| # taz.de -- Die Wahrheit: Aufstand gegen die Menschen | |
| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (169): Kooperation gab | |
| > es schon immer unter Tieren, sie gilt aber gerade als Neuentdeckung. | |
| Bild: Schimpansen sporteln beim kooperativem Ballspiel | |
| So wie die Ornithologin in dem Hitchcock-Film „Die Vögel“ davon überzeugt | |
| war, dass den Vögeln das geistige Potenzial fehlt, Angriffe mit | |
| destruktiven Beweggründen zu führen, ist sich auch der Harvard-Neurologe | |
| Marc Hauser sicher: Tiere sind generell nicht in der Lage, sich zu einem | |
| Aufstand gegen die Menschen zusammenzurotten. „Eine Revolution ist mit | |
| Tieren nicht zu machen“, schreibt er in seinem Buch „Wild Minds“ (2001). | |
| Der Dramatiker Heiner Müller mutmaßte: Die Bedrohung durch die Vögel im | |
| Hitchcock-Film könnte ein Symbol für die „Rebellion der Natur“ sein, die | |
| der Mensch „ohne Rücksicht auf seine Zukunft als Gattungswesen verwüstet“. | |
| Ist die „gegenseitige Hilfe“ der Vögel gegen die Menschen im Film also nur | |
| symbolisch gemeint? | |
| Der Kieler Meeresbiologe Adolf Remane begann sein 1960 veröffentlichtes | |
| Buch über den damaligen Stand der Biosoziologie mit dem Eingeständnis, dass | |
| „das soziale Zusammenleben den Menschen große Schwierigkeiten bereitet“. | |
| Die Tiere haben ihm zufolge sogar weniger Probleme mit dem Sozialen! Das | |
| war auch schon dem „ersten Naturwissenschaftler“ Aristoteles (vor 2.300 | |
| Jahren) aufgefallen. Als Beweis hatte er unter anderem die vielen | |
| „Reisegruppen“ erwähnt, in denen man sich wegen jeder Kleinigkeit streitet. | |
| 2008 vermeldeten alle deutschen Intelligenzblätter unisono: Schimpansen | |
| verhalten sich altruistisch! Was war da geschehen – oder Neues entdeckt | |
| worden? Seit über 100 Jahren beweisen die Naturforscher nun schon, dass bei | |
| den Mikroorganismen ebenso wie bei den Pflanzen, Tieren und Pilzen die | |
| Kooperation und Assoziation, die Gemeinschafts- und Koloniebildung eine | |
| überaus wichtige Rolle spielen. | |
| ## Einzeller tun sich zusammen | |
| Als der russische Anarchist Peter Kropotkin 1900 seine Sibirienforschungen | |
| über „Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ | |
| veröffentlichte, worin er bereits vorhersagte, dass man das Prinzip der | |
| „Mutual Aid“ mit fortschreitender Mikrokopietechnik sogar unter den | |
| Mikroorganismen finden werde, formulierten die russischen Botaniker – unter | |
| anderem Mereschkowsky, Famintsyn und Kozo-Polansky – bereits eine erste | |
| „Symbiosetheorie“. Danach bestehen Chlorophyll produzierende Pflanzenzellen | |
| aus mehreren Einzellern, die sich zusammengetan haben, Flechten sind nichts | |
| anderes als eine Kooperation aus Algen und Pilzen und so weiter. Inzwischen | |
| gehört die daraus hervorgegangene „serielle Endosymbiontentheorie“ der | |
| US-Zellforscherin Lynn Margulis längst zum Lehrkanon der Biologie – und | |
| fast täglich wird irgendwo eine weitere Symbiose in der „freien Natur“ | |
| entdeckt. | |
| Bereits in den siebziger Jahren war das Wissenschaftsmagazin Spektrum voll | |
| von solchen „Symbiose“-Entdeckungen. Diese Befunde überraschten höchstens | |
| die darwinistischen Biologen, denn Darwins „bittere Ironie“, wie Marx das | |
| nannte, hatte ja gerade darin bestanden, dass er die üblen Verkehrsformen | |
| der englischen Geschäftswelt auf die gesamte Natur übertrug. | |
| Die von Darwin ausgehende genetische Forschung bewies dann aber – quasi | |
| gegen ihren Willen – immer zwingender das Gegenteil: Ohne Sozialismus | |
| läuft schier gar nichts unter den Lebewesen – und das weit über die | |
| Artgrenzen hinaus. Also keine evolutionäre Entwicklung ohne Solidarität und | |
| Kollektivität. Nicht wenige Forscher halten inzwischen auch die | |
| Körperorgane für Reste einer Symbiose zwischen einst freien Einzellern, | |
| wobei der eine sich vom anderen „vereinnahmen“ oder „verstaatlichen“ | |
| beziehungsweise „versklaven“ ließ und dabei seine Autonomie verlor – | |
| zugunsten einer größeren Nahrungssicherheit. | |
| Wollten die Intelligenzblätter da 2008 synchron gegensteuern mit ihrem | |
| Affen-Altruismus als schwachem Begriff? Fast in jedem Artikel wurde nämlich | |
| von der Schimpansenforschung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre | |
| Anthropologie (EVA) im Leipziger Zoo auf Beispiele brav-bürgerschaftlichen | |
| Engagements in unserem Alltag geschlossen – und umgekehrt. | |
| ## Schimpansen rotten sich gegen die da oben zusammen | |
| Dem linksliberalen Feuilleton ist das langsame Fading-Away „Des sozialen | |
| Lebens der Menschen“ im Neoliberalismus mittlerweile unheimlich geworden, | |
| dachte ich zunächst. Aber so selbstlos sind die Schimpansen dann doch | |
| nicht! Wie auch die Menschen scheinen sie sogar eine tiefgehende Abneigung | |
| gegenüber dem Altruismus – als starkem Begriff – zu haben und rotten sich | |
| insofern auch wohl nicht leicht gegen die oder den da oben zusammen. Aber | |
| bei einfachen kleinen „Erste Hilfe“-Aktionen kooperieren sie doch schon | |
| mal. | |
| Diese allseits beruhigende „Meldung“ aus dem mit Schimpansen forschenden | |
| Leipziger „Thinktank“ der Verhaltensforscher wäre nie in so viele | |
| gleichlautende Feuilletons gelangt, wenn sie nicht zuvor das US-Magazin | |
| Sciene veröffentlicht hätte. Die Leipziger hatten es damit geschafft, bis | |
| in das renommierteste Wissenschaftsorgan der Welt zu kommen! Das war die | |
| Botschaft, der Tenor vielleicht von ganz Leipzig, dessen | |
| naturwissenschaftliche Abteilung neuerdings als „Bio-City“ firmiert. | |
| Gleichzeitig drängt die Max-Planck-Gesellschaft in toto ihre Mitarbeiter, | |
| immer mehr auf Amerikanisch zu veröffentlichen. | |
| Diesem angewandten Sozialdarwinismus gegenüber fiel es keinem einzigen | |
| Feuilletonisten ein, den wiederentdeckten „Leipziger Altruismus“ | |
| beispielsweise mit dem berühmten Jerusalemer Ornithologen Amoz Zahavi als | |
| „Handicap“ abzutun. Dessen Überlegungen anhand von Beobachtungen an wilden | |
| Vögeln (und nicht an zahmen, dazu noch verwaisten Schimpansen) | |
| veröffentlichte bereits die von der Neocon Birgit Breuel geleitete Expo | |
| 2000 in Hannover – im Kontext eines Katalogs über „Hyperorganismen“. | |
| Zahavis Text fungierte darin als eine Art radikale Gegenposition zu einem | |
| Beitrag von Margulis, die ihr Forschungsmodell „Symbiose“ über fast alles | |
| Lebendige stülpte – wobei sie folgerichtig auch laufend neue Individuen | |
| unterschiedlicher Arten entdeckte, die sich zusammentaten. | |
| Zahavi, der sich insbesondere mit der „Hilfe beim Nestbau und beim Füttern | |
| von Lärmdrosseln“ beschäftigte sowie auch mit dem „angeblichen Altruismus | |
| von Schleimpilzen“, hat dabei zwar nichts Neues entdeckt, aber er | |
| interpretiert diese fast klassischen Fälle von Kooperation nun einfach in | |
| „ein selbstsüchtiges Verhalten“ um, das er dann mit Darwin’scher | |
| Volkswirtschaftslehre-Logik durchdekliniert: „Die Individuen wetteifern | |
| untereinander darum, in die Gruppeninteressen zu investieren … Ranghöhere | |
| halten rangniedere Tiere oft davon ab, der Gruppe zu helfen.“ | |
| Es ist von „Werbung“, „Qualität des Investors“ und „Motivationen“ … | |
| Zuletzt führt Zahavi das Helfenwollen quasi mikronietzscheanisch auf ein | |
| egoistisches Gen zurück, indem die „individuelle Selektion“ eben | |
| „Einmischung und Wettstreit um Gelegenheiten zum Helfen“ begünstige – der | |
| „Selektionsmechanismus“ aber ansonsten erhalten bleibe. Na, dann ist ja | |
| alles in (bürgerlicher) Ordnung. Furchtbar! | |
| 8 May 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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