| # taz.de -- Öl- und Chemieindustrie in Texas: Vergiftete Nachbarschaft | |
| > Im US-Bundesstaat Texas boomt die petrochemische Industrie. Die armen | |
| > Anwohner haben davon nichts, im Gegenteil: Oft erleiden sie | |
| > Gesundheitsschäden. | |
| Port Arthur/Groves/Houston taz | An einem schwülen Sommermorgen geht die | |
| Sonne über Port Arthur noch zaghaft auf, vom nahen Atlantik weht etwas | |
| Meeresluft über die Stadt. Port Arthur liegt im Osten von Texas, dort, wo | |
| der feste Boden des großen Bundesstaates langsam in die Sumpfgebiete des | |
| anliegenden Louisianas übergeht. Die Gegend um die Kleinstadt ist heiß, | |
| schwül und einzigartig: Hohe Tannen wachsen entlang sattgrüner | |
| Sumpflandschaften, in denen Alligatoren und Pelikane leben. Auf den üppigen | |
| Feldern der Gegend werden Reis und andere durstige Agrarerzeugnisse wie | |
| Soja angebaut. In den Jahren vor dem US-amerikanischen Bürgerkrieg | |
| (1861–1865) waren hier große Sklavenplantagen, noch heute leben in der | |
| Region viele Menschen afroamerikanischer Abstammung. | |
| Port Arthur gehört zu einer zerstückelten Metropolregion an der Küste, in | |
| der sich heute die Wirtschaft ganz um Öl und Erdgas dreht. Seit der | |
| Entdeckung eines großen Erdölvorkommens am Anfang des letzten Jahrhunderts | |
| ist die Gegend ein Zentrum der Industrie. ExxonMobil, Total, Chevron | |
| Phillips – sie alle unterhalten hier im Südosten des Bundesstaates | |
| Raffinerien, in denen die Bodenschätze weiterverarbeitet werden. | |
| Trotz der Klimakrise boomt die Industrie. Liquefied Natural Gas (LNG), | |
| Kraftstoffe, Chemikalien und Produkte für die Plastikindustrie werden hier | |
| produziert und über die nahen Großhäfen in die ganze Welt transportiert. | |
| Die Emissionsstandards sind niedrig, die Bußgelder für Verstöße gegen | |
| Auflagen der Umweltbehörden gering. Das hat fatale gesundheitliche Folgen | |
| für die lokale Bevölkerung und das Klima. Auch Unternehmen aus Deutschland | |
| profitieren von diesen Umständen. | |
| John Beard ist in Port Arthur geboren und aufgewachsen und lebt bis heute | |
| in der Stadt. Beard beschreibt sich als „Petrochemie-Arbeiter der zweiten | |
| Generation“ und hat selber lange in verschiedenen Werken der Region für | |
| ExxonMobil gearbeitet. Später saß er fast ein Jahrzehnt im Stadtrat seiner | |
| Heimatstadt und ist bis heute in Port Arthur engagiert, unter anderem über | |
| eine von ihm gegründete Organisation, die sich mit Klima, Gesundheit und | |
| Gerechtigkeit befasst. „Das Leben in Port Arthur wird dadurch kompliziert, | |
| dass es hier so unglaublich viele Quellen für Luftverschmutzung gibt“, sagt | |
| Beard. „Es gibt die Valero-Raffinerie, die über die letzten sechs Jahre 500 | |
| verschiedene Verstöße gegen die Emissionsgesetze hatte.“ | |
| Die Raffinerie des gleichnamigen Konzerns kann fast 400.000 Barrel Öl pro | |
| Tag verarbeiten. Dazu kommt das Werk der Firma Oxbow, in der Basisprodukte | |
| für Aluminium produziert werden und welches Emissionen von rund 11.000 | |
| Tonnen pro Jahr ausstößt. Dazu gehört auch das Giftgas Schwefeldioxid, das | |
| für das Phänomen des sauren Regens verantwortlich ist. Gleich zwei | |
| nennenswerte Quellen des Karzinogens Formaldehyd befinden sich in Port | |
| Arthur: eine LNG-Anlage auf der anderen Seite des Sabine Lake sowie die | |
| Firma German Pellets, die Brennstoffe aus den örtlichen Hölzern | |
| produzieren. | |
| „Sie holzen unsere wunderschönen texanischen Wälder ab, verarbeiten sie zu | |
| Holzzellstoff und machen daraus diese Pellets in der Größe eines kleinen | |
| Fingers“, sagt John Beard der taz. Dabei wird Formaldehyd zur Desinfektion | |
| benutzt, das erwiesenermaßen hochgiftig ist. [1][Die einst in Deutschland | |
| gegründete Firma wurde 2016 als Teil eines Insolvenzverfahrens zerschlagen] | |
| und gehört heute einem Investmentfonds aus Litauen. | |
| Besonders komplex ist die Lage in Port Arthur laut John Beard wegen der | |
| vielen verschiedenen Werke und der Emissionen, die mit ihren jeweiligen | |
| Produktionsprozessen zusammenhängen. „Die Total-Raffinerie alleine zählt zu | |
| den größten Produzenten von Benzol in den USA, zusätzliche gibt es die | |
| verschiedenen Quellen von Ethylenoxid, beides Stoffe, die nachweislich zu | |
| Krebs führen können.“ Hinzu kommen laut Beard die unzähligen Bauprojekte, | |
| die der Öl- und Gas-Boom in der Industriestadt losgetreten hat. Denn je | |
| mehr Geld es zu verdienen gibt, desto mehr Werke werden in der Region | |
| gebaut. „Es ist eine toxische Suppe, die wir hier einatmen müssen.“ | |
| Diese toxische Suppe gefährdet die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Die | |
| Krebsraten in und um Port Arthur liegen 11 Prozent über dem | |
| US-amerikanischen Durchschnitt, hinzu kommen hohe Inzidenzraten von Herz-, | |
| Lungen- und Nierenleiden. „Wenn sich jemand einen Fallschirm anzieht und | |
| damit irgendwo in Port Arthur landet, kann er den nächstbesten Menschen | |
| ansprechen, ob er jemanden kennt, der Krebs hat, und die Antwort wird | |
| garantiert ein Ja sein“, sagt Beard erhitzt. | |
| Der Aktivist erzählt anhand der Geschichte einer Bekannten, wie verbreitet | |
| das Krankheitsbild ist. „Nehmen wir zum Beispiel Etta Ebert. Sie hat schon | |
| mal Krebs überlebt und wurde jetzt wieder mit einer neuen Form | |
| diagnostiziert. Ihr Ehemann war wegen Krebs lange im Hospiz und wiegt immer | |
| noch weniger als 45 Kilogramm.“ Nicht nur Ebert und ihr Mann waren | |
| betroffen. „Ihre Tochter hat Krebs überlebt, und ihr Bruder Eddie ist an | |
| ihm gestorben.“ | |
| Rund ein Viertel der Bevölkerung lebt in Port Arthur unter der | |
| Armutsgrenze. Wer die schnurgeraden Straßen von Port Arthur entlang läuft, | |
| der sieht aber nicht nur Armut, in Form von vielen baufälligen und | |
| provisorisch reparierten Wohnhäusern, sondern eben auch die Türme und Tanks | |
| der Öl- und Gasproduzenten, die sich hier niedergelassen haben. Ein großer | |
| Teil der Innenstadt von Port Arthur ist durch den gigantischen Komplex der | |
| Motiva-Raffinerie zerrissen, die größte in ganz Nordamerika. 630.000 Barrel | |
| Erdöl kann die Anlage jeden Tag zu verschiedenen Kraftstoffen und | |
| Basisprodukten für die Chemieindustrie verarbeiten. Schätzungsweise 20 | |
| Millionen Barrel werden pro Tag in den USA verbraucht. | |
| Laut der amerikanischen Umweltbehörde EPA liegt das durchschnittliche | |
| Risiko für eine Krebserkrankung durch eine industrielle Ursache in den USA | |
| bei 1 zu 30.000. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der | |
| investigativen Organisation Pro Publica ist die [2][Quote für direkte | |
| Anwohner der großen Werke in Port Arthur 1 zu 53] – und damit 190 Mal höher | |
| als der Durchschnitt. John Beard und seine Organisation setzen sich für | |
| umfangreiche Studien ein, um festlegen zu können, welche Werke in der Stadt | |
| für konkrete Krankheitsbilder verantwortlich sind. Bisher ist nur klar, | |
| dass diese in Port Arthur weit über dem landesweiten Durchschnitt liegen. | |
| Die Kleinstadt Groves liegt nur wenige Autominuten von Port Arthur entfernt | |
| und gehört ebenso zu der Industrieregion an der Küste. Im frühen | |
| Morgenlicht funkelt das Metall der BASF Total Petrochemicals LLC, ein | |
| gigantischer Industriekomplex, der zwischen Wohngebieten und dem Wasser | |
| liegt. Der deutsche Konzern mit Sitz in Ludwigshafen produzierte während | |
| des Ersten Weltkriegs Kriegswaffen, während des Nationalsozialismus war er | |
| als Teil der IG Farben unter anderem für die Herstellung von Zyklon B | |
| verantwortlich, dem in den Konzentrationslagern eingesetzten Giftgas. | |
| Gruppen von Arbeitern passieren die hoch umzäunten Tore, dahinter stehen | |
| Stahltanks und ragen hohe Schornsteine in den Himmel. Auf dem Gelände steht | |
| auch ein sogenannter Ethane Cracker, der aus rohem Erdgas den Basisstoff | |
| Ethen gewinnt, mit dem Tausende von Plastikprodukten produziert werden. | |
| Verpackungen, Kleidungen, medizinische Produkte – sie alle entstehen auf | |
| der Grundlage von petrochemischen Produkten, die hier an der Küste von | |
| Texas hergestellt werden. | |
| Courtney Bernhardt ist die wissenschaftliche Leiterin des Environmental | |
| Impact Project, einer Nichtregierungsorganisation, die sich eng mit der | |
| Arbeit der Öl- und Gasindustrie auseinandersetzt und deren Folgen für | |
| Gesundheit und Umwelt erfasst. 1 bis 1.5 Tonnen CO2 produziert ein Ethane | |
| Cracker wie der in Groves für jede Tonne Material, die sie herstellen, | |
| schätzen Organisationen wie ihre. „Dazu kommen noch etliche andere | |
| Schadstoffe. Es ist ein richtiger Giftcocktail“, sagt Bernhardt. | |
| Das Werk in Groves ist nur eines von Dutzenden, das im Osten von Texas | |
| kürzlich fertiggestellt wurde oder derzeit in Planung ist. Dass die | |
| petrochemische Industrie heute so starken Wachstum verzeichnet, liegt | |
| Courtney Bernhardt zufolge vor allem an der Verfügbarkeit des Rohstoffs: | |
| „Der derzeitige Boom hängt auf jeden Fall an den großen Mengen an Erdgas, | |
| die aus den Schieferformationen kommen.“ In Texas meint das vor allem das | |
| Permbecken, ein großes Vorkommen im Nordwesten des Staates, das fast ein | |
| Jahrhundert lang die USA und den Rest der Welt mit Treibstoff versorgte. | |
| Mitte der nuller Jahre galt das Becken als versiegt, zu dicht war der | |
| Schieferstein über dem verbleibenden Gas und Öl, um durch herkömmliche | |
| Methoden erreicht zu werden. Dies änderte sich schlagartig mit der | |
| Einführung von Fracking, das die Öl- und Gasförderung auf den Kopf stellte. | |
| Selbst der dichte Schiefer kann der neuen Methode nicht widerstehen, heute | |
| liefern die USA dank der kontroversen Technologie mehr Öl und Gas als je | |
| zuvor. | |
| Auch Deutschland befindet sich vermehrt unter den Abnehmern. In den meisten | |
| EU-Staaten ist Fracking hingegen verboten, denn der Prozess kann das | |
| Grundwasser verschmutzen und in extremen Fällen sogar zu Erdbeben führen. | |
| Die petrochemische Industrie hat sich laut Courtney Bernhardt nicht aus | |
| Zufall an der texanischen Küste angesiedelt: „Die meisten Firmen sind schon | |
| hier, sie betreiben hier Raffinerien oder sind in der Nähe der | |
| Exporthäfen“, sagt sie. Pipelines aus dem Permbecken reichen bis ans Meer, | |
| wo das Öl und Gas weiterverarbeitet und verschifft werden. Außerdem sei das | |
| politische Klima in Texas maßgeblich, so Bernhardt, denn der | |
| [3][republikanisch] regierte Bundesstaat rühmt sich damit, besonders wenige | |
| Auflagen für die Industrie durchzusetzen. Amerikanische Bundesstaaten haben | |
| breite Befugnisse, ihre eigenen Emissionsstandards zu setzen, im Gegensatz | |
| zu demokratisch regierten Staaten wie Kalifornien sind diese in Texas enorm | |
| niedrig. | |
| In Texas stoßen Öl- und Gasindustrie nämlich selten auf Widerstand gegen | |
| die Umsetzung ihrer Vorhaben. Rund 24 Milliarden US-Dollar haben die | |
| Konzerne alleine im letzten Jahr in Form von Steuern und anderen Geldern in | |
| die Kasse des Staats gespült. 1,8 Milliarden Barrel wurden 2022 hier | |
| gefördert. Die erhöhte Produktion hängt auch maßgeblich mit dem | |
| europäischen Markt zusammen, der seit dem russischen Angriff auf die | |
| Ukraine energisch nach neuen Lieferanten sucht. | |
| An der Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen hängen in Texas Tausende von | |
| Arbeitsplätze, ganze Landstriche sind von den Einkommen abhängig, die auf | |
| den Ölfeldern oder in den Raffinerien und Chemiewerken gezahlt werden. Für | |
| eine von [4][Rechten dominierte Staatsregierung], in der viele die | |
| Realitäten des Klimawandels bezweifeln, gibt es nur wenige Anreize, den | |
| Konzernen das Geschäft zu vermiesen. | |
| Diese Kulanz gegenüber der Industrie drückt sich in Texas auch durch die | |
| laschen Auflagen der staatlichen Umweltbehörde aus. So dürfen zum Beispiel | |
| die Betreiber von Bohrstellen im Bundesstaat ungenutztes Erdgas einfach | |
| „ablüften“ und damit in die Atmosphäre entlassen: Da das billigere Erdgas | |
| für manche Ölfirmen eher ein Nebenprodukt der Förderung ist, wird es so | |
| schlichtweg entsorgt, ohne verbrannt oder genutzt zu werden. | |
| Einer [5][Studie der Umweltorganisation Environmental Defense Fund zufolge] | |
| könnte das Permbecken die größte Quelle für die Verschmutzung durch | |
| [6][Methangas] weltweit sein, nur ein paar Gasfelder in Russland könnten | |
| womöglich an die texanischen Werte herankommen. | |
| Ähnlich locker geht der Bundesstaat mit den immensen Emissionen der | |
| petrochemischen Industrie um. In Port Arthur allein gelten drei der | |
| örtlichen Werke als „High Priority Violator“ für die Bundesbehörde EPA, … | |
| verstoßen systematisch gegen die Emissionsgrenzen für Benzol und andere | |
| krebserregende Stoffe. Da die dafür erhobenen Bußgelder relativ niedrig | |
| sind, lohnt es sich für die Konzerne nicht, ihre Emissionen zu drosseln. | |
| Die Firma German Pellets zum Beispiel wird nach einem aktuellen | |
| Gerichtsurteil wohl nur knapp 12.000 US-Dollar Bußgeld für ein Feuer | |
| bezahlen müssen, das 53 Tage lang nicht gelöscht werden konnte und Port | |
| Arthur wochenlang in giftigen Rauch hüllte. | |
| Während der jährlichen Hurrikan-Saison stoßen die Petrochemie-Werke entlang | |
| der Küste ihr ungewolltes Material einfach ab. Eine Raffinerie in Old | |
| Ocean, einem weiteren Küstenort, ließ im Jahr 2020 mehrere Hundert Kilo | |
| Schwefeldioxid innerhalb von wenigen Stunden ab, um sich auf den nahenden | |
| Sturm „Laura“ vorzubereiten. | |
| Nicht nur die gesundheitlichen Folgen der Industrie beschäftigen John Beard | |
| aus Port Arthur. Trotz der Profite in Milliardenhöhe, die von Firmen wie | |
| Exxon Mobil, Total und BASF jährlich erwirtschaftet werden, lebt der | |
| Großteil der Bewohner von Port Arthur weiterhin in Armut. Beard beschreibt | |
| den desolaten Zustand der Stadt: „Wir haben Probleme in der Höhe von | |
| Millionen von Dollar“, sagt er. „Es ist eine alte Stadt mit immer | |
| schlechterer Infrastruktur, von den Straßen bis hin zum Abwasser.“ | |
| Als er selbst in den Werken arbeitete, wurde Beard über die potenziellen | |
| Gefahren aufgeklärt, bekam ein gutes Gehalt und die notwendige | |
| Schutzausrüstung für den Umgang mit Giftstoffen. „Aber für die Menschen, | |
| die auf der anderen Seite des Zaunes leben, gibt es nichts davon“, sagt | |
| Beard, und spricht damit über die Gemeinden, die knapp außerhalb der | |
| Werksgelände liegen. „Warum müssen sie das ganze Risiko auf sich nehmen, | |
| ohne davon zu profitieren?“ | |
| Beard deutet auf den Rassismus, der den Industriestandorten zugrunde liegt. | |
| „Die Menschen, die von diesen Industrien profitieren, sind in den meisten | |
| Fällen keine People of Color“, sagt er der taz. „Doch sie bauen ihre | |
| Industrien in unseren Gemeinden auf, weil sie hier nach eigener Aussage den | |
| geringsten Widerstand erleben. Sie bauen diese Dinger nicht in Beverly | |
| Hills oder auf der Madison Avenue, sondern sie bauen sie dort, wo die armen | |
| Menschen sind.“ | |
| In Groves steht die Sonne mittlerweile hoch im Himmel und hat den | |
| morgendlichen Nebel fast gänzlich vertrieben. Das Werk der BASF Total | |
| Petrochemicals, in dem Tonnenweise Ethen und andere Plastikprodukte | |
| hergestellt werden, läuft auf Hochtouren. Über eine flackernde Stichflamme | |
| werden Gas und andere Abfallprodukte abgebrannt, große Lkws passieren die | |
| hohen Tore. „Ein paar Fotos vom Tor sind in Ordnung“, sagt die Person an | |
| der Sicherheitskontrolle. Für Besucher ist das Werk allerdings nicht | |
| geöffnet. | |
| Zwischen dem Werk und dem nächsten Wohngebiet liegen nur wenige hundert | |
| Meter. Ein hoher Maschendrahtzaun, ein leerer Parkplatz, dann beginnt schon | |
| die Siedlung. Auf die Verschmutzung durch das Werk angesprochen, führt eine | |
| Anwohnerin in ihren Garten und zeigt auf ein Vogelbad. „Jeden Morgen komme | |
| ich hier raus und fülle frisches Wasser ein, und am Ende des Tages hat sich | |
| hier ein dichter, schwarzer Film auf der Oberfläche gebildet“, erzählt sie | |
| der taz. Die sportliche Frau um die 60 ist vor ein paar Jahren nach Groves | |
| gezogen. „Ich hatte früher nie gesundheitliche Probleme, aber seit ich hier | |
| wohne, brennen mir morgens oft die Augen und der Hals.“ | |
| Die Frau beschreibt, wie sie nachts die hohen Stichflammen über dem | |
| BASF-Total-Werk sehen kann und wie die Luftverschmutzung den Abendhimmel | |
| einfärbt. „Sie töten uns hier auf Raten“, sagt sie mit einem resignierten | |
| Lachen. Sie hat kein Problem damit, über die Probleme in Groves zu | |
| sprechen, sagt sie, möchte aber trotzdem anonym bleiben. „Hier leben so | |
| viele von der Industrie, da möchte ich nicht, dass jemand hört, dass ich | |
| schlecht über die Werke geredet habe“, sagt sie. „Die brennen dir hier | |
| sonst das Haus ab.“ | |
| Dr. Anthony Rodriguez lehrt an der Texas Southern University in Houston, | |
| der unangefochtenen Hauptstadt der texanischen Industrie. Rodriguez | |
| beschäftigt sich unter anderem mit Stadtpolitik und dem sogenannten | |
| „Zoning,“ dem Verfahren, nach dem in US-amerikanischen Städten bestimmt | |
| wird, welche Art von Gewerbe und Häusern in welchen Gebieten stehen dürfen. | |
| Houston ist dabei ein ganz besonderes Beispiel, erklärt Rodriguez, denn: | |
| „In Houston haben wir überhaupt kein Zoning.“ | |
| Eine Fahrt durch die Millionenstadt macht eindrücklich klar, was das | |
| bedeutet. In Houston stehen Raffinerien und allerlei Industriewerke mitten | |
| in Wohngegenden, mancherorts liegen zwischen den schillernden Hochhäusern | |
| der Ölkonzerne und den Stichflammen der Werke nur wenige Kilometer. „In | |
| Texas und besonders in Houston erlauben sie praktisch alles“, erklärt | |
| Rodriguez im Interview mit der taz. „Das Problem ist, dass keine | |
| Pufferzonen errichtet werden.“ | |
| Selbst ein paar hundert Meter begrünte Flächen könnten helfen, die Gefahren | |
| durch giftige Emissionen für Anwohnende zu reduzieren, sagt Rodriguez. | |
| Derzeit gelten mehr als die Hälfte der Distrikte, die zur Region zwischen | |
| Houston und Port Arthur zählen, als „non-attainment areas“ für die | |
| nationale Umweltbehörde. Mit diesem Etikett versieht diese Gegenden, in | |
| denen die Luftqualität unter dem Minimalstandard ist. | |
| Dr. Rodriguez erzählt, dass der Kampf um höhere Emissionsstandards für ihn | |
| auch persönlich ist. „Meine Ehefrau liegt wegen Krebs im Sterben“, erzählt | |
| er. Rodriguez’ Ehefrau ist in Texas City aufgewachsen, einem Vorort von | |
| Houston mit vielen Werken, in denen ihre Familie Arbeit gefunden hatte. | |
| Rodriguez’ Ehefrau ist früher zur Arbeit zu Fuß gelaufen, erzählt er. „So | |
| nahe haben wir daran gelebt.“ Dass seine Tochter mit einem Geburtsfehler | |
| zur Welt gekommen ist und sein Sohn frühzeitig verstarb, ist für Rodriguez | |
| zweifelsfrei eine Konsequenz der Luftverschmutzung durch Krebserreger und | |
| andere Gifte. | |
| Solange der Gasboom anhält und die Staatsregierung von Texas in den Händen | |
| von Industrie-nahen Politikerinnen bleibt, wird sich strukturell wohl erst | |
| mal nicht so viel an der texanischen Küste ändern. John Beard aus Port | |
| Arthur glaubt, dass die Realitäten des Klimawandels und der ökologischen | |
| Zerstörung früher oder später auch einen Wandel in der Staatspolitik | |
| herbeiführen werden. „Sie müssen sich ändern“, sagt er. „Ob sie wollen… | |
| nicht.“ | |
| 1 Sep 2023 | |
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| [1] /Insolvenz-von-German-Pellets/!5297560 | |
| [2] https://projects.propublica.org/toxmap/#hotspot/26 | |
| [3] /US-Republikaner-im-Vorwahlkampf/!5951199 | |
| [4] /Anti-Migrationspolitik-in-Texas/!5955714 | |
| [5] https://www.edf.org/climate/methane-research-series-16-studies | |
| [6] /Forschung-zu-Methan/!5901590 | |
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