| # taz.de -- Die Wahrheit: Techtelmechtel in Karlsbad | |
| > Egal welches ehemals mondäne böhmische Bad man heute besucht, Goethe war | |
| > schon da. | |
| Bild: Goethe war gut, Mann, der konnte reisen! | |
| Eigentlich wollten wir zur Butterberg-Konferenz, die im Schloss von Děčín | |
| in Böhmen stattfand, aber dann bekamen wir auf dem Weinfest im Schlosshof | |
| einen Werbeprospekt über die Bäder-Touren von Goethe. Der Geheimrat hielt | |
| sich mit Vorliebe im edlen „Bäderviereck“ Karlsbad, Marienbad, Franzensbad | |
| und Teplitz auf, insgesamt drei Jahre, und war immer hinter Frauen her. | |
| Damals nahm man noch an, dass der phlogistonhaltige Atem junger Mädchen die | |
| alten weißen Männer verjüngt. | |
| Goethe war 70, als er sich in die 19-jährige Ulrike von Levetzow verliebte: | |
| „Ich hatte mich auf sechs Wochen einem hübschen Kinde in Dienst gegeben“, | |
| schrieb er in seinen „Marienbader Elegien“, nachdem das Kind ihm laut | |
| unseres Reiseführers „Tschechien“ (2022) eine „Absage“ erteilt hatte. | |
| Ansonsten besuchte der „Schürzenjäger“ in Marienbad häufig den | |
| Kreuzquellenpavillon. Hier wurden die Kurgäste von sogenannten | |
| „Quellmädchen in weißen Schürzen“ bedient: „Sie hatten das Privileg (!… | |
| das aus der Quelle sprudelnde Wasser in Trinkgefäße abzufüllen und es ihnen | |
| zu reichen“, heißt es im „Guide ‚Marienbad‘“. | |
| Sinnigerweise waren die dortigen Heilquellen im frühen 18. Jahrhundert zur | |
| Gesundung der Armen von Medizinern und Mönchen erschlossen worden. | |
| Spätestens zu Goethes Zeiten war das Kurbad aber recht mondän. Heute kommen | |
| eher wieder die Ärmeren: Rentnerehepaare, Witwen, Witwer und Kurzurlauber. | |
| Es gibt ein halbes Dutzend Quellen und einen riesigen Kurpark mit einer | |
| „Goethe-Route“ und einem „Geologischen Park“, den er quasi initiiert ha… | |
| denn er sammelte Mineralien, „im Museum befindet sich eine Ausstellung, die | |
| an Goethes hiesige Aufenthalte erinnert“. Zudem wurde der Platz davor nach | |
| ihm benannt. Das hat jedoch nicht verhindert, dass viele Hotels und | |
| Restaurants verfallen, auf einigen Dächern wachsen schon Birken. Statt | |
| „Galanterie- und Luxuswarengeschäfte“ gibt es immer mehr Nagelstudios und | |
| Läden mit Billigklamotten. | |
| ## Letztes Jahr in Marienbad | |
| Im Westen verödete das „Kureigenbeteiligungsgesetz“ die Kurbäder, hier hat | |
| es das Ende des Sozialismus bewirkt: Seither muss man sich einen | |
| Kuraufenthalt in den böhmischen Bädern leisten können. Zwar gibt es immer | |
| mehr „Anwendungen“ für Kurgäste, die heil werden oder bleiben wollen, die | |
| Kurärzte bieten dafür jeden neuen „Trend“ an, wie der „Guide ‚Marienb… | |
| betont, aber die heutigen „Kurlauber“ wollen eher lustig unterhalten | |
| werden. | |
| Chopin hatte in Marienbad mehr Glück als Goethe. Es gelang ihm, Maria | |
| Wodzińska zu überreden, ihn in Dresden zu ehelichen, wo er sich zuvor in | |
| die 16-Jährige verliebt hatte. Aus der Heirat wurde dann aber doch nichts. | |
| Goethe besuchte auch das aus Konkurrenzgründen nahe Marienbad errichtete | |
| Bad Königswart (Kynzvart), das heute ein Kindersanatorium ist. Ferner den | |
| kleinen Burgort Loket, den er als „landschaftliches Kunstwerk“ bezeichnete. | |
| Es gibt dort ein Hotel „Goethe“ und ein Restaurant „Faust“. Es gibt in | |
| allen Orten im und am „Bäderviereck“ Goethe-Tafeln, -Büsten, -Wege oder | |
| Denkmäler. Auch in der Kleinstadt Žatec, wo Goethe im Hotel zum Goldenen | |
| Löwen logierte. | |
| ## 33 Mal | |
| Wir taten es ihm nach. Der Weintrinker besichtigte in Žatec den Hopfenanbau | |
| und seine Verarbeitung. Wir besuchten das Biermuseum in diesem laut dem | |
| Goethe-Tourprospekt „sympathischen Ort“. Die Wirtin des Restaurants Kapitan | |
| im Zentrum lieh uns ein Buch mit Fotos von Žatec ab 1900. Damals war dort | |
| noch richtig was los, heute stehen viele Läden und Hotels leer. Auch der | |
| Goldene Löwe hatte schon bessere Tage gesehen. Zwar haben die neuen | |
| Besitzer die großen Räume restauriert und die Zimmer modernisiert, aber das | |
| Café und Restaurant wurde an die Drogeriekette dm vermietet und die | |
| Kellerbar, Plan B genannt, wieder geschlossen. In Žatec wie in Loket | |
| kreisten im Luftraum über dem Marktplatz zig Schwalben. Um 20 Uhr | |
| verschwanden sie wieder. Dafür kamen die Fledermäuse, es waren jedoch nicht | |
| ganz so viele. | |
| Goethe besuchte mehrmals das damals von Musikern bevorzugte Kurbad Teplitz | |
| (Teplice), dort lernte er Beethoven kennen. 50 Jahre nach Goethes Tod 1832 | |
| rückte der Braunkohle-Tagebau dem Ort nahe. Im Sozialismus wurde dann aus | |
| dem im „Zuckerbäckerstil“ errichteten Heilbad vollends eine Industriestadt. | |
| Sie will nun erneut das vierte der „drei großen böhmischen Bäder“ werden, | |
| aber noch ist es nicht so weit, meint unser Reiseführer. Dennoch wird | |
| Teplice bereits von reichen Arabern besucht. Seltsam. Wir wollten dort | |
| nicht übernachten. | |
| Das gegenteilige Bild bot Franzensbad: riesige Hotel- und Restaurant-Kästen | |
| im schönbrunngelben „Belle Epoque“-Stil, dazu mehrere Heilquellen und ein | |
| gepflegter Kurpark, wo gerade Laub zusammengeharkt wurde. „Goethe hat die | |
| Entwicklung Franzensbads vom Dorf zur Kurstadt miterlebt“, heißt es auf | |
| Wikipedia. Er war dort 33 Mal. Daran erinnert auch das dortige | |
| Goethe-Denkmal. Heute werden alle nur möglichen Kuren angeboten – aber kaum | |
| einer kommt. Wir sahen nur einige Rentner. Dazu logierten die wenigen | |
| Bus-Reisegruppen aus Deutschland in Billighotels außerhalb des Kurviertels. | |
| Etliche Nobelhotels und -restaurants mussten schließen. Auf der | |
| palmengesäumten Promenade langweilte sich ein Dutzend Kurzurlauber. | |
| ## Karlsbad und Rom | |
| Anders in Karlsbad, wo es auf den Promenaden von Touristen wimmelte und | |
| auch noch ein gewisser Luxus in den Läden angeboten wird. Aber Karlsbad ist | |
| von allen böhmischen Kurbädern am meisten von den Zeitläuften gebeutelt, | |
| denn der Ort wurde bis zum Ukrainekrieg von Russen dominiert, die sich | |
| kostspielig amüsierten und Immobilien erwarben. Sie sind nun alle weg. | |
| Es gab sogar eine Fluglinie Moskau–Karlsbad. Der russische Konzern Saiin | |
| ließ 2001 sein Sanatorium Imperial, das einstige „Refugium der Hochfinanz“, | |
| modernisieren. Das beim Adel beliebte Grand Hotel Pupp vor dem Goetheweg | |
| erwarb die Investmentgruppe Unicapital. Unter den vielen Thai-Massagesalons | |
| fiel uns die Royal Thai-Massage auf. | |
| Goethe hatte Humboldt 1812 gestanden: „Karlsbad und Rom sind die einzigen | |
| Orte, wo ich leben möchte.“ Unser Reiseführer schreibt: „Angeblich hatte … | |
| dort ein heimliches Techtelmechtel mit der 23-jährigen Maria Ludovika | |
| Beatrix, der Kaiserin von Österreich. Auch über eine Liebelei mit der | |
| 20-jährigen Marie Louise, der Gattin Napoleons, wird spekuliert.“ Der | |
| Dichter hielt sich 13 Mal in Karlsbad auf, insgesamt fast zwei Jahre – und | |
| lernte Tschechisch, um auch die jungen Kellnerinnen zu charmieren. | |
| 4 Dec 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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