# taz.de -- Rechtsexpert*innen über Klimaprotest: „Wir müssen die Räume ve… | |
> Die Handlungsspielräume von Klimaprotest werden kleiner, warnt die | |
> Umweltrechtsorganisation Green Legal Impact. Der Staat gehe immer härter | |
> vor. | |
Bild: Bekommen oft rechtliche Probleme: die Aktivist*innen der Letzten Generati… | |
taz: Frau Thiel, Herr Schönberger, man hört es in letzter Zeit immer | |
wieder, vor allem in Bezug auf die [1][Letzte Generation]: | |
Klimaaktivist*innen stehen unter Terrorverdacht, ihre Wohnungen | |
werden durchsucht, ihre Telefone abgehört. Geht die Nachfrage nach Ihren | |
juristischen Beratungen durch die Decke? | |
Tatjana Thiel: Ja. Allein wenn wir uns jetzt die letzten vier, fünf Jahre | |
ansehen, seit die Gruppen von [2][Fridays for Future] aktiv sind. Auch die | |
sind unter anderem auf uns zugekommen und haben berichtet, dass sie anfangs | |
ohne Probleme Kundgebungen anmelden konnten. Das habe sich mittlerweile | |
geändert. So gäbe es sehr oft Auflagen, gegen die auch gerichtlich | |
vorgegangen werden muss. | |
Oder eine Auflagenbeschränkung kommt erst einen Tag vor der Demonstration, | |
sodass man sich fast gar nicht mehr dagegen wehren kann. Das betrifft dann | |
zum Beispiel Demonstrationen, die eine bestimmte Route gehen sollen, und | |
dann steht in der Auflagenbeschränkung, dass die Route nicht genehmigt | |
wird. Aber es war eben sehr wichtig, dass man da langgeht, weil dort die | |
Autobahn ist oder der Ort, dem im Hinblick auf Umwelt das Unrecht | |
geschieht. | |
Philipp Schönberger: Man hat ja auch ein Recht darauf, genau dort | |
hinzugehen. | |
Thiel: So ist es. Die Wahl des Ortes ist von der Verfassung her geschützt. | |
Dabei wird ja oft mit dem Rechtsstaat argumentiert, wenn es gegen | |
Klimaaktivist*innen geht. | |
Schönberger: Ja, auch Justizminister Marco Buschmann hat in einer | |
Fernsehsendung gesagt, er sei hier, um den Rechtsstaat gegen | |
Klimaaktivist*innen zu verteidigen. Aber das geht am Kern von | |
Rechtsstaatlichkeit vorbei. Rechtsstaatlichkeit soll eben gerade Macht | |
begrenzen und verhältnismäßiges Handeln von staatlichen Institutionen | |
garantieren, auch im Umgang mit Protest. | |
In dem Zusammenhang ist die Forderung nach härteren und schnelleren Strafen | |
genau das, was der Idee von Rechtsstaatlichkeit zuwiderläuft. Es ist daher | |
unsere zentrale Forderung, dass auch in einem aufgeladenen Kontext wie den | |
Klimaprotesten Verfahren rechtsstaatlich ablaufen. | |
Sie finden das Vorgehen gegen Klimaprotest also nicht verhältnismäßig? | |
Schönberger: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, ein ganz zentrales | |
rechtsstaatliches Element, geht derzeit oft über Bord, sowohl beim Einsatz | |
von Schmerzgriffen als auch generell bei Polizeigewalt. Eine kürzlich | |
veröffentlichte, relativ umfangreiche Studie zum Thema Gewalt und | |
Polizeigewalt zeigt: Die Erfahrung macht nicht nur die Klimabewegung. | |
Protest und Aktivismus finden oft in Konfrontation mit dem Staat statt und | |
der Staat setzt sich mit allen Mitteln heftig zur Wehr. | |
In anderen Regionen der Welt sieht das aber noch mal ganz anders aus, oder? | |
Thiel: Wenn wir darüber sprechen, wie Freiheitsrechte für Demonstrierende | |
in Deutschland eingeschränkt werden, ist das immer im Vergleich mit dem, | |
[3][was beispielsweise in Kolumbien passiert], zu sehen. Dort werden | |
wirklich Aktivist*innen auf Demos erschossen. Man kann auch sagen, das | |
kann man natürlich überhaupt nicht vergleichen. Wir dürfen bei unserer | |
Arbeit nicht vergessen, dass wir im Verhältnis sehr privilegiert sind. | |
Zugleich entsteht aus dieser privilegierten Position eine Verantwortung. | |
Schönberger: Ich denke, es ist uns allen sehr bewusst, dass wir eine sehr | |
privilegierte Ausgangssituation in Deutschland haben. Aber die | |
Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft verkleinern sich. Menschen | |
nutzen ihre Freiheiten, um staatliche Machtstrukturen infrage zu stellen. | |
Und diese reagieren darauf, indem die Handlungsspielräume verkleinert | |
werden. | |
Das ist etwas, was alle sozialen Bewegungen, alle politischen Bewegungen | |
weltweit erfahren und natürlich auch die Klimabewegungen. Oder konkret | |
bezogen auf strafrechtliche Ermittlungen, wegen Bildung einer kriminellen | |
Vereinigung bei der Letzten Generation: Obwohl es auf dem Papier eigentlich | |
sehr klar war, dass das sehr weit von dieser Straftatbestimmung entfernt | |
ist, wird sie genutzt, um Menschen einzuschüchtern und abzuschrecken. | |
Was heißt das dann für die Klimabewegung in Deutschland? | |
Schönberger: Das heißt, dass man ein Bewusstsein dafür braucht, dass wir | |
diese Räume verteidigen müssen, dass sie aber auch nicht vom Himmel | |
gefallen sind. Dass darum in der Vergangenheit gekämpft wurde und dies auch | |
keine Selbstverständlichkeit ist. Ich glaube, die Klimabewegung ist einer | |
der Bereiche, wo das am stärksten sichtbar wird. | |
Und umso dramatischer die Klimakrise fortschreitet, umso weiter das | |
auseinanderklafft, was uns die Wissenschaft sagt, was wir tun müssen und | |
was die Politik tut, umso mehr wird sich auch Protest radikalisieren: | |
einfach nur aufgrund der Radikalität dieser Lage und dem, was damit | |
verbunden ist. Und das wird natürlich dazu führen, dass Staaten immer | |
repressiver handeln. Es stellt sich die Frage, wie Staat und Gesellschaft | |
es gestalten: Schaffen wir es, adäquat auf die Klimakrise zu reagieren oder | |
passiert es eben nicht und die Politik verliert sich stattdessen in | |
repressiven Angeboten. | |
Mittlerweile gibt es viele Versuche, das Recht auch zum Durchsetzen von | |
Klimaschutz zu nutzen … | |
Schönberger: Die Besonderheit ist im Umweltrecht, dass die Betroffene, die | |
Natur, sich im Prinzip nicht selbst wehren kann in unserem Rechtssystem. Es | |
braucht Menschen, die sich für ihre Belange einsetzen und sie einklagen. | |
Und wir versuchen – und ich glaube, Juristen überall auf der Welt versuchen | |
es – die Foren, die sich bieten, zu nutzen. So wie die Schadenersatzklagen | |
des peruanischen Bauern, der Energiekonzern RWE verklagt, oder auch die | |
Klagen gegen VW und andere Automobilkonzerne. | |
Da klagen Einzelpersonen, die darlegen müssen: Ich bin vom Klimawandel sehr | |
wahrscheinlich ganz konkret betroffen. Das macht es natürlich auch oft | |
schwierig. Ich finde es deshalb auch wichtig zu betonen, dass man | |
Klimaklagen immer nur als ein Puzzlestück in einer größeren politischen, | |
gesellschaftlichen Auseinandersetzung verstehen kann. Es gibt oft diese | |
Hoffnung, dass wir mit Klagen das Ruder herumreißen. Das Recht hat | |
emanzipatorisches Potenzial, aber ist doch sehr limitiert. Es ist etwas, | |
was systemimmanent agiert. | |
Da war der [4][berühmte Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts] eine | |
Überraschung? | |
Schönberger: Es sind sich eigentlich alle einig, dass es den vor Fridays | |
for Future nicht gegeben hätte, weil natürlich Richterinnen und Richter | |
auch Menschen sind, die Zeitung lesen, die Kinder haben und die das | |
natürlich auch mitbewegt, was gesamtgesellschaftlich passiert. | |
Thiel: Da schließt sich sozusagen der Kreis, warum es wichtig ist, die | |
Aktivist*innen zu unterstützen. Sie können einen gesellschaftlichen | |
Diskurs pushen. Für uns ist es wichtig zu sagen: Die Leute sitzen auf der | |
Straße oder gehen demonstrieren oder begeben sich mit ihren Körpern | |
blockierend irgendwohin, wo in ihren Augen ein Unrecht passiert. Dabei kann | |
es nicht nur um Strafverteidigung – bei Vorwürfen wie Nötigung und | |
Hausfriedensbruch – gehen, sondern es muss aus unserer Sicht auch um deren | |
Argumente gehen. | |
Es gibt hier [5][kein klares Strafmaß], sondern die Leute gehen in einen | |
Braunkohletagebau oder setzen sich auf die Straße, weil hier ein Unrecht | |
passiert. Und genau das sollte in der Strafverteidigung eine Rolle spielen. | |
Wenn jemand mit einer bestimmten Motivation auf die Straße geht, dann kann | |
es auch sein, dass dieser Jemand dann mit dieser Motivation ins Gericht | |
geht und sagt, er möchte die Diskussion hier fortführen. Dabei geht es um | |
den demokratischen Prozess und darum, dass jemand nicht einfach so aus Spaß | |
das Gesetz übertritt, sondern zivilen Ungehorsam leistet, um ein höheres | |
Ziel zu erreichen. Das soll auch der Richter oder die Richterin | |
berücksichtigen. | |
28 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Claudia Krieg | |
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