# taz.de -- Wohnprojekt in Hamburg: Flutschutz bedroht Wohnraum | |
> Die Bewohner*innen der Fährstraße 115 streiten vor Gericht um ihr | |
> Haus. Die Stadt will es abreißen, um einen Deich zu erhöhen. Ist das | |
> nötig? | |
Bild: Ist das noch Straße oder schon Deich? Diese Frage entscheidet über das … | |
HAMBURG taz | Wo genau endet ein Deich? Da, wo die schräge Fläche auf | |
ebenerdigen Boden trifft, oder erst 20 Meter weiter, wenn es dann nochmals | |
bergab geht? Diese Frage ist wichtig für die [1][Bewohner*innen der | |
Fährstraße 115 in Hamburg-Wilhelmsburg]. Sie könnte darüber entscheiden, ob | |
ihr linkes Hausprojekt bestehen bleiben kann oder ob die Stadt das Haus | |
abreißt. | |
Vielleicht muss man aber auch fragen: Wo endet Flutschutz und wo fängt der | |
Schutz sozialverträglichen Wohnraums an? Oder besser: Wie bekommt man | |
beides zusammen? Die Antworten auf diese Fragen suchten die Beteiligten am | |
Mittwoch vor dem Hamburger Verwaltungsgericht. | |
Die Klage hatten die Bewohner*innen im Sommer 2020 eingereicht. Sie | |
richtet sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts der Stadt – die | |
Hamburger Liegenschaftsverwaltung hatte den Bewohner*innen das Haus vor | |
der Nase weggekauft, als sie es gerade mit Unterstützung des | |
Mietshäusersyndikats selbst kaufen wollten. Die Bewohner*innen legten | |
Widerspruch dagegen ein, doch die Liegenschaftsverwaltung lehnte ab. Also | |
zogen sie vor Gericht. | |
Doch der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht signalisierte zu Beginn | |
der Verhandlung, dass es nicht gut aussehe für die Bewohner*innen. Die | |
Umweltbehörde will den Deich, der in der Nähe des Grundstücks liegt, um 80 | |
Zentimeter erhöhen. | |
## 80 Zentimeter mehr Deich, das will die Umweltbehörde | |
Ein Deich, der höher wird, wird auch breiter – wenn man einen klassischen | |
Erddeich baut. Da wird es schwierig für die Bewohner*innen, denn die Stadt | |
argumentiert: Der Deich reiche schon jetzt an das Grundstück heran, an dem | |
das Haus steht. Daher müsse es weichen, für 2024 plant die Stadt den Abriss | |
des gründerzeitlichen Wohnhauses. | |
Die Bewohner*innen halten dagegen: Mitnichten stehe das Haus [2][dem | |
Flutschutz entgegen]. „Die Unterkante des Deichs ist von der | |
Grundstücksgrenze 24,86 Meter entfernt“, begründen sie ihre Klage. Eine 15 | |
Meter breite Straße plus zwei Fußwege und eine Böschung liegen zwischen dem | |
Punkt, an dem die Bewohner*innen den Fuß des Deiches verorten, und dem | |
Grundstück. | |
Die Stadt hingegen versteht die Straße und die Böschung als Teil des | |
Deiches. Nur wenn ein Grundstück an einen Deich heranreicht, kann die Stadt | |
im Namen des Flutschutzes das Vorkaufsrecht nutzen. | |
Doch wie die Stadt den Deich ausbauen, die Straße verlegen und das | |
Grundstück nutzen will, ist nicht bekannt. Den Anwalt der Bewohner*innen, | |
Martin Klingner, ärgert das. „Solange der Planungsstand nicht offengelegt | |
wird, kann das Gericht keine vernünftige Abwägung vornehmen“, findet er – | |
jedenfalls nicht zugunsten der Stadt. | |
Die Vertreterin der Liegenschaftsverwaltung hält dagegen, die Planungen | |
seien langwierig und man müsse jetzt schnell handeln: „Ein Deichbau kann 20 | |
bis 30 Jahre dauern. Zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts muss man | |
erst mal den Bedarf sichern, auch wenn die Planungen noch nicht | |
abgeschlossen sind.“ | |
## Viel Kritik an der Behörde | |
Der Bewohner Joachim Van Edom findet das unseriös. „Die Stadt will es sich | |
einfach machen und schert sich nicht darum, Flutschutz und den Schutz | |
sozialen Wohnraums zu vereinbaren“, sagt er. Dabei sei das problemlos | |
möglich, wenn man etwa die Straße zwischen Deich und Grundstück etwas | |
schmaler machen würde. | |
„Die Behörde tut so, als wäre nicht genug Platz für Hochwasserschutz | |
vorhanden. Aber das stimmt nicht“, sagt er vor Gericht. Es sei genug Platz | |
für einen breiteren Deich sowie den vorgesehenen Schutzstreifen – nur eben | |
nicht für eine 15 Meter breite Straße. | |
Auch in den Augen der Linken-Abgeordenten Heike Sudmann hat die Behörde | |
nicht sauber gearbeitet. „Natürlich ist der Flutschutz ein hohes Gut“, sagt | |
sie. Aber man müsse in jedem Einzelfall abwägen. „In diesem Fall hat die | |
Behörde versagt.“ | |
## Aussicht auf Vergleich zwischen Stadt und Wohnprojekt | |
Tatsächlich plant die Verkehrsbehörde eine Veloroute, die zukünftig am | |
Deich entlang führen soll. Die Planungen dafür stellte der Bezirk im Januar | |
2022 den Fraktionen der Bezirksversammlung vor. „Die Pläne zur Veloroute | |
werden kontinuierlich mit den Plänen zur Deicherhöhung abgestimmt“, gibt | |
der Senat dazu [3][in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion an]. | |
Nur: In den Plänen zur Veloroute bleibt das Grundstück mit dem Haus in der | |
Fährstraße 115 unberührt. „Die Veloroute wird sich an den Planungen der | |
Deichführung ausrichten müssen, wenn diese abgeschlossen sind“, sagt die | |
Sprecherin der Umweltbehörde, Renate Pinzke. | |
Die Gerichtsverhandlung endet am Mittwoch mit der Aussicht auf einen | |
Vergleich: Wenn die Stadt ihre Planungen abgeschlossen hat und zu dem | |
Ergebnis kommt, das Grundstück doch nicht zu brauchen, gibt sie es zurück. | |
Doch welche Konditionen erfüllt werden müssen, damit beide Seiten ihn | |
akzeptieren, wollen sich sowohl die Stadt als auch die Bewohner*innen | |
in Ruhe überlegen. In drei Monaten wollen sie wieder verhandeln. | |
19 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Klimaschutz-in-Hamburg/!5671019 | |
[2] /Kampf-um-den-Weserdeich/!5905996 | |
[3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/84310/velorouten_6_10_11_p… | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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