| # taz.de -- Kampf um den Weserdeich: Im Gestrüpp der direkten Demokratie | |
| > Der Bremer Senat verbietet einen Volksentscheid zum Hochwasserschutz – | |
| > gegen den Willen der Linken. Nun muss das Verfassungsgericht entscheiden. | |
| Bild: Ein Kran steht schon da; die mächtige Platane am Bremer Weserdeich muss … | |
| Bremen taz | [1][136 Platanen am linken Weserufer] treiben das rot-grün-rot | |
| regierte Bremen in lauter politische Grundsatzfragen. Das ist zwar schon | |
| seit Jahren so, zumindest aber, seit ausgerechnet die Bremer Grünen und | |
| ihre Umweltsenatorin Maike Schaefer vehement dafür kämpfen, dass die | |
| großen, alten Bäume gefällt werden – für den Hochwasserschutz. Jetzt kam | |
| noch mindestens eine neue Grundsatzfrage dazu. Schaefer formuliert sie so: | |
| „Darf das Volk über Deichsicherheit entscheiden?“ | |
| Ja, natürlich, sagt die mitregierende Bremer Linke. Nein, sagen die Grünen | |
| und ihre Ministerin, denn hier gehe es um „[2][Leib und Leben“]. Und da | |
| möchte sie, da möchte ihre Partei das Volk lieber nicht entscheiden lassen: | |
| „Deichschutz ist nicht verhandelbar“, sagt Frau Schaefer. In der SPD denkt | |
| man da ähnlich. | |
| Und weil dieser Konflikt SPD und Grüne auf der einen und Linke sowie eine | |
| starke Bürgerinitiative (BI) auf der anderen Seite in Bremen [3][schon | |
| länger auseinander treibt], hat die Bremer Koalitionsregierung nun vor | |
| Weihnachten den heiligsten aller Koalitionsregierungsgrundsätze über den | |
| Haufen geworfen. Nämlich den, dass die Parteien in der Regierung – in | |
| diesem Falle: im Senat – stets einheitlich abstimmen. Dieser Grundsatz | |
| wurde nun in Bremen, „als besonderer Ausnahmefall“, wie es heißt, außer | |
| Kraft gesetzt. | |
| Hintergrund ist eine Volksbegehrensinitiative, welche die BI gestartet hat, | |
| mit Unterstützung von rund 26.000 Bremer:innen. Sie vertreten, anders als | |
| vor allem SPD und [4][Grüne], [5][anders als die zuständige Behörde] und | |
| der Deichverband die Auffassung, dass der Hochwasserschutz sehr wohl | |
| möglich ist, wenn man die 136 Platanen nicht fällt. Und zwar dann, wenn man | |
| hinter die Bäume am Deich eine hohe Spundwand einlässt. Dazu hat sie ein | |
| 37-seitiges Gutachten des [6][Ingenieur- und Bauunternehmens CDM Smith] | |
| eingeholt, das diese Sicht der Dinge bestätigt. | |
| ## Keine Abstimmung bei der Wahl 2023 | |
| Der Plan der BI: Wenn im kommenden Mai in Bremen ein neuer Landtag gewählt | |
| wird, dürfen die Bremer:innen über das Volksbegehren abstimmen. Also | |
| über die Frage, ob die Bäume gefällt werden dürfen, oder eben nicht. | |
| Daraus wird nun nichts. Denn die Linken im Senat sind unterlegen, das | |
| Volksbegehren wird erst mal nicht zugelassen, weswegen die Frage, ob die | |
| Wähler:innen bei der Deichsicherheit mitbestimmen dürfen, nun zum | |
| [7][Bremer Staatsgerichtshof] getragen wird, zu Bremens Verfassungsgericht. | |
| Die Richter:innen dort müssen nun entscheiden, ob das Volksbegehren | |
| erlaubt wird oder nicht. Wenn das Urteil fällt, ist die nächste | |
| Bürgerschaftswahl natürlich längst gelaufen. SPD und Grünen ist das ganz | |
| recht. Der Volksentscheid müsste dann wohl bis zur Europawahl 2024 warten. | |
| Das Plebiszit bringt insbesondere die Grünen politisch in Bedrängnis: | |
| Gerade für sie gehört die positive Einstellung zur Volksgesetzgebung ja zum | |
| Wesenskern. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag steht deshalb auch: | |
| „[8][Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern belebt und bereichert die | |
| repräsentative Demokratie.“] Im konkreten Falle ist gerade den Grünen die | |
| Gefahr aber zu groß, dass das Volk falsch, also zugunsten der 136 Bäume | |
| abstimmt. Die Linke ist da zuversichtlicher. | |
| Schon einmal ist das grüne Bau- und Umweltressort mit seiner Politik an | |
| einem Volksbegehren gescheitert: Obwohl es in der Bremischen Bürgerschaft | |
| eine breite Mehrheit dafür gab, dass die ehemalige Galopprenbahn in der | |
| Vahr mit Wohnungen für 1.200 Menschen bebaut wird, hat eine im Stadtteil | |
| initiierte [9][Volksabstimmung] 2019 genau das verhindert. | |
| „Wir nehmen das Volksbegehren sehr ernst“, sagt Schaefer nun. „Es kann | |
| aber keine Abstimmungen geben, deren Ergebnis Menschen in Gefahr bringt und | |
| der in der Verfassung verankerten Pflicht der Regierung zum Schutz der | |
| Bevölkerung zuwiderläuft“, sagen die beiden grünen Bremer Parteichefs. Ein | |
| Kompromiss zwischen der Deichsicherheit und direkter Demokratie sei da | |
| „nicht möglich“. | |
| Der gerade von den Grünen vorgetragene Gegensatz ist gar keiner, sagt indes | |
| die BI, die natürlich auch in Anspruch nimmt, für den sicheren | |
| Hochwasserschutz zu sein. „[10][Es ist schon erschreckend, mit welcher | |
| Schamlosigkeit die Öffentlichkeit von Seiten des Senats getäuscht wird, um | |
| einen Volksentscheid zur Bürgerschaftswahl 2023 zu verhindern]“, heißt es | |
| in einer Presseerklärung. Der Bremer Senat habe damit „einen weiteren | |
| Tiefpunkt in Sachen Bürgerbeteiligung und demokratischer Mitbestimmung | |
| erreicht“, Politik- und Demokratieverdrossenheit werde „ungerührt in Kauf | |
| genommen“, kritisiert die BI. | |
| ## Es könnten neue Platanen gepflanzt werden | |
| Inhaltlich geht es um die Frage, wie das Alternativkonzept der BI fachlich | |
| zu bewerten ist. Die Linken halten die Spundwand für „keine zumutbare | |
| Lösung“, weil sie so hoch sein müsste, das keiner drüber wegsehen könne u… | |
| am Ende wohl nur ein Teil der Bäume gerettet würde. Die Grünen sprechen von | |
| einem „gewagten Experiment“. Und das Ingenieurbüro mochte sein Konzept | |
| nicht dem Runden Tisch vorstellen, der in Bremen den seit 2016 zunehmend | |
| erbittert geführten Streit um die Platanen moderieren soll. | |
| [11][Die Baubehörde hat das Gutachten zuvor schon in Gänze verworfen.] CDM | |
| Smith rechne noch nicht mit den aktuellen Zahlen des Generalplans | |
| Küstenschutz von 2021, die vorgeschlagene Spundwand sei nicht hoch genug. | |
| Zudem bleibe das Risiko, dass die Bäume den Bau nicht überleben oder aber | |
| im aufgeweichten Deich umkippen und ihn destabilisieren. | |
| Der Baubeginn war ursprünglich für 2021 geplant – zuletzt ging Schaefer | |
| davon aus, dass ab 2024 abgeholzt werden kann. Der Deich, bisher eine | |
| begrünte Böschung aus Trümmern, soll dann durch ein höheres, massiveres | |
| Bauwerk ersetzt werden. Davor soll eine Promenade entstehen – mit kleineren | |
| Bäume, die die 136 dann Gefällten ersetzen. Es könnten sogar wieder | |
| Platanen sein. | |
| 4 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Archiv-Suche/!5868715&s=136+Platanen&SuchRahmen=Print/ | |
| [2] https://www.butenunbinnen.de/videos/platanen-deich-volksentscheid-bremen-10… | |
| [3] https://gruene-bremen.de/deichschutz-in-bremen-gemeinsame-information-zum-v… | |
| [4] https://gruene-bremen.de/hochwasserschutz-neustadt-menschenschutz-muss-ober… | |
| [5] https://www.bauumwelt.bremen.de/umwelt/wasserwirtschaft-hochwasser-und-kues… | |
| [6] https://s984f442c7f436094.jimcontent.com/download/version/1619461200/module… | |
| [7] https://www.staatsgerichtshof.bremen.de/ | |
| [8] https://spd-land-bremen.de/Binaries/Binary_6302/Koalitionsvereinbarung-RGR-… | |
| [9] /Galopprennbahn-gegen-Wohnungen/!5599295 | |
| [10] https://bi-platanen-am-deich.jimdo.com/ | |
| [11] /Archiv-Suche/!5868715&s=platane+lotta&SuchRahmen=Print/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Zier | |
| ## TAGS | |
| R2G Bremen | |
| Deiche | |
| Hochwasser | |
| Hochwasserschutz | |
| Direkte Demokratie | |
| Demokratie | |
| R2G Bremen | |
| Maike Schaefer | |
| Deiche | |
| R2G Bremen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bremer Volksbegehren verboten: Gericht fällt Platanen-Urteil | |
| Der Bremer Staatsgerichtshof erklärt ein Volksbegehren für unzulässig, das | |
| Bäume auf einem Weserdeich unter Naturschutz stellen sollte. | |
| Bremer Umweltsenatorin über Bürger-Inis: „Wir reden miteinander“ | |
| Maike Schaefer (Grüne) ist Bürgermeisterin und führt das konfliktträchtige | |
| Bau-, Umwelt- und Verkehrsressort:Wie geht das zusammen? | |
| Platanen am Neustädter Deich in Bremen: Alter Streit neu aufgelegt | |
| Im neuen Koalitionsvertrag wird die Debatte um den Erhalt der Neustädter | |
| Platanen wieder eröffnet. Die Linke strebt ein Beteiligungsverfahren an. | |
| Grüner Bremer Bausenator im Gespräch: „Es gibt immer auch Konkurrenzen“ | |
| Joachim Lohse, Bremens scheidender Umwelt-, Bau- und Verkehrssenator über | |
| Erfolge, Gegenwind, Bürgerbeteiligung und Wünsche für die Zukunft |