# taz.de -- Arbeitsrechte von Au-pairs: Ausbeutung mit Familienanschluss | |
> Als Au-pair wollte die Kolumbianerin Cristina Deutschland kennenlernen. | |
> Doch ihre Gastfamilie nutzte sie aus. Das ist kein Einzelfall, auch weil | |
> gesetzliche Kontrolle fehlt. | |
Als Cristina* das Spielzeug der Kinder zusammensammelt, ist es bereits nach | |
22 Uhr. Die Kinder hat sie gerade erst ins Bett gebracht, und auch die | |
Spülmaschine ausgeräumt. Jetzt nur noch das Spielzeug der Kinder reinigen, | |
Stück für Stück, eine weitere tägliche Aufgabe. | |
„Ich war so müde, dass ich wirklich nicht mehr wollte“, so erzählt es | |
Cristina heute, fast vier Jahre nachdem die Kolumbianerin als Au-pair nach | |
Deutschland kam. Die damals 26-Jährige hatte da bereits ein BWL-Studium | |
abgeschlossen, nun wollte sie ein anderes Land, gar einen anderen Kontinent | |
kennenlernen. In ihrer Heimatstadt Bogotá hatte sie bereits einige Deutsche | |
kennengelernt. „Die waren sehr herzlich zu mir und ihre Kultur hat mich | |
sehr neugierig gemacht“, sagt die junge Frau. Doch längere Aufenthalte in | |
Deutschland sind teuer, die Visumsbestimmungen hart. Im Internet stieß | |
Cristina auf die Möglichkeit, [1][ein Au-pair-Jahr] zu absolvieren. „Das | |
war die einfachste und sicherste Form, weil du einfach bei einer Familie | |
auf die Kinder aufpassen musst“, so habe sie gedacht, erzählt sie im | |
Rückblick. | |
Eine Gastfamilie fand Cristina schließlich über das Vermittlungsportal | |
AuPairWorld, das nach eigenen Angaben größte der Welt. Es wirbt mit einem | |
Video, in dem zwei kleine blonde Kinder schaukeln, im Garten Trampolin | |
springen oder mit einem Au-pair fangen spielen. In großen weißen Buchstaben | |
wird „A new Family“, „A new Challenge“, „New Freedom“ eingeblendet.… | |
über dem Bild eines Teenagers mit Selfie-Stick: „Memories for a Lifetime“. | |
Cristina, die in Wirklichkeit anders heißt, möchte von ihren Erinnerungen | |
heute nur anonym berichten, weil sie nach wie vor Angst vor ihrer | |
Gastmutter habe, wie sie sagt. Angst, die Gastmutter könne wieder | |
versuchen, in ihr Leben einzugreifen und psychischen Druck auf sie | |
auszuüben – wie vor einigen Jahren, als sie einmal Cristinas potenziellen | |
Arbeitgeber anrief, um ihm davon abzuraten, Cristina einzustellen. Da war | |
Cristinas Au-pair-Zeit in der Familie bereits beendet. | |
Heute hat Cristina den Kontakt zur Gastfamilie abgebrochen und ihre | |
Handynummer geändert. Sie hat lange gebraucht, um mit den Erlebnissen aus | |
der Au-pair-Zeit zurechtzukommen, dem Gefühl, einer Person völlig | |
ausgeliefert zu sein. Zu Cristinas Aussagen über ihr Au-pair-Jahr liegen | |
der taz E-Mails, Chatverläufe und Sprachaufnahmen vor, die Cristinas | |
Version ihrer Erlebnisse glaubhaft erscheinen lassen. Ebenfalls konnte die | |
taz mit verschiedenen Personen sprechen, die während des Au-pair-Jahres | |
Kontakt zu Cristina oder zu der Gastfamilie hatten. | |
Anfangs habe ihre Gastfamilie sehr nett und aufmerksam gewirkt, erzählt | |
Cristina. Die ersten Wochen in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen hat | |
sie in guter Erinnerung. Cristina mochte die beiden Kinder der Familie – | |
damals zwei und fünf Jahre alt – und die Kinder mochten sie. Oft tanzten | |
sie zusammen, der ältere war Fan des HipHop-Stars Sido, und alle drei | |
mochten sie Michael Jackson. | |
Trotz der anfänglichen Sympathien habe sie aber von Anfang an deutlich mehr | |
arbeiten müssen als verabredet, erinnert sich Cristina. Die Aufgaben, die | |
sie erledigen sollte, schrieb ihre Gastmutter ihr in einer Mail, die der | |
taz vorliegt: Eine beeindruckend lange Liste von täglichen und | |
wöchentlichen Haushaltsaufgaben. Gesetzlich ist festgelegt, dass Au-pairs | |
nur leichte Hausarbeiten verrichten und pro Woche höchstens 30 Stunden | |
arbeiten dürfen. So steht es auch in Cristinas Arbeitsvertrag. Tatsächlich | |
habe sie meistens aber eher 60 Stunden pro Woche gearbeitet und neben dem | |
Deutschkurs nur zwei Stunden am Tag freigehabt. | |
Dass Au-pairs deutlich mehr arbeiten müssen als vorgeschrieben, ist kein | |
Einzelfall, erzählen Susanne Flegel und Marita Grammatopoulos. Die beiden | |
Frauen haben selbst Au-pair-Vermittlungsagenturen betrieben. Als sie immer | |
öfter von Regelbrüchen hörten, fingen sie an, sich um Au-pairs in Not zu | |
kümmern. Im Jahr 2017 gründeten sie den [2][Verein Au-pair-Hilfe e. V.] | |
Es ist ein Ehrenamt, das die beiden Frauen betreiben: Über eine | |
Telefonnummer oder via Facebook können sich Au-pairs in Notlage bei ihnen | |
melden. Flegel und Grammatopoulos beraten, klären über Rechte auf – und | |
manchmal fahren sie auch zur Gastfamilie, erzählen sie, um das Au-pair | |
abzuholen, oder sie rufen die Polizei. Manchmal kümmern sie sich auch um | |
eine Notfallunterbringung der Au-pairs, wenn sie ihre Gastfamilien | |
vorzeitig verlassen. | |
Grammatopoulos berichtet über die Fälle, die bei ihrem Hilfeverein landen: | |
„Fast keine Familie hält sich an die Vorgaben zur Arbeitszeit. Oft sind es | |
bis zu zwölf Stunden am Tag, dann wird noch das Wochenende ignoriert oder | |
am freien Tag muss das Au-pair trotzdem irgendwelche Sachen tun, obwohl sie | |
eigentlich frei hat.“ | |
Ob ein Au-pair-Vertrag den Bestimmungen entspricht, prüft die Bundesagentur | |
für Arbeit. Doch eine Instanz, die prüft, ob der geschlossene Vertrag dann | |
auch eingehalten wird, die gibt es nicht. | |
Auf taz-Anfrage schreibt das zuständige Bundesfamilienministerium über die | |
Anzahl von Verstößen gegen die Au-pair-Richtlinien: „Aktuell sind nur wenig | |
Fälle schwerer Rechtsverletzungen bekannt.“ Das Ministerium gibt aber zu: | |
„Allerdings sind auch keine verlässlichen Statistiken verfügbar bzw. werden | |
von den Behörden nicht geführt.“ | |
Doch wo es keine Statistik gibt, da gibt es auch kein erfassbares Problem, | |
aus dem sich Reformbedarf ergeben könnte. | |
Pro Jahr kommen zwischen 13.000 und 14.000 Au-pairs nach Deutschland – auch | |
das sind Schätzungen – davon etwas mehr als die Hälfte von außerhalb der | |
EU, aus Afrika, Asien oder Lateinamerika. Au-pair heißt eigentlich auf | |
Gegenseitigkeit. Doch in der Realität besteht ein enormes Machtgefälle | |
zwischen Gastfamilie und Au-pair: So arbeiten oft junge People of Colour, | |
meistens Frauen aus eher armen Familien, für wohlhabende weiße Familien. | |
Dabei ist das Visum der Au-pairs mit einer bestimmten Gastfamilie | |
verknüpft. Wenn ein Au-pair oder die Gastfamilie den Vertrag kündigt, ist | |
auch der Aufenthaltsstatus in Gefahr. | |
Das kann ein zusätzliches Druckmittel sein, sagt Au-pair-Helferin | |
Grammatopoulos: „Die Mädchen aus EU-Ländern haben auch ein ganz anderes | |
Selbstbewusstsein, weil sie eben keine Visapflicht haben, nicht ständig | |
unter dem Druck stehen, dass sie ausgewiesen oder abgeschoben werden | |
können.“ | |
Schon wenige Wochen nach Cristinas Ankunft in der Gastfamilie hatte ihre | |
Mutter zu Hause in Kolumbien ein ungutes Gefühl. „Wir riefen Cristina um | |
ein Uhr morgens an, und sie hat immer noch geputzt. Sie hat ganz andere | |
Sachen gemacht, als sie eigentlich wollte“, erzählt sie der taz am Telefon. | |
„Wir wussten nicht genau, was wirklich passierte, aber wir spürten, dass | |
irgendetwas nicht stimmte.“ | |
Cristina selbst sagt, sie sei anfangs nicht misstrauisch gegenüber ihrer | |
Gastfamilie gewesen. Dafür aber die Gastfamilie gegenüber ihr. Als die | |
Familie einmal für drei Wochen in die Türkei fliegt, soll Cristina nicht | |
mitkommen – doch alleine zurück in der Wohnung in NRW bleiben soll sie auch | |
nicht. Allerdings hat Cristina – immer noch neu in Deutschland – keinen | |
Ort, an den sie ausweichen könnte. | |
Cristina vertraut sich einer ihrer wenigen Freundinnen in dieser Zeit an: | |
Catalina, die sie aus dem Deutschkurs kennt. Catalina erinnert sich an | |
einen Tag, an dem Cristina mal wieder übermüdet zum Kurs gekommen sei. „Ich | |
sagte zu Cristina: Guck mal, ich hab von dir jetzt schon so viele komische | |
Sachen über deine Gastfamilie gehört, wenn du irgendwas brauchst oder ich | |
was für dich tun kann, dann ruf mich an, okay?“ Doch Cristina habe da noch | |
entgegnet, „Ach, komm, so schlimm ist das doch auch nicht.“ | |
## „Alles, was du brauchst“ | |
Als Cristina ihrer Gastmutter erzählte, dass sie nach dem Au-pair-Jahr | |
gerne in Deutschland bleiben und ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren | |
wolle, habe die Gastmutter ihr Hilfe angeboten: „Sie sagte mir: „Mach dir | |
keine Sorgen, ich kümmere mich um die Dokumente und auch um die | |
Kommunikation mit den Leuten. Alles, was du brauchst“, erinnert sich | |
Cristina. | |
Sie habe ihrer Gastmutter vertraut: „Ich dachte, sie ist eben wie meine | |
Mutter hier in Deutschland, deswegen glaube ich nicht, dass sie schlechte | |
Absichten hat. Also gab ich ihr meine Mailzugänge.“ Von da an, sagt | |
Cristina, habe ihre Gastmutter begonnen, „alles zu kontrollieren, sogar die | |
Beziehung zu meinem damaligen Freund“. | |
Die Gastmutter habe, wenn Cristina alleine in der Stadt unterwegs war, | |
ständig versucht herauszufinden, was sie machte, ihrem Freund deshalb | |
WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Als die taz der Au-pair-Helferin Marita | |
Grammatopoulos von dem Fall erzählt, überrascht die das nicht: „Da sind die | |
Familien einfach übergriffig“, sagt sie, die bereits viele Gespräche mit | |
problematischen Gastfamilien geführt hat. „Das wird dann immer mit | |
irgendwelchen Ausreden begründet. Zum Beispiel: Das Visum läuft auf uns, | |
wir sind verantwortlich, also müssen wir doch wissen, wo sie ist“, sagt | |
Grammatopoulos. „Und wenn die Au-pairs sich dann weigern, die Telefonnummer | |
vom Freund herauszurücken oder nicht sagen, wo sie hingehen, dann wird den | |
Au-pairs gesagt: Wir schicken dich nach Hause, wenn du nicht machst, was | |
wir sagen.“ | |
Direkte Drohungen habe ihre Gastfamilie nicht ausgesprochen, sagt Cristina. | |
Es seien die vielen kleinen Momente der Grenzüberschreitung gewesen: An | |
einem Tag habe Cristina akute Schmerzen gehabt. Sie entschloss sich, noch | |
während der Arbeitszeit zum Arzt zu gehen. Die Gastmutter sei darüber so | |
sauer gewesen, dass sie den ganzen Abend nicht mehr mit ihr sprechen | |
wollte. Am nächsten Morgen allerdings sei die Gastmutter wieder nett | |
gewesen, so als ob nichts passiert wäre. Dieses Pendeln zwischen Zuneigung | |
und Verachtung sei typisch gewesen, sagt Cristina. | |
Kurz darauf, an einem Samstagabend, kommt es zum nächsten Konflikt. Den | |
Ablauf schildert Cristina der taz so: Um ein Uhr morgens kamen die Eltern | |
nach Hause. Cristina habe ihre Gasteltern im Wohnzimmer begrüßt. Doch statt | |
einer Antwort habe die Gastmutter gereizt gefragt: „Warum hast du die | |
Wäsche nicht in den Trockner gemacht, so wie wir es dir gesagt haben?“ | |
Außerdem solle Cristina sofort noch die Spülmaschine ausräumen. | |
„Wütend räumte ich die Spülmaschine aus und sagte ihnen mit lauter Stimme: | |
„Das ist nicht nett“, erinnert sich Cristina an diesen Abend. Dann forderte | |
sie von ihren Gasteltern, dass ihre Arbeitszeiten künftig besser | |
eingehalten werden sollten. Als sie am nächsten Morgen aufstand, sei das | |
Haus verändert gewesen, die Kinder seien nicht zu Hause und die Fenster | |
geschlossen gewesen. Die Atmosphäre sei eisig gewesen, als sie das | |
Wohnzimmer betrat, wo die Eltern bereits auf sie gewartet hätten. | |
Die Gastmutter sei genervt gewesen, erzählt Cristina. Sie geht die | |
Aufgabenliste von Cristina durch, Punkt für Punkt. Cristina spreche nicht | |
genug Spanisch mit den Kindern, sagt sie, sie sei unpünktlich und unkreativ | |
– zum Beispiel habe sie kaum mit den Kindern gebastelt. Doch vor allem | |
helfe sie nicht mit, das Haus ordentlich zu halten. Das Fazit der | |
Gastmutter: Cristina erledige höchstens die Hälfte der Aufgaben eines | |
Au-pairs. | |
## Sie soll ihre Sachen packen und abhauen | |
Außerdem werfen die Gasteltern Cristina vor, schlecht mit anderen über die | |
Familie zu reden. Cristina fordert Beweise für diese Anschuldigung. Nun | |
schlägt die Genervtheit der Gastmutter in Aggression um. Auch der Gastvater | |
mischt sich ein. Beide fragen Cristina, was sie denn glaube, wer sie sei – | |
wie käme sie auf die Idee, ihnen zu sagen, was sie zu tun haben? | |
Abwechselnd werden die Gastmutter und der Vater lauter. Cristina weint, | |
aber sie widerspricht. Irgendwann schreit der Vater, sie solle sofort ihre | |
Sachen packen und abhauen. | |
Der taz liegen Belege vor, dass dieses Gespräch so stattgefunden hat. | |
Cristina sagt, dass der Gastvater sie schließlich am Hals gepackt und die | |
Treppe hochgeschleppt habe. „Sein Gesichtsausdruck war so, als ob er mir | |
etwas antun würde, als ob er mich schlagen würde.“ Cristina habe daraufhin | |
das Fenster ihres Zimmers zur Straße hin geöffnet, damit sie im Notfall um | |
Hilfe rufen könnte. Wenige Minuten später hätten die Eltern sie unter | |
Beleidigungen aus dem Haus geschmissen. | |
Es ist Catalina, die Freundin aus dem Deutschkurs, die Cristina bei sich | |
aufnimmt. Sie erinnert sich, wie aufgewühlt Cristina an diesem Tag war: | |
„Sie hatte einen Nervenzusammenbruch, weinte und konnte nicht schlafen. Sie | |
war traumatisiert.“ | |
Was Cristina erlebt hat, begegnet Flegel und Grammatopoulos häufiger in | |
ihrer Beratung: Laut ihrer Aussage haben sich in den letzten Jahren mehr | |
als 1.000 Au-pairs bei ihnen gemeldet. Mindestens ein Anruf pro Tag gehe | |
auf der Nummer des Krisentelefons ein. Eine Person habe kürzlich um Hilfe | |
gebeten, weil sie von 7 Uhr morgens bis 21 Uhr arbeiten musste und dass die | |
Gastfamilie über die Anzahl der Kinder gelogen habe. | |
In einem anderen Fall habe der besorgte Freund einer Au-pair berichtet: | |
„Unter dem Deckmantel der Obhutspflicht wurde denen auch verboten, Partner | |
zu treffen.“ Und ein zweites Au-pair in der Familei sei „anscheinend auch | |
bis heute gar nicht bei der Ausländerbehörde angemeldet“. | |
Die ehrenamtlichen Au-pair-Helferinnen hören aber auch noch schlimmere | |
Berichte: „Es gibt auch viele Fälle von sexueller Nötigung – oder dass | |
Au-pairs Essen vorenthalten wird“, sagt Flegel. | |
## Nach dem Rauswurf | |
Als Cristina die Familie verlässt, dachte sie, dass sie nun ihre Ruhe haben | |
würde. Doch die ehemalige Gastfamilie griff auch nach dem Rauswurf noch in | |
ihr Leben ein. Cristina hatte bereits den Vertrag für ihr FSJ auf dem Tisch | |
liegen, da machte die Organisation überraschend einen Rückzieher. In einer | |
E-Mail, die der taz vorliegt, schreibt der soziale Träger: „Uns haben | |
Informationen erreicht, die es uns unmöglich machen, in Wertschätzung und | |
Vertrauen dieses Beschäftigungsverhältnis einzugehen.“ Und weiter: „Der | |
Vertrag wird vor Inkrafttreten aufgehoben.“ | |
Der Grund für die Absage: Cristinas ehemalige Gastmutter habe angerufen und | |
gesagt, dass Cristina klauen würde. Das habe Cristina im Nachhinein von der | |
Organisation erfahren. Überprüfen lässt sich Cristinas Behauptung nicht: | |
Die Organisation erklärt auf taz-Anfrage, dass sie zu Bewerbungen aus der | |
Vergangenheit keine Auskunft erteilen könne. | |
Cristina fand schließlich eine andere Stelle und zog nach Hamburg, wo sie | |
bis heute lebt – und sie nahm den Mut zusammen, sich bei dem | |
Vermittlungsportal AuPairWorld über die Gastfamilie zu beschweren. | |
Tatsächlich nahm das Portal die Familie für kurze Zeit von der Seite. Doch | |
kurz darauf ist sie wieder online. | |
Maria* kam nach Cristina als Au-pair zu dieser Familie, und sie macht ganz | |
ähnliche Erfahrungen wie Cristina. Sie berichtet der taz – auf eigenen | |
Wunsch anonym – von unbezahlten Überstunden und einer Kontrolle ihrer | |
sozialen Kontakte: „Meine Gastmutter hat manchmal meine Briefe geöffnet. | |
Danach hat sie die Briefe mir gegeben und gesagt: Ach, ich habe gedacht, | |
das wäre mein Brief gewesen.“ | |
Ihren FSJ-Vertrag habe die Mutter aus der Post genommen und verschwinden | |
lassen, damit sie länger in der Familie bleibt. Auch Maria hat den Kontakt | |
zur Gastfamilie abgebrochen. Sowohl Maria als auch ihre Vorgängerin | |
Cristina fühlten sich bei den Problemen von der Vermittlungsplattform | |
AuPairWorld alleingelassen. „Eigentlich haben sie nie versucht | |
herauszufinden, wie es mir ging. Diese Seite ist nur dafür da, um eine | |
Gastfamilie zu finden, aber nicht, um deine Rechte zu garantieren“, sagt | |
Cristina enttäuscht. | |
Die taz hätte gerne mit AuPairWorld über diesen Vorwurf gesprochen, doch | |
die Plattform ließ alle Anfragen unbeantwortet. | |
Das Problem, dass in Deutschland kaum jemand Verantwortung für die | |
Situation von Au-pairs übernimmt, ist ein systemisches. Mit den Reformen | |
der Agenda 2010 wurde die Arbeitsvermittlung dereguliert, darunter fallen | |
auch Au-pairs. Es gibt keinerlei Voraussetzung für die Vermittlung – man | |
muss lediglich einen Gewerbeschein anmelden. Manche Familien suchen sich | |
auf eigene Faust ein Au-pair über Facebook. | |
Doch auch bei vielen Agenturen laufe es nicht besser, meint Flegel: „Die | |
meisten Agenturen haben kein Interesse, die Au-pairs in Konflikten zu | |
unterstützen. Im Gegenteil: Sie setzen sie noch unter Druck. Sie sind auf | |
der Seite der Gastfamilie, denn die bezahlt die Gebühr.“ Die | |
durchschnittliche Vermittlungsgebühr liegt bei etwa 500 Euro pro | |
Vermittlung. Sowohl seriöse wie unseriöse Vermittler teilen sich den Markt | |
unter sich auf – denn eine Kontrollinstanz gibt es nicht. | |
25 Au-pair-Agenturen haben sich in Deutschland zur Gütegemeinschaft Au-pair | |
zusammengeschlossen, bei der sich Vermittler*innen auf eigene Kosten | |
freiwillig zertifizieren lassen können. Das Bundesfamilienministerium | |
verweist auf taz-Anfrage, wie das Einhalten der Au-pair-Standards gesichert | |
werden soll, auf diese Gütegemeinschaft. Externe Prüfer*innen sollen | |
sicherstellen, dass die Agenturen verantwortungsvoll arbeiten. | |
Flegel und Grammatopoulos halten das für wirkungslos. Statt Maßnahmen wie | |
unangekündigte Kontrollbesuche gebe es zudem nur eine Überprüfung der | |
Arbeitsverträge. Das sei zu wenig, um gegen Ausbeutung vorzugehen, sagt | |
Flegel, die mit ihrer Agentur selbst für eine Zeit Mitglied der | |
Gütegemeinschaft war, dann aber austrat, weil sie das Siegel nicht für | |
zielführend hält: „Das ist nur Papier.“ | |
Stattdessen sehen die Au-pair-Helferinnen in den Niederlanden ein Vorbild. | |
Dort haften Au-pair-Agenturen für ihre Familien und zahlen teilweise hohe | |
Strafen bei Verstößen. So seien die Au-pairs besser geschützt. Flegel und | |
Grammatopoulos fordern daher auch für Deutschland Reformen. Zum einen soll | |
die Vermittlung von Au-pairs nur noch über Agenturen erlaubt sein – statt | |
zum Beispiel über Facebook. Zum anderen müssten diese besser kontrolliert | |
werden. | |
Doch das Bundesfamilienministerium erteilt dem eine Absage: „Eine | |
Wiedereinführung der Agenturpflicht in Deutschland ist derzeit nicht | |
beabsichtigt.“ Das gilt auch für eine Regelung zur Haftung durch die | |
Agenturen. | |
Unter diesen Umständen möchte Marita Grammatopoulos ihre eigene Agentur | |
nicht weiterbetreiben: „Das ist für mich ein Menschenhandel, solange sich | |
da nichts ändert, vermittle ich überhaupt keine Au-pairs mehr.“ | |
Die ehemalige Gastfamilie von Cristina sucht nach wie vor im Internet nach | |
Au-pairs. Cristina macht das wütend, „dass ein weiteres Mädchen in die | |
Fänge dieser Familie gerät. Es kann sein, dass sie die gleichen Dinge | |
erleidet wie ich und ich werde unruhig bei dem Gedanken, dass etwas noch | |
Schlimmeres passieren könnte.“ | |
Cristina ist immer noch in Deutschland. Sie hat mittlerweile eine | |
Ausbildung zur Pflegeassistentin angefangen und führt ein unabhängiges | |
Leben in einer Wohngemeinschaft in Hamburg. „Ich glaube, dass das | |
Au-pair-Jahr, obwohl es schlecht war, mir sehr viel beigebracht hat“, sagt | |
sie. Sie habe gelernt, für ihre Rechte einzustehen, wenn etwas nicht in | |
Ordnung sei und „Nein!“ zu sagen: „Bis hierhin und nicht weiter.“ | |
* Namen geändert | |
Hinweis: In einer ersten Version des Textes hieß es, die Mitglieder der | |
Gütegemeinschaft Au Pair kontrollierten sich selbst. Das ist nicht | |
zutreffend. Die Gütegemeinschaft arbeitet mit unabhängigen Prüfer*innen | |
zusammen. | |
28 Jul 2023 | |
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[1] /Ausbeutung-von-Au-Pairs/!5846957 | |
[2] https://susanne-aupair.de/41292.html | |
## AUTOREN | |
Fabian Grieger | |
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