# taz.de -- Bergtourismus in Japan: Stau der Kugelkletterer | |
> An Japans heiligem Berg Fuji-san drängeln sich die Touristen. Manche | |
> wollen den Massenansturm eindämmen, für andere gehört der Stau am Berg | |
> dazu. | |
Bild: Berg Fuji: Wer ihn besteigt, gilt als weise. Wer es nochmal macht, als Id… | |
Tokio taz | Nachts aus der Ferne sieht man auf der schwarzen Silhouette von | |
Japans höchstem Berg eine weiß glitzernde Linie, die sich bis hoch oben zu | |
seiner Spitze zieht. Das Licht stammt von den grellen Kopflampen von | |
unzähligen Wanderern, die den Berg Fuji besteigen, um von seinem knapp | |
3.800 Meter hohen Gipfel gegen halb sechs Uhr morgens die Sonne über dem | |
Pazifik aufgehen zu sehen. | |
Für diesen erhabenen Moment der Naturschönheit stehen sie auf den letzten | |
700 Höhenmetern mit Tausenden anderer Wanderer stundenlang im „Frühstau zu | |
Berge“, wenn es nur noch schrittweise vorangeht. „Die Leute stehen so dicht | |
hintereinander, dass sie bei einer Panik wie Dominosteine umfallen würden“, | |
berichtet die Anwältin Arisa Tanaka vom Aufstieg am vergangenen Wochenende. | |
Der Andrang ist so groß, dass Einweiser kurz vor dem Gipfel die Menschen | |
mit „Come on, let’s go“ antreiben, damit kein gefährliches Gedränge | |
entsteht. Die englischen Worte gelten den vielen Kletterern aus dem | |
Ausland. | |
Die offizielle Aufstiegssaison reicht von Ende Juni bis Mitte September, | |
wenn der Fuji-san komplett schneefrei ist. (Wie Mont beim Montblanc gehört | |
das Wort san für Berg zum japanischen Namen, die deutsche Bezeichnung | |
Fujiyama beruht auf einer falschen Lesung des Schriftzeichens für Berg.) | |
Der Aufstieg ist relativ leicht, da man bis zur fünften Bergstation in | |
2.300 Meter Höhe mit dem Auto oder Bus fahren kann. Bis dorthin kamen in | |
diesem Jahr vier Millionen Menschen. Mehrere Hunderttausend davon machen | |
sich dann auf den Weg zum Gipfel, darunter Senioren, Kleinkinder und | |
Jogger. Die Betreiber der Hütten mit Schlafpritschen und die freiwilligen | |
Helfer kommen daher mit dem Einsammeln von Müll und dem Reinigen der | |
wenigen Toiletten kaum hinterher. | |
## Touristen aus dem Ausland sind ein Problem | |
Knapp ein Drittel der Kletterer versucht einen „Bullet Climb“, will also | |
den sechs- bis achtstündigen Aufstieg über Nacht pünktlich zum | |
Sonnenaufgang ohne Ruhepause schaffen. Ein großes Schild an der fünften | |
Station warnt ausdrücklich vor diesem „Kugelklettern“, so der japanische | |
Ausdruck, insbesondere vor der größeren Verletzungsgefahr durch scharfes | |
Lavagestein aufgrund von Müdigkeit, vor Höhenkrankheit durch die dünne Luft | |
und vor Unterkühlung, wenn die Menschen bei Temperaturen nahe Null | |
verschwitzt im Stau stehen. Jeder siebte Schnellwanderer gäbe erschöpft | |
auf, daher sollte man sich genügend Zeit für einen gemächlichen Aufstieg | |
lassen. | |
Die japanische Presse berichtete ausführlich über diese „Unsitte“ und | |
identifizierte Touristen aus dem Ausland als das eigentliche Problem. Aber | |
von den 61 Menschen, die die Bergwacht retten musste, war nur jeder vierte | |
ein Ausländer. | |
Wer den Fuji-san besteigt, gilt einem japanischen Bonmot zufolge als weise. | |
(Aber wer es zweimal tut, als Idiot.) Deshalb wollen auch viele | |
Landesbewohner einmal ganz oben auf diesem seit 1707 schlafenden Vulkan | |
stehen. Das diesjährige Chaos belebte jedoch die japanische Diskussion, den | |
Massentourismus stärker zu regulieren. | |
„Diese Krise ist unkontrollierbar“, sagte ein Beamter. Der Bürgermeister | |
der nahen Stadt Fuji-Yoshida ging noch weiter: „Der Fuji-san ist ein | |
heiliger Berg, der gar nicht berührt werden sollte“, sagte Shigeru | |
Horiuchi. Die Behörden fühlen sich unter Druck. Denn die UNESCO hatte den | |
Fuji vor zehn Jahren zum Weltkulturerbe erklärt und schon damals Maßnahmen | |
gegen die Überfüllung sowie den Rückbau der Parkplätze an den Bergflanken | |
verlangt. Daher griffen die Lokalregierungen nun den früheren Plan auf, den | |
Auto- und Busverkehr zu verbieten und auf der 28 Kilometer langen | |
Zufahrtstraße eine Bahnlinie zu bauen. | |
Auf diese Weise könnte man die Zahl der Besucher und Kletterer leicht | |
verringern. Das Vorbild liefern die Bergbahnen in der Schweiz. „Ohne dieses | |
Projekt verliert der Fuji-san seinen Charme“, meinte der zuständige Beamte. | |
Dagegen setzten sich Tourismusvertreter dafür ein, den Busverkehr am Berg | |
zu elektrifizieren. Viele Fuji-Bezwinger lassen diese Überlegungen kalt. | |
„Die Massen gehören zu diesem Erlebnis halt dazu“, sagt die deutsche | |
Touristin Eva Möller nach zehnstündigem Kugelklettern mit glücklichem | |
Gesicht. | |
16 Sep 2023 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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