# taz.de -- Alpinist über tauenden Permafrost: „Der Klebstoff geht verloren�… | |
> Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Berge aus. Angst vorm Bergsteigen | |
> braucht man nicht zu haben, sagt Michael Larcher. Er rät, wie man sich | |
> vor Gefahren schützt. | |
Bild: Ausblick auf alpine Berglandschaft vom Seehorn in Tirol, Österreich | |
taz: Herr Larcher, Mitte Juni [1][brachen am Fluchthorn im Silvrettagebiet | |
eine Million Kubikmeter Gestein ab] und rauschten bergab. Muss man damit | |
rechnen, dass solche Bergrutsche mit voranschreitender Erderwärmung | |
häufiger auftreten? | |
Michael Larcher: Meine Meinung als Alpinist ist, dass Bergstürze wie am | |
Fluchthorn auch weiterhin sehr selten bleiben werden. Vielleicht sind es in | |
Zukunft keine Jahrhundertereignisse mehr, aber zur Regel werden sie wohl | |
nicht. Für uns als Bergsteiger:innen sind die vermeintlich kleineren | |
[2][Ereignisse, die mit Klimawandel, Permafrost- und Gletscherschmelze | |
einhergehen], bedeutsamer. Probleme, mit denen ich mich auf jeder Hochtour | |
auseinandersetzen muss, stellen sich jetzt in verschärfter Form. In den | |
letzten 20 Jahren haben zum Beispiel Steinschlag und Spaltenstürze zwar | |
nicht dramatisch, aber doch messbar zugenommen. | |
Der Anlass für den Gesteinsabrutsch am Fluchthorn war tauender Permafrost, | |
heißt es. Was genau ist Permafrost? | |
Es gibt in den alpinen Regionen ab einer bestimmten Höhe einen Punkt, wo | |
die Temperaturen in Felsen und Erdreich nie über null Grad steigen. Ist das | |
darin enthaltene Wasser seit über zwei Jahren gefroren, spricht man von | |
Permafrost. Oft sind es sogar mehrere hundert Jahre. Früher lag diese | |
Grenze bei rund 2.600 Metern. Mittlerweile ist sie je nach Exposition auf | |
3.000 bis weit über 4.000 Meter geklettert … | |
… und warum führt tauender Permafrost zu Bergstürzen? | |
Das liegt daran, dass Berge nicht nur aus festem Gestein bestehen, sondern | |
auch aus Erde, Sand, Schotter und losen Felsblöcken. Das Eis verbindet | |
diese Masse zu einem kompakten Festkörper. Wenn der ständig gefrorene | |
Anteil zu tauen beginnt, geht dieser Klebstoff verloren, die Hänge werden | |
instabil und es kann zu Felsrutschen kommen. | |
Muss ich nun also Angst haben, in die Berge wandern zu gehen? | |
Ich sage Nein. Schwere Unglücke durch Bergrutsche werden sehr selten | |
bleiben. Da muss man zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Außerdem | |
betrifft das Gletscher- und Hochtouren ab einer Höhe von mindestens 2.500 | |
Metern. Durchschnittliche Wander:innen sollten in diesen Gefahrenzonen | |
nicht unterwegs sein. Aber sehr wohl muss ich mich auf zusätzliche Gefahren | |
im kleinen Rahmen einstellen. Besonders an heißen Tagen. | |
Wie kann ich mich als Bergsteiger vor solchen Gefahren schützen? | |
Bei der [3][Tourenplanung ist es extrem wichtig], die aktuellen | |
Verhältnisse zu er- und hinterfragen, weil die Bergführerliteratur oft | |
mehrere Jahre alt ist. Vor allem rate ich, die lokale Expertise ernst zu | |
nehmen. Auf den Alpenvereinshütten arbeiten sehr erfahrene Wirtsleute, die | |
genau Auskunft darüber geben können, wo erhöhtes Risiko herrscht. Diese | |
Bereiche sollte man meiden und im Notfall lieber einen Umweg in Kauf | |
nehmen. Ich gebe außerdem mehr acht auf steinschlaggefährdete Passagen. | |
Wenn ich zum Beispiel viel lockeres Gestein in oder am Fuß von Flanken sehe | |
oder lose Felsen am blanken Eis liegen, ist Vorsicht geboten. Gegen Stürze | |
in Gletscherspalten kann ich mich gut schützen, indem ich mich anseile. | |
Wie genau wird der schmelzende Permafrost beobachtet? | |
Universitäten und Forschungseinrichtungen beobachten und erforschen den | |
Rückgang des Permafrosts. Außerdem sind sie in der Lage, mit seismischen | |
und akustischen Messungen sowie der Erfassung von Spalten die Bewegung der | |
Berge aufzuzeichnen. So können Entwicklungen ziemlich genau abgebildet | |
werden. | |
Also lassen sich solche Ereignisse vorhersagen? | |
Nur bedingt, denn diese Technologie kommt nur dort zum Einsatz, wo zivile | |
Infrastruktur oder sehr stark frequentierte Bergwege bedroht sind. Die | |
ganzen Alpen könnten niemals unter Beobachtung gestellt werden, da das | |
Gebiet viel zu groß wäre. | |
Das heißt, Bergstürze können auch Infrastruktur treffen? | |
Ja, Erdrutsche in den Alpen können vereinzelte Gehöfte, Verkehrswege und | |
Siedlungen erreichen. Deswegen gibt es Ämter, die die Aufgabe haben, | |
Naturgefahren im Auge zu behalten und im Ernstfall eine Evakuierung zu | |
veranlassen. So wie im Schweizer Brienz, wo vergangene Woche ein Felsrutsch | |
das Dorf nur knapp verfehlte. Das hatte allerdings nichts mit Permafrost zu | |
tun. Der Berg war dort schon lange in Bewegung und drohte abzurutschen. | |
Muss man auch darüber nachdenken, Berge zu sperren? | |
Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Es macht keinen Sinn, jetzt zum | |
Beispiel die ganze Silvretta, wo sich das Fluchthorn befindet, zum | |
Krisengebiet zu erklären. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich noch | |
einiges an instabilem Material in den Hängen befindet und mit weiteren | |
Felsstürzen gerechnet werden muss. Deswegen kann der Alpenverein, der für | |
die Wege in den Bergen zuständig ist, gemeinsam mit Geolog:innen sowie | |
mit Ortsgemeinden eine Sperrung von einzelnen Pfaden veranlassen, um | |
Schaden zu vermeiden. Aber die Witterung wird dafür sorgen, dass sich das | |
Gelände auch wieder stabilisiert, und dann wird man auch wieder neue Wege | |
finden und anlegen. | |
Wie gefährdet sind Berghütten? | |
Für Hütten sehe ich das Risiko nahe bei null. Die Alpenvereinshütten stehen | |
in der Regel auf Anhöhen, wo sie vor Bergstürzen gut geschützt sind, und | |
nicht unterhalb von Hängen. Im Winter werden manchmal Hütten durch Lawinen | |
beschädigt, aber dann sind sie meist auch nicht bewohnt. Mir ist keine | |
Hütte bekannt, die von einem Bergsturz zerstört wurde. Welche Problematik | |
es aber sehr wohl gibt, ist, dass Fundamente von auf Permafrost gebauten | |
Schutzhäusern instabil werden. Dann muss man überprüfen, ob die Hütte | |
bautechnisch verstärkt werden muss. | |
30 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Denis Pscheidl | |
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