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# taz.de -- Comic „Rampokan“ über Indonesien: Diffuse Farben des Koloniali…
> Die „Rampokan“-Gesamtausgabe ist ein Meisterstück. Peter van Dongen läs…
> darin das Ende der Kolonialherrschaft in Indonesien auferstehen.
Bild: Mit- und Gegeneinander von Indonesiern, Niederländern, Sikhs und anderen…
Ein Traum treibt den Holländer Johan Knevel an, nach
Niederländisch-Ostindien zurückzukehren: die Erinnerung an eine glückliche
Kindheit auf Java, als seine Eltern noch lebten. Sein Vater starb im Krieg
durch einen Torpedo, seine Mutter und ihr kleines Baby an Typhus. Eine
musste überlebt haben: Ninih, seine „Babu“ – das Kindermädchen, das sic…
Johan wie eine zweite Mutter kümmerte.
Nun, 1946, kehrt er als Teil eines Bataillons niederländischer Söldner
zurück nach Indonesien, um dort für „Ordnung“ zu sorgen. Durch
„Polizei-Aktionen“ will die ehemalige Kolonialmacht Holland die
Aufständischen zur Räson bringen. Johan Knevels persönliche Mission ist
eine andere: Er will Ninih wiederfinden und damit sein verlorenes Paradies.
„Rampokan“ nennt sich die nun erschienene Gesamtausgabe der Graphic Novel
von Peter van Dongen. Rund zwölf Jahre Arbeit steckte der Künstler in sein
ursprünglich auf zwei Bände aufgeteiltes Opus magnum: Zunächst erschien in
den Niederlanden 1998 der erste Teil „Java“, 2004 der zweite Teil
„Celebes“. Schon der übergeordnete Titel weist in seiner Vieldeutigkeit auf
die Komplexität der Geschichte hin: Auf Java bezeichnet „Rampokan“ einen
rituellen Tigerkampf, bei der am Ende des Ramadan zeremoniell ein Raubtier
getötet wird.
Mit dem Tiger konnte jedoch im historischen Kontext auch die koloniale
Herrschaft gemeint sein, gegen die man sich auflehnte. „Rampokker“ wurden
die Aufständischen, die Terroristen von den Holländern genannt, während die
Einheimischen damit (holländische) Plünderer bezeichneten. Die grausame wie
faszinierende Zeremonie des Rampokan durchzieht die ganze Graphic Novel wie
ein Leitmotiv in verschiedenen Variationen, der Tod bleibt dementsprechend
stets präsent.
## Eng verwoben mit der eigenen Biografie
Peter van Dongen weiß, wovon er erzählt. Der 1966 in Amsterdam geborene
Comiczeichner ist der Sohn eines Niederländers deutsch-holländischer
Abstammung und einer Indonesierin. Von Kindheit an faszinierten ihn die
Erzählungen seiner auf der Insel Sulawesi (die früher Celebes hieß)
aufgewachsenen Mutter und der auf Ternate geborenen Großmutter. 1992 reiste
er das erste Mal nach Indonesien, um Eindrücke zu sammeln für sein langsam
reifendes Comicprojekt.
Der historische Hintergrund wird in der Graphic Novel recht knapp erzählt,
das mit Skizzen und Fotografien angereicherte neue Nachwort von Eric
Verhoest verdeutlicht aber die wesentlichsten Details: Nach
jahrhundertelanger Besatzung des pazifischen Inselreichs wurden die
Niederländer während des Zweiten Weltkrieges aus ihrer Kolonie von den
Japanern vertrieben, die nun als neue Herrscher auftraten.
Nach der Kapitulation Japans riefen indonesische Politiker der
Nationalbewegung am 17. August 1945 die Unabhängigkeit aus. Doch die
Niederlande erkannten das nicht an und wollten ihre alte, höchst lukrative
Kolonie wiederherstellen. Sie verstärkten ihre Kolonialarmee durch
Söldnereinheiten, die brutale Militäraktionen durchführten, die offiziell
geschönt als „Polizei-Aktionen“ bezeichnet wurden.
Peter van Dongens Protagonist Johan Knevel (der Name lehnt sich an den
seines Großvaters, Kneefel, an) ist Teil dieser Söldnertruppe. Auf der
Überfahrt von Holland nach Java gerät der Blondschopf in einen
handgreiflichen Konflikt mit dem (wie er selbst in Indonesien geborenen)
Kameraden Erik Verhagen, der Kommunist ist und – wie sich später
herausstellen sollte – mit der indonesischen Unabhängigkeitsbewegung
sympathisiert. Unabsichtlich stürzt Verhagen dabei über Bord, was Johan vor
den andern verschweigt.
Die Schuld, Verhagens Tod verursacht zu haben, wird ihn die ganze
Geschichte hindurch begleiten, bis zu ihrer Quasiverschmelzung: Als Johan
später desertiert, gibt er sich seinen neuen Verbündeten als der Kommunist
Verhagen aus. Ein weiterer wichtiger Charakter ist der stämmige Vorgesetzte
Sergeant Jonker, der Johan auf dem Kieker hat und die holländische
Söldnermentalität am deutlichsten repräsentiert. Bei Patrouillengängen
kommt es zu Folterungen und Massakern, für die Jonker verantwortlich ist.
## Sexuelle Ausbeutung von Minderheiten
Und dann ist da noch Lisa, die der chinesischen Minderheit auf Java
angehört und dadurch Diskriminierungen von verschiedenen Seiten ausgesetzt
ist. Zunächst ist sie die Geliebte des für die Militäreinsätze
verantwortlichen Majors van Daalen, bevor sie sich mit Johan einlässt. In
ihrer Person, die als charakterlich rätselhafte, durchaus selbstbewusste
Frauenfigur angelegt ist, besonders in ihren Beziehungen zu den Besatzern,
schwingt stets das Thema der sexuellen Ausbeutung mit.
Van Dongen vermeidet gekonnt allzu simple Schwarz-Weiß-Zeichnungen seiner
Charaktere: Jeder versucht bloß, sich durchzuschlagen. Er zieht den Leser
hinein in ein kompliziertes Geflecht gesellschaftlicher und politischer
Umstände. Die Stabilität der längst siechenden kolonialen Ordnung gerät
durch Anschläge ins Wanken, und die brutalen Gegenmaßnahmen der
holländischen Militärverwaltung wirken nur noch hilflos.
So überzeugt die Graphic Novel durch ihre differenzierte Zeichnung der
Konfliktparteien und der beteiligten Personen, die die Geschichte nicht
zurückdrehen können. Dass die meisten Hauptfiguren Niederländer sind, stört
dabei wenig, da sie fast durchweg emotionale oder familiäre Beziehungen zum
Land haben.
Zeichnerisch ist Peter van Dongen einer der besten Vertreter der Ligne
Claire, die „Tim und Struppi“-Schöpfer Hergé geprägt hat. Der Niederlän…
überzeugt durch eine perfekte Adaption dieser nüchternen und in ihrer
Klarheit unübertroffenen Zeichentechnik, sodass er heute auch (zusammen mit
Teun Berserik) die [1][von Hergés Mitstreiter Edgar Pierre Jacobs kreierte
„Blake und Mortimer“-Reihe] zeichnen durfte (zuletzt erschien „Der letzte
Tigerhai“).
Die neue Kolorierung tut dem ursprünglich in Sepia-, Grau- und
Schwarz-Weiß-Tönen angelegten, dadurch etwas sperrig anmutenden Werk sehr
gut: Die Lesbarkeit und Zugänglichkeit der Geschichte wurde dadurch
deutlich erhöht. Zugleich wird die – für europäische Leserinnen und Leser …
anzunehmende „Exotik“ des Themas und der Schauplätze durch die
ungewöhnliche Farbpalette van Dongens und der Koloristin Marloes Dekkers
abgemildert. Die indonesischen Insellandschaften werden so in ein diffuses
Licht getaucht, das der inhaltlichen Darstellung der Vorgänge entspricht.
## Keine Schwarz-weiß-Zeichnungen
„Rampokan“ ist ein Meisterwerk, das sowohl auf grafischer Ebene überzeugt
wie auch in der erzählerischen Anlage. Eine derart profunde Darstellung des
Kolonialismus ist in Comics und Graphic Novels noch relativ selten (2013
erschien [2][„Kongo – Joseph Conrads Reise ins Herz der Finsternis“ von T…
Tirabosco und Christian Perrissin,] in denen der belgische Kolonialismus
angeprangert wurde).
Van Dongen verklärt weder die Seite der „Rampokker“, der aufständischen
Indonesier, die auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, noch relativiert er
die verbrecherischen Methoden der ehemaligen Kolonialmacht, deren
überhebliche Attitüde in allen Figuren deutlich durchscheint.
Nicht jeder Aspekt der indonesischen Thematik wird auserzählt, van Dongen
deutet lieber an, als dass er Erklärungen liefert. Indonesien vereinte
damals wie heute zahlreiche Ethnien – van Dongen erhebt nicht den Anspruch,
dokumentarisch präzise das Mit- wie Gegeneinander von Molukkern, Sikhs und
anderen Bevölkerungsgruppen erschöpfend darzustellen.
Ebenso ist die zukünftige, postkoloniale Ordnung Indonesiens nach dem Abzug
der Holländer nicht Thema der Graphic Novel. Van Dongen zeichnet vielmehr
ein komplexes Sittenbild der Endphase der von Gewalt geprägten Beziehung
zwischen unterschiedlichen Kulturen. Dabei verzichtet er auf vordergründige
Anklagen. Mehr kann man von einem Kunstwerk wie auch von einem Comicroman
nicht erwarten. Wer die Lektüre von „Rampokan“ beendet, wird sie so schnell
nicht vergessen.
21 Aug 2023
## LINKS
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[2] /Graphic-Novel-Kongo/!5051253
## AUTOREN
Ralph Trommer
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