# taz.de -- 300 Jahre Adam Smith: Ausbeutung macht arm | |
> Adam Smith war einer der wichtigsten Ökonomen und Moralphilosoph. Er | |
> wusste: Reich wird man nur, wenn auch die anderen reich sind. | |
Bild: Adam Smith war seiner Zeit voraus | |
Was waren die herausragenden Leistungen von Adam Smith? Das ist umstritten. | |
Der schottische Aufklärer wurde vor 300 Jahren geboren, und aus diesem | |
Anlass [1][schrieb der Ökonom Konstantin Peveling kürzlich in der taz], | |
dass Smith zwar ein sehr wichtiger Moralphilosoph gewesen sei, aber „nicht | |
Gründer der Volkswirtschaftslehre“. Was für ein Irrtum. Smith war einer der | |
kreativsten Ökonomen aller Zeiten, und sein Hauptwerk „Der Wohlstand der | |
Nationen“ von 1776 ist noch heute hochaktuell. | |
Übrigens war es früher gängig, dass die Ökonomie von Fachfremden | |
vorangetrieben wurde, denn die Volkswirtschaftslehre hat sich erst sehr | |
spät als Fach etabliert. [2][Karl Marx war bekanntlich auch Philosoph], und | |
der wichtigste Ökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, hat | |
zunächst als Mathematiker begonnen. | |
Doch zurück zu Smith: Er wollte erklären, wie es zu Wohlstand und Wachstum | |
kommt. Bis dahin hatten die Fürsten naiv angenommen, dass man nur Gold- und | |
Silbermünzen anhäufen müsse, um reich zu sein. Smith hingegen zeigte, | |
[3][dass die Edelmetalle nicht zählen], sondern dass die Arbeit | |
entscheidend ist. | |
Heute erscheint es uns selbstverständlich, dass es ohne Arbeit keinen | |
Wohlstand geben kann. Aber hinter dieser Einsicht verbirgt sich eine | |
theoretische Revolution, die die Ökonomie für immer verändert hat. Gold | |
und Silber sind Vermögenswerte, im Wirtschaftsdeutsch auch „Bestandsgrößen… | |
genannt. Man hat Goldmünzen – oder man hat sie eben nicht. Indem Smith | |
jedoch die Arbeit in den Mittelpunkt rückte, lenkte er den Blick auf das | |
Einkommen, also eine „Strömungsgröße“. Reichtum wurde neu definiert: Es … | |
kein Besitz, den man in Tresoren lagern kann, sondern wird erst durch den | |
Produktionsprozess erschaffen. | |
## Smith entdeckte die zentrale Rolle der Kapitalisten | |
Aber wer erwirtschaftet dieses Einkommen? Wieder gelang es Smith, die | |
Ökonomie völlig neu zu ordnen, indem er drei zentrale Gruppen ausmachte – | |
die Landbesitzer, die Arbeiter und die Unternehmer. | |
So erstaunlich es heute erscheinen mag: Frühere Theoretiker hatten die | |
Bedeutung der Kapitalisten völlig übersehen. Typisch waren etwa die | |
französischen Physiokraten, die nach Wirtschaftszweigen und nicht nach | |
sozialer Rolle unterschieden hatten. Bei den Physiokraten war die | |
Landwirtschaft eine Klasse, in der dann sowohl Landbesitzer wie | |
Landarbeiter versammelt waren – während sich in einer anderen Klasse die | |
Manufakturbesitzer, Handwerker und Fabrikarbeiter wiederfanden. | |
Erst Smith bündelte die Kapitalisten in einer Klasse – und die Arbeiter in | |
einer anderen. Bei ihm spielte es keine Rolle mehr, ob die Tagelöhner auf | |
dem Land oder in der Fabrik schufteten, denn sie waren alle abhängig | |
beschäftigt. Zugleich zeichneten sich Unternehmer branchenunabhängig | |
dadurch aus, dass sie in die Produktion investierten, um Gewinne zu machen. | |
Uns erscheint diese Erkenntnis trivial, aber es war eine theoretische | |
Revolution, den Kapitalisten als eine zentrale Figur im Kapitalismus zu | |
erkennen. | |
Aber wer wird Kapitalist und wer Arbeiter? Wer wird reich und wer muss | |
schuften? Wieder war Smith seiner Zeit weit voraus, denn er sagte | |
eindeutig: Mit der Begabung des Einzelnen hat es überhaupt nichts zu tun, | |
ob er Tagelöhner oder Philosoph wird. Smith glaubte nicht an | |
Intelligenzunterschiede zwischen Arm und Reich, sondern hielt es für eine | |
soziale Zufälligkeit, wer das Glück hat, in die höheren Ränge hineingeboren | |
zu werden. Die neoliberale Rhetorik von den „Leistungsträgern“ hätte er a… | |
naiv abgetan. | |
## Die Angst vor der Globalisierung ist nicht neu | |
Smith wollte die Tagelöhner daher besser stellen: Er forderte höhere Löhne | |
und hätte Gewerkschaften begrüßt. Auch sollten die Kinder von Tagelöhnern | |
zumindest Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Erneut war Smith | |
revolutionärer, als es heute erscheint: Die allgemeine [4][Schulpflicht] | |
wurde in England erst 1871 eingeführt. | |
Schon zu Smith’ Zeiten gab es Diskussionen, die überaus vertraut anmuten. | |
Großbritannien war damals die führende Industrienation, und die Engländer | |
machten sich Sorgen, dass die anderen europäischen Länder genauso reich | |
werden könnten, wenn man ihre Waren unbeschränkt importierte. Die Angst vor | |
der Globalisierung ist also nicht neu – nur dass man sich damals vor | |
Frankreich fürchtete, [5][während jetzt vor allem Chinas Aufstieg gemischte | |
Gefühle auslöst]. | |
Smith versuchte seine Mitbürger zu beruhigen, indem er auf ein Phänomen | |
hinwies, das bis heute zu beobachten ist: Reiche Länder handeln vor allem | |
mit anderen reichen Ländern, denn nur wo Wohlstand herrscht, kann Nachfrage | |
nach auswärtigen Produkten entstehen. | |
Für Smith war daher schon vor 250 Jahren völlig klar, dass Kolonien ein | |
kolossales Verlustgeschäft sind. Es kostet viel Geld, die fremden Gebiete | |
militärisch zu dominieren, und zugleich können sich die entrechteten Völker | |
ökonomisch nicht entwickeln – fallen also als Kunden aus. | |
## Großbritannien sollte seine Mittelmäßigkeit akzeptieren | |
Smith hat Kolonien und Sklaverei auch aus ethischen Gründen abgelehnt, | |
schließlich war er Moralphilosoph, aber als Erstem ist es ihm gelungen, | |
ethische Überzeugungen mit ökonomischen Argumenten zu unterfüttern. | |
Smith liebte die Provokation und empfahl seinem Heimatland, auf Imperien zu | |
verzichten und „seine künftigen Ansichten und Pläne an die reale | |
Mittelmäßigkeit seiner Umstände anzupassen“. So dreist muss man erst mal | |
sein: Da schrieb Smith ein Buch namens „Wohlstand der Nationen“ – und | |
schloss ausgerechnet mit dem Rat, die eigene Mittelmäßigkeit zu | |
akzeptieren. Doch für Smith war das kein Widerspruch. Wohlstand gab es nur, | |
wenn auch die Mitbürger und Nachbarstaaten wohlhabend waren. | |
Mittelmäßigkeit war kein Schrecken, sondern das Synonym für Fortschritt. | |
Smith wollte seinen Lesern erklären, dass Ausbeutung auch die Ausbeuter | |
ärmer macht. Das haben Neoliberale nie begriffen. | |
21 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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