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# taz.de -- Biosphäre Potsdam: Leben im Dschungel
> Die Biosphäre Potsdam will ein „Dschungelspaß für die ganze Familie“ s…
> und ist auch Heimat für ukrainische Geflüchtete. Ein Ortsbesuch.
Bild: Nicht gerade exotisch, fühlen sich aber trotzdem wohl im Dschungel: Enten
Potsdam taz | Die Potsdamer Biosphäre, damit ist nicht die Gesamtheit aller
Lebewesen gemeint, die das Territorium der brandenburgischen
Landeshauptstadt besiedeln, sondern eine zur Bundesgartenschau 2001
errichtete „Biosystemhalle“, wie sie seit einigen Jahren auch in vielen
Zoos gebaut werden – immer größere, was durch neue Tragsysteme ermöglicht
wird.
In diesen Tropenhallen herrschen bis zu 26 Grad und 70 Prozent
Luftfeuchtigkeit, was die darin gepflanzte Flora üppig gedeihen lässt. Und
das war auch der Grund, warum wir in die Biosphäre Potsdam fuhren: Wir
wollten uns ansehen, wie die unzufriedenen Topfpflanzenarten im
Panoramaraum der taz aussehen könnten, wenn sie quasi frei sind und fast
optimale Bedingungen vorfinden.
Im Werbeprospekt der Biosphäre ist von „20.000 prächtigen Pflanzen, zum
Teil bis zu 14 Meter hoch“ die Rede. Außerdem interessierten uns natürlich
auch die „rund 140 verschiedenen Tierarten“, die es dort geben soll.
Die Biosphäre Potsdam, die einen „Dschungelspaß für die ganze Familie
verspricht“, ist zwar nicht so überwältigend wie die riesigen Tropenhallen
im Leipziger und Zürcher Zoo, aber dafür von Berlin aus mit S- und
Straßenbahn zu erreichen.
Gleich hinter dem Eingang stießen wir auf ein kleines Gehege mit
Meerschweinchen und einen eingetopften Gummibaum. Das war nicht besonders
aufregend, aber gleich dahinter ragte die „grüne Hölle“ auf, zudem donner…
es (jede Stunde zieht auf Knopfdruck ein Tropengewitter auf). Und als wir
über einen Holzsteg gingen, stießen wir auf einen idyllischen See, in dem
zwei Enten-Gruppen schwammen.
## Kinder helfen mit Hinweisen
Auf dem Weg dahin kamen wir an kleinen – zu kleinen – gläsernen Terrarien
vorbei. Zwischen dem dichten Pflanzenbesatz konnte man die Tiere darin oft
nicht sehen. Aber die vielen Kinder unter den Besuchern halfen den
Erwachsenen mit Hinweisen: da hängt eine Gespenstschrecke und dort sitzt
ein bunter Frosch und hier eine Eidechse!
Daneben gab es ein Terrarium mit Skorpionen, in dem ein schwarzer Behälter
stand, auf dem „Skorpion-Babys“ stand. „Oh, wie süß!“, entfuhr es ein…
Besucherin. Auf der unteren Etage befanden sich etliche – ebenfalls zu
kleine – Aquarien mit Korallenfischen. Zwischen der beeindruckenden Fauna
in der großen Halle sah man ab und zu kleine tropische Vögel herumfliegen.
Sie hatten dort vielleicht nicht mehr das Gefühl, sich in Gefangenschaft zu
befinden.
Bei den Gleitfliegern (eichhörnchengroße Säugetiere, die von Baum zu Baum
segeln können) und den Flughunden (neben den Wickelbären die einzigen nicht
parasitär lebenden Säugetiere) waren wir uns nicht sicher, ob wir sie, wie
so oft in Tropenhallen, zwischen den vielen Pflanzen mit teils mannsgroßen
Blättern nicht entdecken konnten (es sind zudem Nachttiere) oder ob es sie
bislang nur auf einigen Stelltafeln gibt. Egal, wir hielten angestrengt
Ausschau nach ihnen.
In die Haupthalle hat man eine Glashütte gebaut, in der große und kleine
Schmetterlinge, meist aus Südamerika, herumflatterten und deren Raupen sich
durch Blätter fraßen, an denen sie sich anschließend als Puppen hängten.
Ausführlich und immer wieder beantworteten zwei Pflegerinnen die Fragen von
Kindern und Müttern. Der größte Schmetterling war ein Morphofalter, den man
gelegentlich in brasilianischen Großstädten noch sieht. Er ist nicht
selten, seine Art wird jedoch von gewissenlosen Schmetterlingssammlern
bedroht, die ihn für ihre Sammelkästen aufspießen. Außerdem macht man
vielerorts aus seinen blauen Flügeln christliche Motivbilder zum Anbeten.
Im Schmetterlingshaus war eine Wand mit eingetopften Orchideen behängt, was
uns verwunderte, da die Blüten dieser Pflanzen zwar schön aussehen, aber
keinen Nektar enthalten, man nennt sie deswegen auch Täuschblumen. Sie
locken die Insekten, die sie bestäuben sollen, nur mit ihrem Aussehen und
ihrem Geruch an. Einige so perfekt, dass manche männlichen Insekten sie mit
einem Weibchen verwechseln und zu begatten versuchen.
## Wohltemperierter Erlebnisraum
Der Bau des ganzen wohltemperierten Erlebnisraums Biosphäre kostete 29
Millionen Euro und wird jährlich mit knapp zwei Millionen Euro aus der
Stadtkasse bezuschusst. Er ist kommunales Eigentum, seitdem der erste
Betreiber 2007 Insolvenz anmelden musste, dann eine Krokodilfarm im
Gespräch war und schließlich sogar die Schließung erwogen wurde.
Und es wird noch immer daran herumgebaut, zudem will man im Zusammenschluss
mit dem Volkspark Potsdam, in dem sie steht, ein „nachhaltiges
Nutzungskonzept“ erarbeiten.
„Nachhaltig“ muss ja heute alles sein, aber solch eine hochtechnisch
betriebene Biosystemhalle ist natürlich ein luxuriöses Prestigeobjekt, das
sich wohl nur dadurch rechtfertigen lässt, dass es wenigstens an einer
Stelle in Brandenburg eine „blühende Landschaft“ bildet. Eine ähnliche gi…
es noch in Briesen: die „Tropical Islands“ in einer aufgegebenen
Luftschiffhalle. Dort blühen zwischen den Palmen die Leidenschaften.
In der Biosphäre Potsdam bringen neben dem Eintrittsgeld Veranstaltungen
bis hin zu Hochzeiten (das Potsdamer Standesamt hat eine Außenstelle in der
Biosphäre) und Konferenzen im Restaurant Urwaldblick weitere Einnahmen.
Darüber hinaus wird es neben dem Unterhaltungsangebot noch ein „Science
Center“ geben. Ab 2027 sollen dann im besten Fall für das operative
Geschäft keine städtischen Zuschüsse mehr benötigt werden, schreibt das
Internetmagazin [1][der-potsdamer.de], das dazu den seit 2022 amtierenden
Geschäftsführer befragte, der die Tropenhalle noch erweitern will und zudem
erreichen möchte, dass die Biosphäre insgesamt als „Stadtteilzentrum von
den in der näheren Umgebung Wohnenden“ wahrgenommen wird.
## Alles sauber und ordentlich
Dabei handelt es sich um ein neues Stadtviertel: das Bornstedter Feld, das
vor der Wende militärisch genutzt wurde. Nun wohnen dort in neuen Häusern
rund 15.000 Potsdamer. Es sieht alles sauber und ordentlich aus – etwas zu
ordentlich, wie wir fanden.
Im März 2022 wurde die Orangerie der „Biosphäre“ auf die Schnelle zu einer
Unterkunft für 95 ukrainische Flüchtlinge umfunktioniert. Und die
Geschäftsführung beschloss, sie zu unterstützen, indem sie allen, die
wollten, die Möglichkeit gaben, in der Biosphäre zu arbeiten. Nach einem
Praktikum sollten sie einen festen und unbefristeten Arbeitsvertrag
erhalten.
Aber es kamen weitere Flüchtlinge nach Potsdam. Im Februar 2023 wurde
erneut die Orangerie für sie als Notunterkunft bereitgestellt. Die Stadt
stellte laut Tagesspiegel für Unterbringung, Verpflegung und weiteres
170.000 Euro im Monat bereit. Die „Biosphäre“ ist damit auch eine
„Sozialsphäre“. Wie man überhaupt langsam dahin kommt, die Biologie in
Soziologie aufzulösen, weil Pflanzen und Tiere den Menschen doch mehr
ähneln, als man lange Zeit dachte.
2 Nov 2023
## LINKS
[1] https://der-potsdamer.de/biosphaere-potsdam-wird-neu-gedacht/
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Potsdam
Dschungel
Notunterkunft
Die Wahrheit
Potsdam
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Potsdam
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