Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Afrika nach Staatsstreich in Niger: Die Putsche sind erst der Anfang
> In der Phase der Umwälzungen: Eine neue Generation will ein
> selbstbewusstes Afrika entstehen lassen, das sich vom kolonialen Erbe
> emanzipiert.
Bild: Die Anhänger der Putschisten wenden sich auch gegen das aus ihrer Sicht …
Als [1][Nigers Militärputsch] gerade begonnen hatte, seufzte ein damit
befasster Diplomat: „Der beste Ausgang wäre, wie so oft in Westafrika, wenn
es einfach folgenlos bliebe.“ Der Seufzer war nachvollziehbar. Aber gut
eine Woche später ist klar: Er bleibt nicht folgenlos. Und das ist gut so.
Afrika erlebt momentan eine jener tiefen Umwälzungen, die etwa alle 30
Jahre den Kontinent erschüttern, um den Preis oft schweren Leids. In den
1960er Jahren räumte Europa seine Kolonialreiche; innerhalb von rund zehn
Jahren wurden fast alle Kolonialgebiete unabhängig. Doch die jungen Staaten
waren meist schlechte Kopien der vorherigen Kolonien und gingen mit wenigen
Ausnahmen keinen eigenen Weg.
In den 1990er Jahren wurden diese Staatsgebilde reihenweise von der eigenen
Bevölkerung abgeräumt; Einparteienregime wurden von Mehrparteiensystemen
abgelöst oder auch von Rebellengruppen. Doch die „zweite Befreiung“ wurde
meist von den alten Eliten gekapert – sie kleideten alten Autoritarismus in
ein neues demokratischeres Gewand, während Afrika zugleich als
benachteiligter Akteur in die neoliberale Globalisierung hineingezogen
wurde und die Spielräume der Politik immer enger wurden.
Nun, in den 2020er Jahren, will eine neue Generation auch die unansehnlich
gewordenen demokratisch-liberalen Fassaden beiseite schieben und ein
selbstbewusstes Afrika entstehen lassen, das sich in jeder Hinsicht vom
kolonialen Erbe emanzipiert – ausgehend vom kulturellen Selbstverständnis
über die ökonomische Einbindung bis hin zu den politischen Systemen. Sie
kennt die Kolonialzeit nicht einmal mehr aus den Erzählungen der Eltern.
Sie kann sich gar nicht mehr positiv oder negativ gegenüber der
Kolonialerfahrung definieren. Sie will eigene afrikanische Erfahrungen
und schafft sie notfalls selbst.
Von Sudan bis [2][Senegal], mit den Sahel-Putschländern dazwischen, zieht
diese „dritte Befreiung“ eine Schneise der Aufmüpfigkeit quer durch den
Kontinent. Von Kamerun bis Uganda, von Simbabwe bis Nigeria steigt die
Ungeduld mit starrsinnigen Alten, die nicht den Platz räumen. Irgendwann
wird auch in Südafrika die Generation, die Nelson Mandela nur noch als
Mythos kennt, den ANC als kraftlosen Schatten seiner selbst auf den
Müllhaufen der Geschichte befördern.
Wie schon in der Vergangenheit ist die Erschütterung in den ehemaligen
französischen Kolonialgebieten kurzfristig am heftigsten. Anders als
Großbritannien hielt Frankreich in den 1960er Jahren krampfhaft an seinen
Kolonien fest. Es führte in Algerien die blutigsten Abwehrkriege, es setzte
in den bisherigen Provinzen von Französisch-Westafrika und -Zentralafrika
möglichst loyale Subjekte als neue Herren der neuen Staaten ein und zog
dort die Strippen: Aus Besatzungstruppen wurden Eingreiftruppen, aus
Verwaltern wurden Berater, die alte Kolonialwährung CFA-Franc blieb und
wurde weiter aus Paris geführt, ebenso wie die Sprache, das Schulwesen, das
Rechtssystem, die Wirtschaft, das kulturelle und intellektuelle Leben.
Erst ab den 1990er Jahren änderte sich das allmählich, aber bis heute hat
Frankreich in Afrika die Überheblichkeit nicht abgelegt, die es
beispielsweise bis zuletzt selbstverständlich machte, dass Frankreich seine
Militäroperationen [3][in Mali] nicht vorab mit Mali absprach.
Es ist keine Überraschung, dass die neue Generation der 2020er Jahre vor
allem mit diesem Frankreich und seinen afrikanischen Freunden ein Problem
hat. Aber Afrikas neue Umwälzung geht viel tiefer. Eine Wahrnehmung hat
sich festgesetzt, dass Afrika immer das Opfer der Krisen der anderen ist.
Afrika litt unter den globalen Shutdowns infolge der Coronapandemie, obwohl
Afrika nicht an Covid-19 schuld war – eigene Seuchen sind in Afrika viel
verheerender, aber das kümmert den Rest der Welt kaum.
## Eigenen Rhythmus kreieren
Afrika leidet unter der globalen Lebensmittelkrise infolge des
Ukraine-Kriegs, obwohl Afrika daran nicht schuld ist – eigene Kriege sind
in Afrika viel verheerender, aber das kümmert den Rest der Welt kaum.
Manchmal sorgt sich der Rest der Welt um Menschenrechte in Afrika, aber
nimmt das Massensterben bei der Flucht vor afrikanischen Missständen
Richtung Europa achselzuckend hin.
Wie lange soll Afrika noch nach dem Rhythmus der anderen tanzen? Und wo ist
Raum für neue Führungsgestalten oder Teilhabemöglichkeiten, die einen
eigenen Rhythmus kreieren, damit Afrika endlich auf eigener Grundlage an
der globalisierten Welt teilnimmt? Das sind die Grundfragen hinter Nigers
Putsch, der in Afrika eine Grundsatzdebatte losgetreten hat, die in keinem
Verhältnis zu seinen relativ banalen Gründen steht. Die schlechteste
Antwort darauf wäre, dass das „einfach folgenlos“ bliebe.
5 Aug 2023
## LINKS
[1] /Ultimatum-gegen-Nigers-Putschisten/!5948156
[2] /Machtkampf-in-Senegal/!5947930
[3] /Westafrika-beendet-Mali-Sanktionen/!5865196
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Niger
Kolonialismus
Afrika
GNS
Silicon Valley
Wahlen
Simbabwe
Schwerpunkt Krieg in Sudan
Südafrika
Niger
Niger
Niger
Niger
Niger
## ARTIKEL ZUM THEMA
Niedriglohnarbeit für US-Tech-Konzerne: KI-Training in Afrika
Junge Ugander zeigen künstlicher Intelligenz von Hand, was sie machen soll
– und was nicht. Gute Jobchancen oder klickender Albtraum?
Machtübernahme in Gabun: Das Militär übernimmt
Vor einigen Tagen fanden im zentralafrikanischen Gabun
Präsidentschaftswahlen statt. Nun erklärten Militärvertreter die Wahlen für
ungültig.
Präsidentschaftswahl in Simbabwe: Ein ausgebliebener Machtwechsel
Mugabes Sturz hat an den Verhältnissen in Simbabwe nichts geändert. Die
alte Generation hat, trotz aller Bemühungen, die Macht. Das ist bitter.
UN-Vertreter über Lage im Sudan: 20 Millionen von Hunger betroffen
Seit dem Beginn der Kämpfe in dem afrikanischen Land im April werden
Hilfslieferungen immer schwieriger. Eine NGO nennt die Lage „katastrophal“.
Überfüllte Gefängnisse in Südafrika: Zuma bleibt in Freiheit
Der frühere südafrikanische Präsident Jacob Zuma muss eine mehrmonatige
Haftstrafe nicht antreten. Er profitiert von einem Straferlass für
gewaltlose Straftäter.
Militärisches Eingreifen in Niger: Gerechtfertigt und doch fatal
Eine nigerianische Militärintervention in Niger würde bedeuten: Zwei Armeen
mit historisch schlechtem Ruf führen auf dem Rücken der Menschen Krieg.
Nach dem Putsch in Niger: Zerrbilder und Zerreißprobe
Ist Nigers Putsch eine „Vollendung der Souveränität“, die bejubelt, oder
„ein Putsch zu viel“, der beendet gehört? Westafrika streitet.
Nach dem Militärputsch in Niger: Appell des gestürzten Präsidenten
Nigers entmachteter Präsident Bazoum ruft die Weltgemeinschaft auf, den
Putsch nicht zu akzeptieren. Ecowas ringt vergeblich um eine diplomatische
Lösung.
Welthungerhilfe-Leiter über Niger-Krise: „Die Lage bleibt unklar“
Welche Auswirkungen hat der Putsch in Niger auf die humanitäre Hilfe? Der
Leiter der Welthungerhilfe äußert seine Befürchtungen für die kommende
Zeit.
Putsch in Niger: Der „Stabilitätsanker“ löst sich
Kein Land in der Sahelzone beherbergt so viele ausländische Eingreiftruppen
und wird so gern von deutschen Ministern besucht wie Niger. Und jetzt?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.