# taz.de -- Unentdeckte Spezies in Sibirien: Auftauen nach 46.000 Jahren | |
> Im sibirischen Permafrost haben sie Jahrtausende überdauert. Ein | |
> Forscher*innenteam hat herausgefunden, wie die Fadenwürmer überleben | |
> konnte. | |
Bild: Ein Fadenwurm auf einem Rasterelektronenbild | |
DRESDEN dpa | Fadenwürmer können 46.000 Jahre im Permafrost überdauern und | |
sich danach wieder vermehren. Wie sie in der Kälte überleben, hat ein Team | |
um Teymuras Kurzchalia vom Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare | |
Zellbiologie und Genetik in Dresden herausgefunden. Die Würmer produzieren | |
einen speziellen Zucker und bilden eine Dauerlarve, wie das Team in der | |
Fachzeitschrift Plos Genetics schreibt. Es entdeckte zudem, dass die | |
Fadenwürmer, die im dauerhaft gefrorenen Boden Sibiriens gefunden worden | |
waren, einer bisher unbekannten Art angehören. | |
„Unsere Forschung zeigt, dass Fadenwürmer Mechanismen entwickelt haben, die | |
es ihnen ermöglichen, ihr Leben über geologische Zeiträume hinweg zu | |
erhalten“, werden Kurzchalia und sein damaliger MPI-Kollege Vamshidhar Gade | |
in einer Mitteilung des Dresdner MPI zitiert. | |
Forscher des Instituts für physikalisch-chemische und biologische Probleme | |
der Bodenkunde (RAS) in Russland hatten 2018 im Nordosten Russlands, am | |
Fluss Kolyma, Bodenproben aus dem Permafrost genommen. Im Labor gelang es | |
ihnen, zwei Fadenwürmer (Nematoden) wiederzubeleben, die sich anschließend | |
auch vermehrten, da bei diesen Tieren auch die ungeschlechtliche Vermehrung | |
möglich ist. Analysen des umliegenden Pflanzenmaterials mit der | |
Radiokarbonmethode ergaben, dass sich die Würmer rund 46.000 Jahre im | |
Permafrost befunden hatten. | |
Kurzchalia und Kollegen erforschten schon länger einen anderen Fadenwurm | |
und taten sich mit den russischen Forschern zusammen, um mehr über die | |
Würmer und ihre Überlebensfähigkeit herauszufinden. Eine vorherige | |
Untersuchung hatte eine Einordnung der Würmer aus dem Eis in die Gattung | |
Panagrolaimus erbracht, die genaue Art blieb aber unsicher. Eine genetische | |
Analyse ergab, dass die Würmer aus Sibirien zu keiner der bekannten | |
Panagrolaimus-Arten gehörte. Die Forscher nannten die neue Art | |
Panagrolaimus kolymaensis, nach dem Fluss, an dem ihre ersten Vertreter | |
gefunden worden waren. Für die Artbestimmung war das komplette Genom der | |
neuen Fadenwurmart entziffert worden. | |
## Langfristiges überleben im Eis | |
Dieses Genom verglichen die Forscher nun mit dem Erbgut von Caenorhabditis | |
elegans, einem gut untersuchten Fadenwurm. Sie untersuchten insbesondere | |
die Gene, die daran beteiligt sind, C. elegans ins Stadium der Dauerlarve | |
zu überführen. Zu ihrer Überraschung fanden sie fast alle diese Gene auch | |
bei Panagrolaimus kolymaensis. | |
Die Biologen klärten auch einen Mechanismus auf, der das Überleben bei | |
Minusgraden möglich macht: Beide Fadenwurmarten reagieren auf eine leichte | |
Austrocknung mit dem Auflösen ihrer Fettreserven und der Produktion des | |
Zuckers Trehalose. In diesem Zustand können sie eine starke Austrocknung | |
und ein anschließendes Einfrieren unbeschadet überstehen. In Anwendung | |
dieser Erkenntnisse konnten die Wissenschaftler auch den Modellorganismus | |
C. elegans nach 480 Tagen im gefrorenen Zustand wiederbeleben und zur | |
Fortpflanzung bringen. | |
Die Ergebnisse der Studie seien unter anderem wichtig, weil das | |
langfristige Überleben von Individuen einer Art zum Wiederauftauchen von | |
Abstammungslinien führen kann, die sonst ausgestorben wären, sagte Koautor | |
Philipp Schiffer von der Universität zu Köln. | |
Mit einem ähnlichen Thema befasste sich auch eine Gruppe um Giovanni Strona | |
von der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission in Ispra | |
(Italien). Das Team veröffentlichte seine Ergebnisse im Fachjournal Plos | |
Computational Biology und mahnt: „Das Auftauen des Permafrosts und das | |
mögliche Austreten alter Mikroorganismen aus dem Labor bergen das Risiko | |
biologischer Invasionen für die heutigen ökologischen Gemeinschaften, | |
einschließlich Bedrohungen für die menschliche Gesundheit durch die | |
Exposition gegenüber neu auftretenden Krankheitserregern.“ | |
Die Forscher untersuchten durch zahlreiche Simulationen im Computermodell, | |
wie sich eine Gemeinschaft von Mikroorganismen entwickelt, wenn ein neuer | |
Mikroorganismus hinzukommt. In 3,1 Prozent der Fälle wurde „der Neue“ | |
dominant, in 1,1 Prozent der Fälle sorgte er für einen Rückgang der | |
Biodiversität um bis zu 32 Prozent. „Unsere Ergebnisse deuten daher darauf | |
hin, dass unvorhersehbare Bedrohungen, die bisher auf Science-Fiction und | |
Vermutungen beschränkt waren, tatsächlich starke Triebkräfte für | |
ökologische Veränderungen sein könnten“, folgern die Studienautoren. | |
28 Jul 2023 | |
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