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# taz.de -- Reportage von der ukrainischen Kriegsfront: Unter Dauerbeschuss
> Trotz Gegenoffensive geraten die ukrainischen Streitkräfte vielerorts
> unter Druck. Im Serebrjanka-Wald zeigt sich die russische Feuerkraft
> besonders.
Bild: Soldat „Makar“ von der 5. Slobozhanka-Brigade vor seinem Fahrzeug
SEREBRJANKA taz | Bis auf die Grundmauern zerstörte Wohnhäuser, dazwischen
ausgebrannte, verrostete Fahrzeuge und Militärtechnik. Die Gegend, in der
seit Monaten ukrainische und russische Soldaten gegeneinander kämpfen,
vermittelt Endzeitstimmung. Im Gebiet des seit Monaten umkämpften Waldes
von Serebrjanka, südöstlich der russisch besetzten Stadt Kreminna, etwa 80
km nördlich von [1][Bachmut] in der Region Luhansk, rücken die ukrainischen
Verteidigungskräfte in südliche Richtung vor.
Und genau dort sind die russischen Truppen jetzt zum Angriff übergegangen.
Von dem Wald ist nicht mehr viel übrig. Viele Bäume sind verbrannt und
haben kein Laub, nur noch die kahlen Stämme ragen in den blauen Himmel. Am
Donnerstag ist die Frontlinie nur etwa sieben Kilometer von der Kleinstadt
Kreminna entfernt. Vor allem Einheiten der ukrainischen Nationalgarde und
der Armee sind hier zur Verteidigung eingesetzt.
Der Wald selber ist für Journalisten nicht mehr zugänglich, da die
russischen Streitkräfte ihn pausenlos beschießen und die gesamte Fläche mit
Drohnen überwachen. Aber ganz in der Nähe, in einem komplett
heruntergebrannten, namenlosen Dorf ist es möglich, mit Soldaten der 5.
Slobozhanka-Brigade der ukrainischen Nationalgarde ins Gespräch zu kommen,
die hier in der Gegend seit dem Winter unterwegs sind. Die Frontlinie ist
nur wenige Kilometer entfernt, aus dem Waldgebiet hört man die nahe
Artillerie.
Der Bataillonskommandeur der 5. Slobozhanka-Brigade, ein Oberstleutnant mit
Kampfnamen „Kaiman“, erzählt, dass die russischen Soldaten seit einem Monat
fast ununterbrochen die ukrainischen Stellungen beschießen. Täglich gebe es
Angriffe. Auf russischer Seite stehen Einheiten der Luftlandetruppen und
des [2][privaten Sicherheits- und Militärunternehmens] (PMC) „Sturm-Z“, die
zum Teil aus ehemaligen Häftlingen bestehen. „Die Lage ist wegen der
ständigen russischen Angriffe sehr angespannt“, sagt er. Jetzt im Sommer
sei es sehr heiß, dazu hätten die Russen viel Artillerie, Infanterie und
Ausrüstung zur Verfügung. Der Brigade stehen Fallschirmjäger und
PMC-Einheiten von „Sturm-Z“ und „Bars“ gegenüber.
## Russland feuert seit Kriegsbeginn Streumunition
„Unsere Jungs halten bis jetzt erfolgreich die Verteidigung aufrecht. Aber
es ist schwierig. Die meisten Verluste haben wir durch Artilleriebeschuss.“
Die russischen Kräfte hätten Panzer, Kanonenhaubitzen und viele Mörser und
Granatwerfer im Einsatz. Das sind noch alte sowjetische Modelle. „Was ich
vorher noch nie gesehen hatte, ist der Tjulpan-Mörser mit einem Kaliber von
240 Millimeter, aus dem 100-Kilogramm-Granaten abgefeuert werden können.
Ziemlich unangenehme Angelegenheit“, so „Kaiman“. Der Kommandeur fügt no…
hinzu, dass sich die Angriffe der Besatzer im vergangenen Monat
verdreifacht haben. Auch der Artilleriebeschuss werde immer stärker.
„Kaiman“ erzählt auch, dass die russische Armee seit dem ersten Tag des
Einmarsches in die Ukraine [3][Streumunition] abfeuere, während es für die
Ukraine von offizieller Seite aus dem Westen immer wieder heißt, dass die
Lieferung dieser Munition unzulässig sei. Darüber hinaus setzen die Russen
in der Region Kreminna fast täglich auch chemische Kampfstoffe ein.
„Die Giftgase verwenden die Russen praktisch täglich. Sie werden von
Drohnen oder von Artillerie abgefeuert. Vor zwei Tagen zum Beispiel wurden
chemische Granaten eingesetzt. Es gab eine Explosion in der Luft und dann
strömte gelb gefärbtes Gas von oben herunter.“ Die Wirkung beschreibt
„Kaiman“ so: „Man spürt, dass man erstickt, dass einem die Tränen komme…
dass man teilweise das Bewusstsein verliert.“
Die Granaten kämen sowohl bei Angriffen als auch bei Infanteriegefechten
zum Einsatz. Neben Artillerie verfügt die russische Armee hier auch über
zahlreiche Panzer, taktische Luftfahrzeuge und K-52-Hubschrauber. Auch bei
Aufklärungs- und Kampfdrohnen haben die Russen einen Vorteil.
## Für die allgemeine Mobilmachung
Und dann wird der Kommandeur emotional: Die ukrainischen
Verteidigungseinheiten benötigen seiner Meinung nach ein Vielfaches an
Artillerie, gepanzerten Fahrzeugen und Drohnenabwehrsystemen. „Weil es
entweder keine oder nicht genügend Ausrüstung gibt, erleiden wir schwere
Verluste bei der Infanterie. Die Infanterie muss einen Großteil der Arbeit
erledigen, die eigentlich durch vernünftige Ausrüstung hätte erledigt
werden können“, sagt er.
Der Kommandeur glaubt, dass eine allgemeine Mobilmachung in der Ukraine
dazu beitragen würde, den Krieg zu beenden. „Diejenigen, die bereits in
Kampfeinheiten sind, sollten auch an der Front eingesetzt werden. Die
anderen müssen zunächst im Hinterland geschult werden. Aber wir müssen die
Menschen in Bereitschaft versetzen.“ Für das Warum hat er auch eine
Antwort: „Wenn der Gegner unsere Ortschaften einnimmt, werden diejenigen,
die nicht in Bereitschaft sind, vom Gegner gewissermaßen aktiviert. Und sie
müssen dann gegen uns kämpfen. Wir werden dann gezwungen sein, sie zu
töten“, sagt er.
Den Einsatz von chemischen Kampfstoffen durch die Russen bestätigt auch der
Luftaufklärungsoffizier der Brigade, Unterleutnant Oleksandr, Kämpfer und
Abgeordneter des Charkiwer Gebietsrates. „Die Situation ist ständig
schwierig, aber unter Kontrolle“, sagt er.
Ein Kompaniechef der 5. Slobozhanka-Brigade der ukrainischen Nationalgarde,
ein Oberleutnant mit dem Kampfnamen „Elf“, erklärt die Taktik der
russischen Streitkräfte. Die Soldaten griffen in kleinen Gruppen an: Die
Hälfte des Trupps, fünf bis sechs Mann, rückten vor, versuchten, die
ukrainischen Stellungen zu stürmen, um zu prüfen, welche Waffen die
Soldaten hätten. Gelänge es ihnen, weiter vorzudringen, rückten zwei
weitere Deckungsgruppen vor, die ihnen während des gesamten Gefechts zur
Seite standen, und sichern sich in neuen Stellungen.
## „Die Jungs haben einen starken Willen“
Schlüge der russische Angriff fehl, werde ein Teil der Vorhut getötet, der
Rest drehe einfach um und ziehe sich zurück. „Elf“ sagt, dass die Russen
fast nie ihre Toten einsammelten. Sie kämpften jedoch sehr professionell
und geschickt und verwenden relativ neue Ausrüstung, darunter T-90-Panzer.
Ein anderer Kommandeur des Bataillons, ein Oberstleutnant der Nationalgarde
mit dem Kampfnamen „Baschnja-5“, stellt fest, dass die Moral der
ukrainischen Soldaten höher sei, was ihnen ermögliche, sowohl den
überlegenen gegnerischen Kräften als auch dem Beschuss zu widerstehen.
„Die Jungs haben einen starken Willen, sie halten durch. Ich habe selbst so
einen Fall erlebt: Ein Mann weint, setzt sich aber trotzdem ins Auto und
fährt zum Kämpfen. Sie haben Kampfgeist. Im Gegenzug nehmen können die
Russen mit ihrer schlichten Menge wuchern. Ich verstehe die russische
Mentalität nicht. Sie schicken einfach immer wieder Leute los, zum Teil
sind sie nur mit Granaten in die Schützengräben gegangen. Wenn sie getötet
werden, kommen gleich die nächsten. Keine Ahnung, was da mit ihrer Moral
passiert ist, vielleicht sind sie alle gehirngewaschen“, sagt der Offizier.
Der Kommandeur „Baschnja-5“ kommt aus der gleichen Kleinstadt wie der
Autor, aus dem Gebiet Charkiw. Sie kennen sich schon über zwanzig Jahre,
waren Rivalen beim Basketball. Zum Abschied machen sie noch ein gemeinsames
Foto. Als Andenken.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
3 Aug 2023
## LINKS
[1] /Kampf-um-Bachmut/!5933141
[2] /Rechtslage-fuer-Soeldner/!5142168
[3] /Streumunition-fuer-die-Ukraine/!5945844
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Juri Larin
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