aus-Indonesien/!5939205
[3] /Klimaschutz-Klagen-gegen-Konzerne/!5915602
[4] /Umgang-mit-dem-Klimawandel/!5935537
## AUTOREN
Mitsuo Iwamoto
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