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# taz.de -- Die Wahrheit: Unbeliebte Wühler auf langen Beinen
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (172): Warzenschweine
> frieren leicht unter ihrer Mähne und mögen deshalb höhere Temperaturen.
Bild: Berliner Mutter und Kind aus der Familie Warzenschwein
Gehören die eigentlich zu den Schweinen, oder heißen die nur so? Das Erste,
was ich über sie googelte, war das Stichwort „Fressfeinde“: Vor allem der
Mensch, aber auch so ziemlich alle größeren afrikanischen Raubtiere jagen
sie, außer Geparden.
Wieso die nicht? Essen etwa die Geparde auch kein Schweinefleisch? Aber
haben die Warzenschweine überhaupt solch ein Fleisch, oder sind sie mit
ihren langen Hauern nur zu gefährlich für Geparde? Denn schnell genug für
diese Raubkatzen sind die Warzenschweine: Bis zu 50 Stundenkilometer
schaffen sie. Vielleicht sind Geparde aber auch zu sportlich und jagen nur
die noch schnelleren Antilopen, und zwar die schnellsten in der Herde,
nicht die schwächsten.
Die Systematik für Warzenschweine liest sich wie ein Gedicht: „Ordnung:
Paarhufer / Unterordnung: Schweineartige /Familie: Echte Schweine /
Gattung: Warzenschwein /Art: Warzenschwein“.
Seit den Genetikern nichts mehr heilig ist, kommt aber seit 1999 noch eine
„Überordnung“ dazu: Laurasiatheria. Wikipedia entschuldigt sich, dass es
für diese Benamung der Genetiker noch keinen deutschen Namen gibt. Es
handelt sich dabei um „eine aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen
festgelegte Gruppe von Höheren Säugetieren mit großer Artenvielfalt“. Sie
habe „ihren Ursprung auf dem früheren nördlichen Superkontinent Laurasia“
(Europa und Asien). „Die Schwestergruppe der Laurasiatheria sind
wahrscheinlich die Euarchontoglires, zu denen auch der Mensch gehört und
mit denen sie zusammen das Taxon Boreoeutheria bilden.“
## Menschen und Schweine
Das ergibt Sinn, wenn man davon ausgeht, dass sich einst die Menschen und
die Schweine langsam, aber stetig von der Gegend um den Viktoriasee aus
nach Norden ausgebreitet haben, immer weiter, mit steigenden Temperaturen.
Vor vermutlich 85 bis 95 Millionen Jahren war „die Stammart beider Gruppen“
auf der Nordhalbkugel ansässig, geben die kundigen Wikipedia-Autoren kund.
Sind die Warzenschweine danach etwa aus Sibirien wieder zurückgewandert?
Das mit der „Stammart“ ist ein heikles Problem. Gemeint ist damit laut
spektrum.de der „Vorläufer anderer Arten bei Artumwandlung oder
Artaufspaltung und beim seltenen Fall der Artbildung durch Bastardierung
(fast nur bei Pflanzen möglich)“.
Die Warzenschweine haben einige Besonderheiten in ihrem altneuen
Siedlungsgebiet („ganz Afrika südlich der Sahara“) entwickelt: Sie sind im
Gegensatz zu allen anderen Schweinen „tagaktiv“. Das trifft sich gut in der
Hinsicht, dass diese seltsamerweise tagaktiven „Allesfresser“ (wie wir)
sich nachts gern in die Höhlen von „nachtaktiven“ Erdferkeln zurückziehen,
die diese gegraben haben und deren Nutzung sie nun mit vier bis 16
Warzenschweinen im Tag-Nacht-Rhythmus teilen müssen.
Man kennt Ähnliches von den Schlafbäumen, die Flughunde und Krähen
gemeinsam nutzen: Wenn diese morgens auf Futtersuche ausfliegen, kommen
jene von der nächtlichen Futtersuche nach Hause. Der Nachteil bei den
Warzenschweinen laut Focus: „Sie übernachten immer mal wieder in
ungeeigneten Höhlen, weil sie die Bauten nicht selbst anlegen.“
Im südafrikanischen Film „Die lustige Welt der Tiere“ gibt es eine Szene,
in der ein Gepard eine Warzenschweinbache mit ihren Jungen jagt, wobei die
Raubkatze sich auf ein Ferkel konzentriert. Zwar kann es entkommen, aber es
findet danach nicht mehr „nach Hause“ zurück. Es bleibt zitternd die ganze
Nacht über inmitten einer Elefantenherde. Seine Mutter, die anscheinend
zählen kann, vermisst das Ferkel und sucht und ruft nach ihm. Am Morgen
finden die beiden sich wieder – und sind glücklich, nehme ich an.
Aber diese Szene war nur ein Tag im Leben eines Warzenschweins als Ferkel.
Sie werden schnell erwachsen – biologisch ausgedrückt: „Mit 50 Tagen
begleiten die Jungtiere ihre Mutter, mit rund fünf Monaten werden sie
entwöhnt. Die Männchen verlassen ihre Mutter mit rund 15 Monaten, die
Weibchen bleiben länger, oft schließen sie sich auch der Gruppe der Mutter
an.“
## Bauern und Jäger
So ein Genderverhalten kommt bei etlichen Tieren vor. An vielen Orten
Afrikas sind die Warzenschweine, nebenbei bemerkt, ähnlich verhasst unter
den Bauern wie unter unseren Bauern die Wildschweine. Beide haben die
„üble“ Angewohnheit, mit ihrer Schnauze den Boden großflächig aufzuwühl…
auf der Suche nach Nahrung. Und so, wie die hiesigen Jäger gern zur Zierde
stolz die Hauer eines wilden Ebers in Silber eingefasst tragen, besitzen
die afrikanischen Bauern und Jäger die bis zu 60 Zentimeter langen und
gekrümmten Hauer der männlichen Warzenschweine als Schmuck. Die Unterart
Eritrea-Warzenschwein ist darüber ausgestorben.
„Unsere“ Wildschweine sind anscheinend nicht irgendwann in ihre angestammte
Heimat zurückgewandert, sondern geblieben, dafür wuchs ihnen ein dichteres
Fell, als es die Warzenschweine haben. Schlimmer noch: Unter der
afrikanischen Sonne sind sie bis „auf die langhaarige Mähne fast vollkommen
nackt und besitzen kein Unterhautfettgewebe. Deshalb frieren sie leicht“,
heißt es auf der Internetseite des Magdeburger Zoos, dessen Foto allerdings
ein Warzenschwein zeigt, das am Bauch weiß behaart ist, wenn auch nur dünn,
und dass keine Warzen hat, kaum Hauer, nicht größer als die der hiesigen
männlichen Wildschweine.
Von allen Schweinearten haben die Warzenschweine die längsten Beine. Und
sie sind Focus zufolge viel anspruchsloser als Wildschweine. „Sie können
auch hohe Temperaturen aushalten und brauchen viel weniger Wasser.“ Bei der
Internetanfrage „Wie viel kostet ein Warzenschwein?“ dachte ich erst an
Zoos und ähnliche Einrichtungen als Käufer, die Frage war jedoch an
jagdreisen-reibenwein.com gestellt. Dieses südafrikanische Start-up
antwortete, ein Warzenschwein koste „105 Euro. Trophäenträger können
zusätzlich nach Listenpreis erlegt werden.“
Bei „Trophäenträger“ dachte ich zuerst an die einheimischen Träger, die …
erlegte Warzenschwein nach Hause tragen sollen. So ein Warzenschwein ist
schwer. Aber gemeint sind wohl männliche Exemplare, deren Hauer so groß
sind, dass ihr Abschuss teurer ist als der eines weiblichen Tier oder gar
eines Spanferkels – für den Grillabend in der Savanne.
Ein Heidelberger Auktionshaus versteigerte kürzlich eine „Asiatische
Schnitzarbeit einer Elefantenherde aus großem Zahn des Warzenschweines, auf
Holzsockel“ – ab 40 Euro. Ähnlich viel kostet ein Flaschenöffner aus einem
Warzenschweinhauer – als „exklusives Geschenk für Jäger“. Nun gibt es a…
ein „Elfenbeingesetz“, das die begrenzte Ausfuhr von Warzenschweinhauern
„regelt“, die nämlich auch aus Elfenbein bestehen, ebenso wie die Stoßzä…
der Walrosse im Norden.
Auch das „Rela-Gen“ der Warzenschweine ist begehrt: Es ist anders als das
der hiesigen Schweine, es macht sie resistent gegen die Afrikanische
Schweinepest. Schottische Genetiker versuchen nun, das Rela-Gen unserer
Schweine quasi warzenschweinartig zu optimieren.
3 Jul 2023
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
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