Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ende der russischen Gaslieferungen: Und es geht doch
> Am 31. August 2022 stoppte Russland die Lieferung nach Deutschland
> endgültig. An Gas fehlte es hier nicht – auch dank des Krisenmanagements.
Bild: Der Kanzler vor der Turbine für Nordstream 1 in Mülheim an der Ruhr
Berlin taz | Erst war es nur eine Turbine, die angeblich fehlte. Deshalb
reduzierte Russland die Gaslieferungen durch die Pipeline Nordstream 1
erheblich. [1][Das war im Juli 2022] – und der Auftakt eines
[2][Armdrückens zwischen Russland und dem Westen], vor allem mit
Deutschland. Mehr als die Hälfte des hierzulande verbrauchten Erdgases kam
zu diesem Zeitpunkt über die Pipeline am Ostseeort Lubmin ins Land. Ein
paar Meter weiter wartete schon eine zweite Röhre, Nordstream 2, darauf,
den Betrieb zu starten. Vergeblich.
Siemens hatte die besagte Turbine bereits aus Kanada nach Deutschland
geholt, das Gas sollte eigentlich bald wieder fließen. Die Lieferungen
hatten im Übrigen nur für einige Tage wegen routinemäßiger Wartungsarbeiten
eingestellt werden sollen. [3][Kanzler Olaf Scholz (SPD) besuchte die
Turbine sogar plakativ], um darauf hinzuweisen, dass die Turbine
lieferbereit sei. Am 31. August war aber endgültig Schluss mit dem
jahrzehntelangen Zustrom von billigem Erdgas aus Putins Reich. Doch die
Bundesregierung hatte sich auf den Ernstfall eingestellt. Unvergessen
bleibt die Reise von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach Katar
im März 2022, um dort Flüssiggas einzukaufen. Ausgerechnet das wegen
Menschenrechtsverletzungen kritisierte Ölreich sollte Deutschland über den
Winter helfen. Habecks Diener vor dem katarischen Energieminister wirkte
wie Bittstellerei.
Die Angst ums Gas hatte viele Folgen. Schon mit der ersten russischen
Drohung eines Lieferboykotts im Frühjahr stieg der Gaspreis rasant auf 230
Euro pro Megawattstunde an, also 23 Cent pro Kilowattstunde. Sogar 100 Euro
mehr verlangten Händler Ende August. Am Jahresende waren es immer noch 76
Euro. Derzeit liegt der Preis mit etwa 36 Euro immer noch doppelt so hoch
wie im Jahr 2019.
Die Bundesnetzagentur bereitete einen Notfallplan für eine Gasmangellage
vor. Wäre Deutschland das Erdgas im vergangenen Winter ausgegangen, hätten
sich zunächst die großen Industriebetriebe einschränken müssen. Sparappelle
richteten sich an die Wirtschaft und private Haushalte. Denn die
Gasspeicher waren Anfang 2022 ungewöhnlich leer – und es war nicht klar, ob
sie bis zum Beginn der Heizsaison gefüllt werden könnten.
## Gasspeicher derzeit fast gefüllt
Doch auch das gelang, unter anderem mit Flüssiggaslieferungen aus den USA
und per Pipeline eingeführtes Gas aus Norwegen, Belgien und Holland. Und
auch die Gaskunden zogen mit. Im Oktober 2022 meldete die Netzagentur, dass
der Verbrauch im Vergleich zu den Vorjahren um 27 Prozent gesunken sei. Die
Angst vor einer Knappheit bestand aber weiter. Denn selbst prall gefüllte
Speicher reichen in einem harten Winter gerade einmal für zwei Monate.
[4][Aktuell meldet die Netzagentur bereits weit vor dem Beginn der kalten
Jahreszeit einen Füllstand von 94 Prozent]. Die Chancen stehen damit gut,
dass die Betriebe auch im kommenden Winter arbeiten und die Haushalte
heizen können.
Zwischenzeitlich bereitete die Bundesregierung auch den Bau von Terminals
für Flüssiggas vor, die es bis dahin nur im europäischen Ausland gab. In
Wilhelmshaven wurde schon im Dezember 2022 ein Terminal eingeweiht. Kurz
zuvor war in Lubmin ein Spezialschiff angelegt, das das tiefgekühlte
Flüssiggas wieder auftaut, damit es ins hiesige Netz eingespeist werden
kann. Die verbesserte Versorgung wirkte sich prompt auf den Gaspreis aus.
Die Energiekrise hatte 2022 auch die Inflationsraten in die Höhe getrieben.
Die Verbraucherpreise stiegen in diesen Monaten um gut sechs Prozent, dann
um sieben und in der Spitze um mehr als acht Prozent an.
Die enorme Teuerung war eine der wichtigsten Herausforderungen, die die
steigenden Energiepreise im vergangenen Jahr mit sich brachten. Einige
Produkte, vor allem Lebensmittel und Energie, verteuerten sich um über 20
Prozent. Für den Liter Diesel wurden schon im Sommer an der Tankstelle mehr
als 2,30 Euro berechnet, so viel wie nie zuvor.
Die Bundesregierung reagierte darauf mit der Energiepreispauschale. Jeder
Erwerbstätige in Deutschland bekam 300 Euro als Ausgleich für die
gestiegenen Energiekosten. Die Pauschale musste aber versteuert werden,
Rentner gingen zunächst leer aus. Erst im laufenden Jahr entschied sich die
Bundesregierung, auch ihnen die 300 Euro auszuzahlen. Studierende bekamen
200 Euro, allerdings erst im Spätwinter dieses Jahres.
## Preishammer durch Energiekosten
Dann gab es auch noch die Strom- und Gaspreisbremse, die in diesem Jahr die
Ausgaben der Haushalte dämpfen soll. Für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs
wird der Strompreis auf 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Beim Gas sind
es 13 Cent, bei Fernwärme 9,5 Cent. Nur für den darüber hinaus gehenden
Verbrauch wird der tatsächliche Marktpreis fällig.
Die große Unbekannte ist derzeit die weitere Preisentwicklung bei Energie.
Die Bundesregierung hat dazu kürzlich eine Anfrage der Unionsfraktion im
Bundestag beantwortet. Danach sinkt der Preis für Erdgas von gut 16 Cent in
diesem Jahr auf unter 13 Cent im Jahr 2030. Bis Mitte des kommenden
Jahrzehnts soll er dann wieder auf über 14 Cent steigen. Beim Strom nimmt
die Bundesregierung zunächst einen Rückgang von knapp 42 Cent auf 38 Cent,
dann wieder einen leichten Anstieg in Richtung 39 Cent an.
Habecks Pressestelle weist darauf hin, dass die Zahlen keine Prognose des
Hauses, sondern nur Bestandteil einer früheren
Wirtschaftlichkeitsberechnung für Wärmepumpen seien. Dafür spricht auch,
dass der Gaspreis aktuell mit 13 Cent schon deutlich unter der Projektion
liegt. An einer Prognose werde gearbeitet, heißt es weiter. Angesichts der
Erfahrungen aus den vergangenen Jahren dürfte die Spannweite der Vorhersage
beträchtlich sein. Aufgrund neuer möglicher Krisen rund um den Globus sind
neue Preissprünge nicht auszuschließen.
31 Aug 2023
## LINKS
[1] /Gazprom-drosselt-erneut/!5867290
[2] /Russland-drangsaliert-Westen/!5869930
[3] /Gaslieferungen-aus-Nordstream-1/!5872353
[4] https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Gasversorgung/aktuelle_gasversorgung/st…
## AUTOREN
Wolfgang Mulke
## TAGS
Energiekrise
Russland
Robert Habeck
GNS
Photovoltaik
Energiekrise
Stromkosten
Energiekrise
Nordstream
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krise der deutschen Solarindustrie: Energiepolitische Abhängigkeit
Deutschland lernt nicht aus Fehlern. Erst setzt man auf russisches Gas,
jetzt verspielt man die Solarindustrie.
Prognose zur Gasversorgung im Winter: Es läuft doch
Die Prognose der Bundesnetzagentur zur Gas-Versorgungslage stimmt
optimistisch. Von wegen, German Angst! Dennoch ist Misstrauen angebracht.
Hohe Kosten für Gas und Strom: Energiearmut hat zugenommen
Für Haushalte mit wenig Geld sind hohe Strom- und Gaspreise ein großes
Problem. Das zeigt ein Bericht des Sachverständigenrats für
Verbraucherfragen.
Gas für den Winter in Deutschland: Speicher sind fast voll
Die Gas-Vorräte wurden vor Beginn der Heizperiode schneller aufgestockt als
vor einem Jahr. Am Dienstag erreichten sie die Füllstandsmarke von 95
Prozent.
Gaslieferungen aus Nordstream 1: Die Turbine und der Kanzler
Wladimir Putins Bluff scheint entlarvt. Olaf Scholz verschafft sich selbst
einen Eindruck über das Gerät und vergibt das Prädikat: perfekter Zustand.
+++ Nachrichten im Ukrainekrieg +++: Scholz besichtigt Gas-Turbine
Die gewartete Turbine kann laut Bundeskanzler „jederzeit geliefert werden“.
Moskau vermisst immer noch notwendige Unterlagen für den Weitertransport.
Gas aus Russland: Wort halten aus Kalkül
Vorläufig fließt wieder Gas aus Russland. Dennoch soll sich niemand auf
Putin verlassen. Er kalkuliert und manipuliert nach eigener Manier.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.