Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Arbeitsrechte von Au-pairs: Ausbeutung mit Familienanschluss
> Als Au-pair wollte die Kolumbianerin Cristina Deutschland kennenlernen.
> Doch ihre Gastfamilie nutzte sie aus. Das ist kein Einzelfall, auch weil
> gesetzliche Kontrolle fehlt.
Als Cristina* das Spielzeug der Kinder zusammensammelt, ist es bereits nach
22 Uhr. Die Kinder hat sie gerade erst ins Bett gebracht, und auch die
Spülmaschine ausgeräumt. Jetzt nur noch das Spielzeug der Kinder reinigen,
Stück für Stück, eine weitere tägliche Aufgabe.
„Ich war so müde, dass ich wirklich nicht mehr wollte“, so erzählt es
Cristina heute, fast vier Jahre nachdem die Kolumbianerin als Au-pair nach
Deutschland kam. Die damals 26-Jährige hatte da bereits ein BWL-Studium
abgeschlossen, nun wollte sie ein anderes Land, gar einen anderen Kontinent
kennenlernen. In ihrer Heimatstadt Bogotá hatte sie bereits einige Deutsche
kennengelernt. „Die waren sehr herzlich zu mir und ihre Kultur hat mich
sehr neugierig gemacht“, sagt die junge Frau. Doch längere Aufenthalte in
Deutschland sind teuer, die Visumsbestimmungen hart. Im Internet stieß
Cristina auf die Möglichkeit, [1][ein Au-pair-Jahr] zu absolvieren. „Das
war die einfachste und sicherste Form, weil du einfach bei einer Familie
auf die Kinder aufpassen musst“, so habe sie gedacht, erzählt sie im
Rückblick.
Eine Gastfamilie fand Cristina schließlich über das Vermittlungsportal
AuPairWorld, das nach eigenen Angaben größte der Welt. Es wirbt mit einem
Video, in dem zwei kleine blonde Kinder schaukeln, im Garten Trampolin
springen oder mit einem Au-pair fangen spielen. In großen weißen Buchstaben
wird „A new Family“, „A new Challenge“, „New Freedom“ eingeblendet.…
über dem Bild eines Teenagers mit Selfie-Stick: „Memories for a Lifetime“.
Cristina, die in Wirklichkeit anders heißt, möchte von ihren Erinnerungen
heute nur anonym berichten, weil sie nach wie vor Angst vor ihrer
Gastmutter habe, wie sie sagt. Angst, die Gastmutter könne wieder
versuchen, in ihr Leben einzugreifen und psychischen Druck auf sie
auszuüben – wie vor einigen Jahren, als sie einmal Cristinas potenziellen
Arbeitgeber anrief, um ihm davon abzuraten, Cristina einzustellen. Da war
Cristinas Au-pair-Zeit in der Familie bereits beendet.
Heute hat Cristina den Kontakt zur Gastfamilie abgebrochen und ihre
Handynummer geändert. Sie hat lange gebraucht, um mit den Erlebnissen aus
der Au-pair-Zeit zurechtzukommen, dem Gefühl, einer Person völlig
ausgeliefert zu sein. Zu Cristinas Aussagen über ihr Au-pair-Jahr liegen
der taz E-Mails, Chatverläufe und Sprachaufnahmen vor, die Cristinas
Version ihrer Erlebnisse glaubhaft erscheinen lassen. Ebenfalls konnte die
taz mit verschiedenen Personen sprechen, die während des Au-pair-Jahres
Kontakt zu Cristina oder zu der Gastfamilie hatten.
Anfangs habe ihre Gastfamilie sehr nett und aufmerksam gewirkt, erzählt
Cristina. Die ersten Wochen in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen hat
sie in guter Erinnerung. Cristina mochte die beiden Kinder der Familie –
damals zwei und fünf Jahre alt – und die Kinder mochten sie. Oft tanzten
sie zusammen, der ältere war Fan des HipHop-Stars Sido, und alle drei
mochten sie Michael Jackson.
Trotz der anfänglichen Sympathien habe sie aber von Anfang an deutlich mehr
arbeiten müssen als verabredet, erinnert sich Cristina. Die Aufgaben, die
sie erledigen sollte, schrieb ihre Gastmutter ihr in einer Mail, die der
taz vorliegt: Eine beeindruckend lange Liste von täglichen und
wöchentlichen Haushaltsaufgaben. Gesetzlich ist festgelegt, dass Au-pairs
nur leichte Hausarbeiten verrichten und pro Woche höchstens 30 Stunden
arbeiten dürfen. So steht es auch in Cristinas Arbeitsvertrag. Tatsächlich
habe sie meistens aber eher 60 Stunden pro Woche gearbeitet und neben dem
Deutschkurs nur zwei Stunden am Tag freigehabt.
Dass Au-pairs deutlich mehr arbeiten müssen als vorgeschrieben, ist kein
Einzelfall, erzählen Susanne Flegel und Marita Grammatopoulos. Die beiden
Frauen haben selbst Au-pair-Vermittlungsagenturen betrieben. Als sie immer
öfter von Regelbrüchen hörten, fingen sie an, sich um Au-pairs in Not zu
kümmern. Im Jahr 2017 gründeten sie den [2][Verein Au-pair-Hilfe e. V.]
Es ist ein Ehrenamt, das die beiden Frauen betreiben: Über eine
Telefonnummer oder via Facebook können sich Au-pairs in Notlage bei ihnen
melden. Flegel und Grammatopoulos beraten, klären über Rechte auf – und
manchmal fahren sie auch zur Gastfamilie, erzählen sie, um das Au-pair
abzuholen, oder sie rufen die Polizei. Manchmal kümmern sie sich auch um
eine Notfallunterbringung der Au-pairs, wenn sie ihre Gastfamilien
vorzeitig verlassen.
Grammatopoulos berichtet über die Fälle, die bei ihrem Hilfeverein landen:
„Fast keine Familie hält sich an die Vorgaben zur Arbeitszeit. Oft sind es
bis zu zwölf Stunden am Tag, dann wird noch das Wochenende ignoriert oder
am freien Tag muss das Au-pair trotzdem irgendwelche Sachen tun, obwohl sie
eigentlich frei hat.“
Ob ein Au-pair-Vertrag den Bestimmungen entspricht, prüft die Bundesagentur
für Arbeit. Doch eine Instanz, die prüft, ob der geschlossene Vertrag dann
auch eingehalten wird, die gibt es nicht.
Auf taz-Anfrage schreibt das zuständige Bundesfamilienministerium über die
Anzahl von Verstößen gegen die Au-pair-Richtlinien: „Aktuell sind nur wenig
Fälle schwerer Rechtsverletzungen bekannt.“ Das Ministerium gibt aber zu:
„Allerdings sind auch keine verlässlichen Statistiken verfügbar bzw. werden
von den Behörden nicht geführt.“
Doch wo es keine Statistik gibt, da gibt es auch kein erfassbares Problem,
aus dem sich Reformbedarf ergeben könnte.
Pro Jahr kommen zwischen 13.000 und 14.000 Au-pairs nach Deutschland – auch
das sind Schätzungen – davon etwas mehr als die Hälfte von außerhalb der
EU, aus Afrika, Asien oder Lateinamerika. Au-pair heißt eigentlich auf
Gegenseitigkeit. Doch in der Realität besteht ein enormes Machtgefälle
zwischen Gastfamilie und Au-pair: So arbeiten oft junge People of Colour,
meistens Frauen aus eher armen Familien, für wohlhabende weiße Familien.
Dabei ist das Visum der Au-pairs mit einer bestimmten Gastfamilie
verknüpft. Wenn ein Au-pair oder die Gastfamilie den Vertrag kündigt, ist
auch der Aufenthaltsstatus in Gefahr.
Das kann ein zusätzliches Druckmittel sein, sagt Au-pair-Helferin
Grammatopoulos: „Die Mädchen aus EU-Ländern haben auch ein ganz anderes
Selbstbewusstsein, weil sie eben keine Visapflicht haben, nicht ständig
unter dem Druck stehen, dass sie ausgewiesen oder abgeschoben werden
können.“
Schon wenige Wochen nach Cristinas Ankunft in der Gastfamilie hatte ihre
Mutter zu Hause in Kolumbien ein ungutes Gefühl. „Wir riefen Cristina um
ein Uhr morgens an, und sie hat immer noch geputzt. Sie hat ganz andere
Sachen gemacht, als sie eigentlich wollte“, erzählt sie der taz am Telefon.
„Wir wussten nicht genau, was wirklich passierte, aber wir spürten, dass
irgendetwas nicht stimmte.“
Cristina selbst sagt, sie sei anfangs nicht misstrauisch gegenüber ihrer
Gastfamilie gewesen. Dafür aber die Gastfamilie gegenüber ihr. Als die
Familie einmal für drei Wochen in die Türkei fliegt, soll Cristina nicht
mitkommen – doch alleine zurück in der Wohnung in NRW bleiben soll sie auch
nicht. Allerdings hat Cristina – immer noch neu in Deutschland – keinen
Ort, an den sie ausweichen könnte.
Cristina vertraut sich einer ihrer wenigen Freundinnen in dieser Zeit an:
Catalina, die sie aus dem Deutschkurs kennt. Catalina erinnert sich an
einen Tag, an dem Cristina mal wieder übermüdet zum Kurs gekommen sei. „Ich
sagte zu Cristina: Guck mal, ich hab von dir jetzt schon so viele komische
Sachen über deine Gastfamilie gehört, wenn du irgendwas brauchst oder ich
was für dich tun kann, dann ruf mich an, okay?“ Doch Cristina habe da noch
entgegnet, „Ach, komm, so schlimm ist das doch auch nicht.“
## „Alles, was du brauchst“
Als Cristina ihrer Gastmutter erzählte, dass sie nach dem Au-pair-Jahr
gerne in Deutschland bleiben und ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren
wolle, habe die Gastmutter ihr Hilfe angeboten: „Sie sagte mir: „Mach dir
keine Sorgen, ich kümmere mich um die Dokumente und auch um die
Kommunikation mit den Leuten. Alles, was du brauchst“, erinnert sich
Cristina.
Sie habe ihrer Gastmutter vertraut: „Ich dachte, sie ist eben wie meine
Mutter hier in Deutschland, deswegen glaube ich nicht, dass sie schlechte
Absichten hat. Also gab ich ihr meine Mailzugänge.“ Von da an, sagt
Cristina, habe ihre Gastmutter begonnen, „alles zu kontrollieren, sogar die
Beziehung zu meinem damaligen Freund“.
Die Gastmutter habe, wenn Cristina alleine in der Stadt unterwegs war,
ständig versucht herauszufinden, was sie machte, ihrem Freund deshalb
WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Als die taz der Au-pair-Helferin Marita
Grammatopoulos von dem Fall erzählt, überrascht die das nicht: „Da sind die
Familien einfach übergriffig“, sagt sie, die bereits viele Gespräche mit
problematischen Gastfamilien geführt hat. „Das wird dann immer mit
irgendwelchen Ausreden begründet. Zum Beispiel: Das Visum läuft auf uns,
wir sind verantwortlich, also müssen wir doch wissen, wo sie ist“, sagt
Grammatopoulos. „Und wenn die Au-pairs sich dann weigern, die Telefonnummer
vom Freund herauszurücken oder nicht sagen, wo sie hingehen, dann wird den
Au-pairs gesagt: Wir schicken dich nach Hause, wenn du nicht machst, was
wir sagen.“
Direkte Drohungen habe ihre Gastfamilie nicht ausgesprochen, sagt Cristina.
Es seien die vielen kleinen Momente der Grenzüberschreitung gewesen: An
einem Tag habe Cristina akute Schmerzen gehabt. Sie entschloss sich, noch
während der Arbeitszeit zum Arzt zu gehen. Die Gastmutter sei darüber so
sauer gewesen, dass sie den ganzen Abend nicht mehr mit ihr sprechen
wollte. Am nächsten Morgen allerdings sei die Gastmutter wieder nett
gewesen, so als ob nichts passiert wäre. Dieses Pendeln zwischen Zuneigung
und Verachtung sei typisch gewesen, sagt Cristina.
Kurz darauf, an einem Samstagabend, kommt es zum nächsten Konflikt. Den
Ablauf schildert Cristina der taz so: Um ein Uhr morgens kamen die Eltern
nach Hause. Cristina habe ihre Gasteltern im Wohnzimmer begrüßt. Doch statt
einer Antwort habe die Gastmutter gereizt gefragt: „Warum hast du die
Wäsche nicht in den Trockner gemacht, so wie wir es dir gesagt haben?“
Außerdem solle Cristina sofort noch die Spülmaschine ausräumen.
„Wütend räumte ich die Spülmaschine aus und sagte ihnen mit lauter Stimme:
„Das ist nicht nett“, erinnert sich Cristina an diesen Abend. Dann forderte
sie von ihren Gasteltern, dass ihre Arbeitszeiten künftig besser
eingehalten werden sollten. Als sie am nächsten Morgen aufstand, sei das
Haus verändert gewesen, die Kinder seien nicht zu Hause und die Fenster
geschlossen gewesen. Die Atmosphäre sei eisig gewesen, als sie das
Wohnzimmer betrat, wo die Eltern bereits auf sie gewartet hätten.
Die Gastmutter sei genervt gewesen, erzählt Cristina. Sie geht die
Aufgabenliste von Cristina durch, Punkt für Punkt. Cristina spreche nicht
genug Spanisch mit den Kindern, sagt sie, sie sei unpünktlich und unkreativ
– zum Beispiel habe sie kaum mit den Kindern gebastelt. Doch vor allem
helfe sie nicht mit, das Haus ordentlich zu halten. Das Fazit der
Gastmutter: Cristina erledige höchstens die Hälfte der Aufgaben eines
Au-pairs.
## Sie soll ihre Sachen packen und abhauen
Außerdem werfen die Gasteltern Cristina vor, schlecht mit anderen über die
Familie zu reden. Cristina fordert Beweise für diese Anschuldigung. Nun
schlägt die Genervtheit der Gastmutter in Aggression um. Auch der Gastvater
mischt sich ein. Beide fragen Cristina, was sie denn glaube, wer sie sei –
wie käme sie auf die Idee, ihnen zu sagen, was sie zu tun haben?
Abwechselnd werden die Gastmutter und der Vater lauter. Cristina weint,
aber sie widerspricht. Irgendwann schreit der Vater, sie solle sofort ihre
Sachen packen und abhauen.
Der taz liegen Belege vor, dass dieses Gespräch so stattgefunden hat.
Cristina sagt, dass der Gastvater sie schließlich am Hals gepackt und die
Treppe hochgeschleppt habe. „Sein Gesichtsausdruck war so, als ob er mir
etwas antun würde, als ob er mich schlagen würde.“ Cristina habe daraufhin
das Fenster ihres Zimmers zur Straße hin geöffnet, damit sie im Notfall um
Hilfe rufen könnte. Wenige Minuten später hätten die Eltern sie unter
Beleidigungen aus dem Haus geschmissen.
Es ist Catalina, die Freundin aus dem Deutschkurs, die Cristina bei sich
aufnimmt. Sie erinnert sich, wie aufgewühlt Cristina an diesem Tag war:
„Sie hatte einen Nervenzusammenbruch, weinte und konnte nicht schlafen. Sie
war traumatisiert.“
Was Cristina erlebt hat, begegnet Flegel und Grammatopoulos häufiger in
ihrer Beratung: Laut ihrer Aussage haben sich in den letzten Jahren mehr
als 1.000 Au-pairs bei ihnen gemeldet. Mindestens ein Anruf pro Tag gehe
auf der Nummer des Krisentelefons ein. Eine Person habe kürzlich um Hilfe
gebeten, weil sie von 7 Uhr morgens bis 21 Uhr arbeiten musste und dass die
Gastfamilie über die Anzahl der Kinder gelogen habe.
In einem anderen Fall habe der besorgte Freund einer Au-pair berichtet:
„Unter dem Deckmantel der Obhutspflicht wurde denen auch verboten, Partner
zu treffen.“ Und ein zweites Au-pair in der Familei sei „anscheinend auch
bis heute gar nicht bei der Ausländerbehörde angemeldet“.
Die ehrenamtlichen Au-pair-Helferinnen hören aber auch noch schlimmere
Berichte: „Es gibt auch viele Fälle von sexueller Nötigung – oder dass
Au-pairs Essen vorenthalten wird“, sagt Flegel.
## Nach dem Rauswurf
Als Cristina die Familie verlässt, dachte sie, dass sie nun ihre Ruhe haben
würde. Doch die ehemalige Gastfamilie griff auch nach dem Rauswurf noch in
ihr Leben ein. Cristina hatte bereits den Vertrag für ihr FSJ auf dem Tisch
liegen, da machte die Organisation überraschend einen Rückzieher. In einer
E-Mail, die der taz vorliegt, schreibt der soziale Träger: „Uns haben
Informationen erreicht, die es uns unmöglich machen, in Wertschätzung und
Vertrauen dieses Beschäftigungsverhältnis einzugehen.“ Und weiter: „Der
Vertrag wird vor Inkrafttreten aufgehoben.“
Der Grund für die Absage: Cristinas ehemalige Gastmutter habe angerufen und
gesagt, dass Cristina klauen würde. Das habe Cristina im Nachhinein von der
Organisation erfahren. Überprüfen lässt sich Cristinas Behauptung nicht:
Die Organisation erklärt auf taz-Anfrage, dass sie zu Bewerbungen aus der
Vergangenheit keine Auskunft erteilen könne.
Cristina fand schließlich eine andere Stelle und zog nach Hamburg, wo sie
bis heute lebt – und sie nahm den Mut zusammen, sich bei dem
Vermittlungsportal AuPairWorld über die Gastfamilie zu beschweren.
Tatsächlich nahm das Portal die Familie für kurze Zeit von der Seite. Doch
kurz darauf ist sie wieder online.
Maria* kam nach Cristina als Au-pair zu dieser Familie, und sie macht ganz
ähnliche Erfahrungen wie Cristina. Sie berichtet der taz – auf eigenen
Wunsch anonym – von unbezahlten Überstunden und einer Kontrolle ihrer
sozialen Kontakte: „Meine Gastmutter hat manchmal meine Briefe geöffnet.
Danach hat sie die Briefe mir gegeben und gesagt: Ach, ich habe gedacht,
das wäre mein Brief gewesen.“
Ihren FSJ-Vertrag habe die Mutter aus der Post genommen und verschwinden
lassen, damit sie länger in der Familie bleibt. Auch Maria hat den Kontakt
zur Gastfamilie abgebrochen. Sowohl Maria als auch ihre Vorgängerin
Cristina fühlten sich bei den Problemen von der Vermittlungsplattform
AuPairWorld alleingelassen. „Eigentlich haben sie nie versucht
herauszufinden, wie es mir ging. Diese Seite ist nur dafür da, um eine
Gastfamilie zu finden, aber nicht, um deine Rechte zu garantieren“, sagt
Cristina enttäuscht.
Die taz hätte gerne mit AuPairWorld über diesen Vorwurf gesprochen, doch
die Plattform ließ alle Anfragen unbeantwortet.
Das Problem, dass in Deutschland kaum jemand Verantwortung für die
Situation von Au-pairs übernimmt, ist ein systemisches. Mit den Reformen
der Agenda 2010 wurde die Arbeitsvermittlung dereguliert, darunter fallen
auch Au-pairs. Es gibt keinerlei Voraussetzung für die Vermittlung – man
muss lediglich einen Gewerbeschein anmelden. Manche Familien suchen sich
auf eigene Faust ein Au-pair über Facebook.
Doch auch bei vielen Agenturen laufe es nicht besser, meint Flegel: „Die
meisten Agenturen haben kein Interesse, die Au-pairs in Konflikten zu
unterstützen. Im Gegenteil: Sie setzen sie noch unter Druck. Sie sind auf
der Seite der Gastfamilie, denn die bezahlt die Gebühr.“ Die
durchschnittliche Vermittlungsgebühr liegt bei etwa 500 Euro pro
Vermittlung. Sowohl seriöse wie unseriöse Vermittler teilen sich den Markt
unter sich auf – denn eine Kontrollinstanz gibt es nicht.
25 Au-pair-Agenturen haben sich in Deutschland zur Gütegemeinschaft Au-pair
zusammengeschlossen, bei der sich Vermittler*innen auf eigene Kosten
freiwillig zertifizieren lassen können. Das Bundesfamilienministerium
verweist auf taz-Anfrage, wie das Einhalten der Au-pair-Standards gesichert
werden soll, auf diese Gütegemeinschaft. Externe Prüfer*innen sollen
sicherstellen, dass die Agenturen verantwortungsvoll arbeiten.
Flegel und Grammatopoulos halten das für wirkungslos. Statt Maßnahmen wie
unangekündigte Kontrollbesuche gebe es zudem nur eine Überprüfung der
Arbeitsverträge. Das sei zu wenig, um gegen Ausbeutung vorzugehen, sagt
Flegel, die mit ihrer Agentur selbst für eine Zeit Mitglied der
Gütegemeinschaft war, dann aber austrat, weil sie das Siegel nicht für
zielführend hält: „Das ist nur Papier.“
Stattdessen sehen die Au-pair-Helferinnen in den Niederlanden ein Vorbild.
Dort haften Au-pair-Agenturen für ihre Familien und zahlen teilweise hohe
Strafen bei Verstößen. So seien die Au-pairs besser geschützt. Flegel und
Grammatopoulos fordern daher auch für Deutschland Reformen. Zum einen soll
die Vermittlung von Au-pairs nur noch über Agenturen erlaubt sein – statt
zum Beispiel über Facebook. Zum anderen müssten diese besser kontrolliert
werden.
Doch das Bundesfamilienministerium erteilt dem eine Absage: „Eine
Wiedereinführung der Agenturpflicht in Deutschland ist derzeit nicht
beabsichtigt.“ Das gilt auch für eine Regelung zur Haftung durch die
Agenturen.
Unter diesen Umständen möchte Marita Grammatopoulos ihre eigene Agentur
nicht weiterbetreiben: „Das ist für mich ein Menschenhandel, solange sich
da nichts ändert, vermittle ich überhaupt keine Au-pairs mehr.“
Die ehemalige Gastfamilie von Cristina sucht nach wie vor im Internet nach
Au-pairs. Cristina macht das wütend, „dass ein weiteres Mädchen in die
Fänge dieser Familie gerät. Es kann sein, dass sie die gleichen Dinge
erleidet wie ich und ich werde unruhig bei dem Gedanken, dass etwas noch
Schlimmeres passieren könnte.“
Cristina ist immer noch in Deutschland. Sie hat mittlerweile eine
Ausbildung zur Pflegeassistentin angefangen und führt ein unabhängiges
Leben in einer Wohngemeinschaft in Hamburg. „Ich glaube, dass das
Au-pair-Jahr, obwohl es schlecht war, mir sehr viel beigebracht hat“, sagt
sie. Sie habe gelernt, für ihre Rechte einzustehen, wenn etwas nicht in
Ordnung sei und „Nein!“ zu sagen: „Bis hierhin und nicht weiter.“
* Namen geändert
Hinweis: In einer ersten Version des Textes hieß es, die Mitglieder der
Gütegemeinschaft Au Pair kontrollierten sich selbst. Das ist nicht
zutreffend. Die Gütegemeinschaft arbeitet mit unabhängigen Prüfer*innen
zusammen.
28 Jul 2023
## LINKS
[1] /Ausbeutung-von-Au-Pairs/!5846957
[2] https://susanne-aupair.de/41292.html
## AUTOREN
Fabian Grieger
## TAGS
Ausbeutung
Arbeitsrecht
Agentur für Arbeit
GNS
Missbrauch
Arbeitszeit
Kolumne Finanzkasino
Austausch
Homeoffice
## ARTIKEL ZUM THEMA
300 Jahre Adam Smith: Ausbeutung macht arm
Adam Smith war einer der wichtigsten Ökonomen und Moralphilosoph. Er
wusste: Reich wird man nur, wenn auch die anderen reich sind.
Ausbeutung von Au-Pairs: Kein Urlaub, kein Feierabend
Niemand weiß, wie viele junge Menschen als Au-Pairs mehr arbeiten als
erlaubt. Denn die Branche ist wenig erforscht – und nur schwach reguliert.
Workaway in Marokko: Homeoffice in der Wüste
In einem Dorf Backsteine aus Lehm formen und nebenbei arbeiten. Bei ihrem
Workaway ändert sich für unsere Autorin ihre Wahrnehmung von Zeit und Raum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.