# taz.de -- Die Wahrheit: An den Gestaden des Gagasees | |
> Von diversen Taucherinnen und Tauchern, von Faschisten und von blühenden | |
> Zitronen: Eine Reiseminiatur. | |
Bild: Mutti Lappentaucher samt Stücker acht Küken im Gaga-Gardasee | |
Es wimmelt von menschlichen wie tierischen Vögeln aller Art am See der | |
Deutschen, dem Gagasee, auch Gardasee genannt. Neben sportlichen Tauchern | |
schwimmen dort jede Menge Haubentaucher, Zwergtaucher und Sterntaucher, | |
allesamt zur Familie der Lappentaucher gehörend. Rings um den Gagasee | |
tummeln sich en masse reiche Gagadeutsche. | |
Kürzlich sammelten sie Geld, um ein U-Boot für die dortige | |
Wasserschutzpolizei zu kaufen, nachdem Jetsetter mit ihrem Rennboot die | |
Jolle einer jungen Deutschen gerammt und versenkt hatten. Neben vielen | |
Tauchern gibt es im, am und über dem See aber auch noch Schwäne, Möwen, | |
Blesshühner, die ebenso gerne tauchen. Und hellbraune Enten – vielleicht | |
Rostgänse, wir vergaßen unsere Entenbestimmungs-App. | |
Das alles spielte sich für uns ab vor dem berühmten Seeort Salò, auf | |
Französisch Salaud gleich Schweinehund. Die Kleinstadt bildete bis 1797 mit | |
anderen Seeanliegern die Riviera di Salò unter Führung Venedigs, und war | |
dann noch einmal ab Ende 1943 eine Republik, die der abgesetzte | |
Faschistenführer Benito Mussolini 120 Tage lang als Pseudoregierungssitz | |
hielt, geschützt von der deutschen Wehrmacht. Am Ende gelang es den | |
Partisanen aber doch, Mussolini und seine Geliebte Clara Petacci zu | |
erschießen. Ihre Leichen hängten sie im April 1945 an den Füßen in Mailand | |
auf. | |
In Salò ist Mussolini noch immer Ehrenbürger. Der glühenden Faschistin | |
Petacci widmete man 1984 den Film „Claretta'“ mit Claudia Cardinale. Über | |
Mussolinis „Marionettenstaat“ hatte Pier Paolo Pasolini 1975 den Film „Sa… | |
o le 120 giornate di Sodoma“ gedreht, der auf dem Buch „Die 120 Tage von | |
Sodom“ des Marquis de Sade basierte. | |
Es war Pasolinis letzter Film, bevor er ermordet wurde. Man scheint den | |
Film in Salò zu ignorieren, denn unser Reiseführer erwähnt nur, dass | |
Pasolini Gast im schönsten Haus am Platze war, der Villa Simonini (heute | |
Laurin), einem Viersternehotel. | |
Weitaus mehr erfährt man im Reiseführer über den riesigen Palast des | |
zweiten berühmten italienischen Faschisten – Gabriele D’Annunzio. Dort | |
bestaunen jährlich über 200.000 Gagasee-Touristen seine Luxuslimousine, ein | |
Flugzeug, ein Torpedoboot, ein U-Boot, ein Artilleriegeschütz und den | |
Kreuzer „Puglia“. Zu diesem „monumentalen Komplex“ gehört ferner ein | |
Amphitheater, ein Turm und ein kleiner Hafen. Auf dem höchsten Punkt der | |
Anlage steht ein Mausoleum, in dem der „symbolistische Dichter“ und | |
„Ideengeber des italienischen Faschismus“ liegt. | |
An den Dichter Goethe, der ebenfalls vom Gagasee fasziniert war, erinnert | |
in Wassernähe eine aufgesockelte Büste. Man hielt ihn zunächst für einen | |
österreichischen Spion. Sein berühmtestes Gedicht „Kennst du das Land, wo | |
die Zitronen blühn?“ entstand am Ostufer des Sees. | |
Während einer Fahrt mit dem Ruderboot, so beschreibt es Goethe, bemerkte er | |
„Reihen von weißen viereckigen Pfeilern, die in einer gewissen Entfernung | |
voneinander stehen. Über diese Pfeiler sind starke Stangen gelegt, um im | |
Winter die dazwischen gepflanzten Zitronenbäume zu decken“, also um sie vor | |
Frost zu schützen. | |
Ebenfalls am Ostufer des Gagasees hat der Schriftsteller Bodo Kirchhoff | |
sein „Glück“ gefunden – mit einer Villa, in der er Schreibkurse | |
veranstaltet. Auf seiner Internetseite heißt es salbadernd: „Ich liebe den | |
Beginn der südlichen Weite … eine mit fließender Grenze zwischen Hartem und | |
Weichem, zwischen Wachheit und Schlaf …, die von jeher für den Geist ihre | |
Anziehung hatte, ob für Dante, den politisch bedrängten, oder Goethe, den | |
Italiensucher, ob für D.H. Lawrence in privater Bedrängnis oder D’Annunzio | |
in seiner Weltflucht.“ Weltflucht? Da tut er dem braven Faschisten aber | |
Unrecht! | |
## André Heller im Zaren-Zahnarzt-Garten | |
Noch einen deutschsprachigen Künstler zog es an den Gagasee auf die | |
gegenüberliegende Westseite, den Österreicher André Heller. Er erwarb dort | |
einen botanischen Garten, den der Zaren-Zahnarzt Arturo Hruska anlegte. | |
Heller nennt seine Immobilie „Paradiesgarten“, er bestückte ihn mit | |
moderner Kunst, laut der Gardasee-Zeitung aber auch mit „Elementen, die auf | |
unterschiedliche Traditionen und Spiritualität zurückführen“. Aha. | |
Ebenfalls am Westufer, mit Blick über den Gagasee, hat der „Goethe-“ und | |
„Putin-Versteher“ Mathias Broeckers in einem aufgelassenen Frauenkloster | |
sein Laptop aufgeklappt. Nebenbei senkt er noch Rosen und Klematis in den | |
harten Boden, den einst der Rhätische Gletscher presste und schliff. | |
## Bennie, das Seemonster | |
Nach den Hommes de lettres am Gagasee nun zu den Fischen im dortigen | |
Gewässer: Agone, Ukelei, Quappe, Döbel und Lavaret. Letzterer ist der meist | |
geschätzte Fisch im Wasser, weil er nur wenige Gräten hat. Und dann | |
schwimmt da im Gagasee auch noch der Benacosaurus Lucustris, kurz „Bennie“ | |
genannt: ein Seemonster. | |
Über ihn heißt es auf gardasee.de: „Geht man von den Beschreibungen durch | |
gelegentliche Zeugen aus, scheint es, dass Bennie 7 bis 8 Meter lang ist | |
und eine schlangenartige Form hat. Er hat einen großen Bauch und vier große | |
Flossen, die ihn zu einem ausgezeichneten Schwimmer machen. Seine Haut ist | |
glänzend, ohne Schuppen. Und er ist absolut harmlos und war noch nie eine | |
Bedrohung für den Menschen. Der beste Weg, Bennie kennenzulernen, ist eine | |
Bootsfahrt (26 Euro p.P.).“ | |
Weil wir schon mal vergeblich das Ungeheuer von Loch Ness per Boot für 21 | |
Pfund pro Person gesucht hatten, ließen wir dieses Gagasee-Erlebnis aus. | |
19 Jun 2023 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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