# taz.de -- Bilder aus der Zukunft: Pflanzen statt Flugtaxis | |
> Ein neuer Bildband reist ins Jahr 2045, in dem alles besser geworden ist. | |
> Er zeigt, wie sich unsere Vision von der idealen Zukunft verändert hat. | |
Bild: Ein Strand auf dem Fluss und Gärten auf dem Dach. So könnte Düsseldorf… | |
Fliegende Autos und Wolkenkratzer, Spaceshuttles und Hoverboards – so hat | |
man sich die Zukunft früher vorgestellt. Wenn sich Menschen heute an die | |
Hoffnung wagen, sehen die Hochglanzutopien, die dabei entstehen, ganz | |
anders aus. | |
Ums Münchener Siegestor wächst keine neue Skyline. Die Altbauten bleiben | |
stehen, an den Fassaden wächst Grün. Da, wo die Betonlandschaft | |
aufgebrochen ist, spielen Kinder. Auch Düsseldorfs Hochhäuser wachsen nicht | |
über sich hinaus, werden dafür aber grüner. Es gibt Kletterwände und | |
Dachterrassen mit Bienenkästen. Die Zukunft protzt mehr mit Leben als mit | |
Glas, Stahl und Auto-Ingenieurwesen. So stellen sich die Autor:innen des | |
neuen Buches „Zukunftsbilder 2045“ unsere Welt in 22 Jahren vor. | |
Das war’s dann wohl mit höher, schneller, weiter. Denn neben den | |
himmelhohen Riesentürmen fehlen hier auch Kraftfahrzeuge und Düsenantriebe, | |
mit denen wir zur Arbeit gleiten oder fliegen. Dagegen ist all das, was | |
utopisch aussieht, eigentlich 2023 schon da oder zumindest technisch in | |
Reichweite – Schiffe mit E-Antrieb, Fahrradbusse wie in Holland, | |
Lieferdrohnen, Straßenbahnen und Skateboards. | |
[1][Das erinnert an Solarpunk], eine Kunstrichtung und Utopiebewegung, die | |
unter anderem mit Filmen und Büchern Visionen von einer lebenswerten Welt | |
entwickelt. Dabei ist die Community weder technikfeindlich noch | |
nostalgisch. Sie feiert nachhaltige futuristische Architektur, Solarpanels | |
und bei Bedarf auch Zeppeline. Nur eben keine Rekordbrüche um ihrer selbst | |
willen. Kein Hochhaus, das einfach nur höher ist. Keine Pferdestärken nur | |
für den Rausch der Geschwindigkeit. | |
In unser jetzigen Welt, deren Konsum alle planetaren Grenzen sprengt, | |
bleibt wenig Spielraum für bedingungsloses Vorwärtsstreben. Beton und | |
Brennstoff fördern Emissionen. Das, was uns lange so erfolgreich | |
angetrieben hat, fährt uns akut vor die Wand und wir diskutieren hektisch, | |
in welche Richtung es weitergehen soll. | |
Genau genommen haben wir die Orientierung wohl schon in den 80ern verloren, | |
als die Begeisterung für Utopien zuletzt verloren ging. Eine natürliche | |
Reaktion auf Ronald Reagan. Oder zumindest war er es, der in dieser Zeit | |
die USA regierte, so wie in Großbritannien Margaret Thatcher. Beide sind | |
internationale Vorreiter neoliberaler Politik – implementierten | |
Sozialkürzungen, Deregulierung und Steuergeschenke für Reiche. Das | |
ideologische Fundament von Ungleichheit, Umweltzerstörung und Christian | |
Lindner. Viele aktuelle Probleme nehmen hier ihren Anfang. | |
„Es gibt keine Alternative“, hat Thatcher immer wieder gesagt – und die | |
Welt hat prompt aufgehört zu träumen. Oder vielleicht war es auch ein | |
anderer Dominostein, der die Utopien damals zu Fall brachte – irgendwo | |
zwischen Atomangst und Waldsterben. Von da an wurde die Zukunft eine | |
Endzeitvision zwischen flackernden Neonröhren und radioaktiv verstrahlte | |
Wolken. | |
Um die Jahrtausendwende ließen sich die Folgen von Ungleichheit und | |
Ausbeutung vielerorts noch ignorieren (oder verleumden). Inzwischen haben | |
sie uns mit Macht eingeholt und das, was mal dystopische Fantasien waren, | |
drängt sich heute in die Abendnachrichten: Corona, Klimakrise, Inflation. | |
Auch [2][die Fiktion überschlägt sich], um unseren realen Ängsten noch | |
gerecht zu werden mit Filmen und Serien zum Weltuntergang. | |
Dystopien sind überall und diesmal können uns auch keine Technikträume | |
davon ablenken. Künstliche Intelligenzen sind uns längst suspekt, und wenn | |
endlich jemand Hoverboards erfindet, teilen sie unseren Standort | |
wahrscheinlich mit Google. | |
Selbst im Silicon Valley, wo man sich sonst noch für jeden Fortschritt | |
begeistert, wirkt das Geschäft mit der Zukunft jetzt freudlos. Luxusbunker | |
sollen vor dem Zusammenbruch schützen und Milliardär [3][Elon Musk] wirbt | |
mit einem Cybertruck, dessen Fenster sicher sind gegen Stahlkugeln. In | |
welcher guten Zukunft bewerfen sich Menschen mit Stahl? | |
„Ich will keine selbstfahrenden Autos“, heißt ein hunderttausendfach | |
geteilter Spruch auf Twitter. „Ich will langweilige Dinge, wie öffentlichen | |
Verkehr!“ Die Sehnsucht dreht sich nicht um Gegenstände, sondern [4][um | |
eine tolle neue Gesellschaft]. Weniger Wolkenkratzer, mehr Mietendeckel und | |
ein gerechter, gebündelter und vor allem gezielter Umgang mit Ressourcen. | |
Immer mehr Arbeitende fordern, die 40-Stunden-Woche zu reduzieren. Die | |
Zukunft braucht Platz für Care-Arbeit und Leben. Wofür sie offenbar keinen | |
Platz mehr hat, ist Selbstzweck. | |
Das gute an einer Welt, in der die Ressourcen knapper werden, ist, dass sie | |
uns zwingt, endlich das „Warum“ in den Vordergrund zu stellen. | |
Warum sollten wir? | |
Warum brauchen wir das? | |
Und warum geht das nicht besser? | |
Es ist jenes mächtige Fragewort, das – wie jeder Dreijährige weiß – alle | |
alternativlose Gewissheit in die Knie zwingt. | |
1 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Franca Parianen | |
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