# taz.de -- Zeichnerin Beaton über Comic „Ducks“: „Ich habe alles genau … | |
> Die Zeichnerin Kate Beaton schildert in „Ducks“ ihre Arbeit in Kanadas | |
> Ölsanden. Sie spricht über Folgen für die Umwelt und sexuelle Übergriffe. | |
Bild: Die Protagonistin Katie in Kate Beatons Comic „Ducks“ | |
wochentaz: Frau Beaton, bei uns weiß man wenig über die kanadische | |
Ölförderung. Was hat es mit ihr auf sich? | |
Kate Beaton: Die [1][oil sands im Norden Kanadas sind das weltweit | |
drittgrößte Ölvorkommen]. Aber sie sind kaum bekannt, weil es sich bei | |
ihnen nicht um Quellen, sondern um Sedimente handelt. Das Öl ist mit Sand | |
und Erde vermischt, und um es zu fördern, wie in einer Mine, muss man eine | |
Menge Energie verbrauchen – die wiederum von Öl erzeugt wird! | |
Das klingt nicht nach einer umweltverträglichen Förderung. | |
Man benötigt sehr viel Wasser, um Öl und Sand zu trennen. Das Abwasser wird | |
in Becken voller Giftmüll geleitet. Die Gesamtheit dieser Becken, die um | |
einen der oil sands liegen, entspricht der Oberfläche der Stadt Vancouver. | |
Aus ihnen sickert Gift in den Boden, das die Krebsrate der indigenen | |
Bevölkerung ansteigen lässt. Aber die Industrie und die Regierung weigern | |
sich, diesen Zusammenhang anzuerkennen; sonst müssten sie hohe | |
Entschädigungen zahlen oder sogar die Ölförderung einstellen. | |
Im Nachwort Ihrer Graphic Novel weisen sie darauf hin, dass das Gebiet der | |
oil sands den Indigenen gestohlen wurde. | |
In den 1960ern, als die Ölförderung begann, lud man die lokalen Indigenen | |
zu Gesprächen ein. Aber zu behaupten, es hätte einen echten Dialog gegeben, | |
wäre eine Farce. Sie hatten keine andere Wahl, als zuzustimmen. Der Abbau | |
hätte ohnehin begonnen, und über dessen langfristige Folgen hat man die | |
Indigenen nicht informiert. | |
Sie haben nicht freiwillig in den oil sands gearbeitet, sondern weil Sie | |
Ihr Studiendarlehen abarbeiten mussten. | |
Ich komme aus einer ländlichen Gegend im Osten Kanadas, die aufgrund | |
ökonomischer Veränderungen ab den 1980ern zunehmend verarmte. Auf der High | |
School wurde uns der Besuch der Universität als Chance angepriesen. Aber | |
mit meinem Bachelor of Arts fand ich dann keinen Job. Außerdem wollte ich | |
möglichst schnell dieses Darlehen abzahlen. Also ging ich zu den oil sands, | |
wie so viele zuvor. | |
Die Arbeit dort war ein Kulturschock für Sie, nicht zuletzt wegen der | |
permanenten sexuellen Belästigung. | |
Sexuelle Belästigung erfährt jede Frau, nur nicht in diesem Maße. Man muss | |
jedoch die Umstände berücksichtigen. Da gab es Männer, die aus meiner | |
Heimat kamen, aber sie hatten sich stark verändert. Das lag an diesen | |
Arbeitsorten, an der sozialen Isolation, der Einsamkeit, an Alkohol, Drogen | |
und dem Druck, der auf allen lastete. Die Männer drehten durch. Sie taten | |
Dinge, die sie zu Hause nie getan hätten. Das macht mich eher traurig als | |
wütend. | |
Einige der älteren Frauen wollten Sie nicht verstehen. Nach ihrer Ansicht | |
waren, was die Männer Ihnen sagten, doch nur Komplimente. | |
Solche Frauen denken so etwas wie: „Ach, wäre ich noch einmal jung!“ Die | |
Vorstellung, dass Frauen untereinander zwangsläufig solidarisch sind, | |
trifft leider nicht zu. [2][Es gibt ja auch genug, die Trump toll finden]. | |
Sie wurden zweimal vergewaltigt, aber die Männer, die Ihnen das antaten, | |
nahmen es wohl gar nicht als Vergewaltigung war. | |
Bei einem der Männer ergab es sich für ihn einfach aus dem Verlauf des | |
freien Abends, den wir hatten. Danach ist er gleich los, um sich mit seinen | |
Freunden zu treffen; das war ihm letztlich wichtiger als der erzwungene Sex | |
mit mir. | |
Sie zeigen die Vergewaltigungen nur indirekt, im ersten Fall als eine Folge | |
schwarzer Panels, im zweiten als eine Out-of-Body-Experience Katies. | |
Auf diese Weise war es möglich, der jüngeren Version meiner selbst nicht | |
ihre Würde zu rauben. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich das am | |
besten zeichne. | |
„Ducks“ unterscheidet sich inhaltlich von den [3][Comics, die Sie bislang | |
gemacht haben]. Doch Sie erzählen nach wie vor keine zusammenhängende | |
Geschichte. Sie schildern Szenen, die nur locker miteinander verbunden | |
sind. | |
Ja, ich habe mich nicht grundlegend verändert. Mich interessieren bestimmte | |
Momente, in denen deutlich wird, was Menschen ausmacht und wie sie | |
interagieren. In „Ducks“ wollte ich nicht im klassischen Sinne etwas | |
erzählen, sondern das Lesepublikum an Situationen teilhaben lassen. Ich | |
habe das alles genau so erlebt; nichts ist erfunden. | |
Zeichnerisch fokussieren Sie sich stark auf die Mimik und Gestik Ihrer | |
Figuren. Hintergründe spielen kaum eine Rolle. | |
Manchmal habe ich in der Tat überlegt, mehr Hintergründe zu zeichnen, damit | |
nicht Leute zu mir kommen und sagen: „Hey, ich hab dein Buch an nur einem | |
Nachmittag durchgelesen!“ | |
In einzelnen großen Panels zeigen Sie aber, detailliert gezeichnet, | |
verschiedene Wildtiere, die majestätische Natur in der Umgebung der Camps | |
und die Maschinen, mit denen dort gearbeitet wird. | |
Selbst auf Fotos kann man sich nicht vorstellen, wie groß diese Maschinen | |
sind. Man muss die Trucks und die Kräne selbst gesehen haben. Einmal wurde, | |
in Einzelteile zerlegt, der höchste Kran der Welt geliefert, und als man | |
ihn aufgebaut hatte, war er einfach nur eine weitere riesige Maschine. | |
Warum haben Sie sich eigentlich entschieden, den Comic „Ducks“ zu nennen? | |
In den giftigen Abwasserbecken sind mehrfach Enten gestorben. Ihnen erging | |
es ähnlich wie den Arbeitern. Sie zogen umher, glaubten, an einen für sie | |
guten Ort gekommen zu sein – und der wurde ihr Verhängnis. Außerdem hat das | |
Schicksal der Enten erstmals weltweit auf die kanadische Ölförderung | |
aufmerksam gemacht. Vorher hat sich niemand dafür interessiert. Angesichts | |
der sonstigen ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Schäden, die aufs | |
Konto der Ölförderung gehen, war die Aufregung über die Enten allerdings | |
unangemessen und heuchlerisch. | |
29 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Haas | |
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