Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Geflüchtete im Tropenhaus: Zuflucht unter Palmen
> Ukrainer*innen finden in der Biosphäre Potsdam vorübergehend
> Unterkunft. Es ist nicht das erste Mal, dass Geflüchtete dort ein
> Quartier haben.
Bild: Vorübergehende Unterkunft in tropischer Umgebung
Potsdam taz | Es ist Herbst 2016, als in Brandenburg das erste
Freitagsgebet unter Palmen stattfindet.
Die Potsdamer Al-Farouk-Gemeinde hat Platzprobleme, seit dem Zustrom
muslimischer Flüchtlinge kann sie nicht mehr alle Gläubigen unterbringen.
Mehr als 200 Betende wichen zwischenzeitlich auf den Gehweg vor der Moschee
aus, was für Spannungen mit den Anwohner*innen sorgte, bei denen auch
die AfD mitmischte. Um die Wogen wieder zu glätten, musste ein Provisorium
her. So wurde die Orangerie der Biosphäre Potsdam zum Gebetsraum, an
manchen Freitagen kamen hier über 500 Menschen zusammen. Jetzt, sechs Jahre
später, bietet die Tropenhalle erneut Obdach.
## Einstiger Prestigebau
Die Biosphäre ist ein zeitgenössischer Glasbau mit Betondach und steht
zwischen zwei Hügeln auf einem ehemaligen Militärgelände am Rande des
Volksparks im Potsdamer Norden. Das Tropenhaus war einst der Prestigebau
der Bundesgartenschau 2001, geriet dann aber als Millionengrab in Verruf:
Der Betrieb läuft seit Jahren defizitär, mindestens 1,7 Millionen Euro
müssen jährlich aus dem Stadthaushalt zugeschossen werden. Derweil häufen
sich die Vorschläge, was mit dem Gebäude passieren soll: Mal soll das
Tropenhaus zu einer Mehrzweckhalle umfunktioniert werden, mal eine
Privatschule einziehen, [1][die Potsdamer Grünen forderten den Abriss].
## Nicht nur ein Ausflugsziel
Nichts davon ist bislang passiert. Die Biosphäre steht noch immer und
erweist sich erneut als nützlich: Jetzt, da Tausende Menschen aus den
ukrainischen Kriegsgebieten [2][nach Deutschland fliehen] und die Stadt
Potsdam dringend Platz braucht, wird die Tropenhalle zur Notunterkunft.
Wer nicht weiß, dass in der Biosphäre Geflüchtete unterkommen, der würde es
nicht bemerken. Der Betrieb läuft weiterhin regulär, vor dem Haupteingang
wartet eine Schulklasse. Die Kinder wollen sich den Wasserfall anschauen
und die Weißbüscheläffchen, außerdem gibt es dort seit Kurzem die EU-weit
größte Orchideensammlung zu sehen. Wenige Meter durch den winterlich
tristen Volkspark weiter, an der Rückseite der Biosphäre, stehen weiße
Zelte und Container. Ein Reisebus fährt vor, Ehrenamtliche in gelben
Warnwesten gehen durch die Glastür der Orangerie ein und aus. Es herrscht
kein Chaos, sondern eine gespenstische Stille, von der auch die
[3][Helfer*innen am nahen Berliner Hauptbahnhof] berichten, an dem jeden
Tag Tausende Geflüchtete aus der Ukraine ankommen.
## Feldbetten und Palmen
Die Orangerie ist ein Veranstaltungsraum und von dem normalen Betrieb der
Biosphäre getrennt. Im Eingangsbereich sitzen ukrainische Familien, neben
einer mit Tropenpflanzen bewucherten Wand warten sie auf ihre
Registrierung. Überall stehen hochgewachsene Palmen in Holzfässern, die
Glaswände der Orangerie sind mit blickdichten Gardinen verhangen. In der
Halle ist Platz für 150 Feldbetten, 39 sind an diesem Donnerstag belegt.
Sie stehen in kleinen Abteilen zusammen, die dünne Plastikwände voneinander
trennen. Es gibt eine Spielecke für Kinder und eine Spendenausgabe,
sanitäre Anlagen und warme Mahlzeiten.
Für eine Dauerbelegung ist das Tropenhaus allerdings nicht geeignet. Die
Potsdamer Sozialbeigeordnete Brigitte Meier spricht von einer
„provisorischen Weiterverteilungsstelle“, andere Unterkünfte sollen
priorisiert vergeben werden. Weitere 630 Betten stehen in Potsdam zur
Verfügung, in einem Jugendzentrum, in Hotels und Pensionen. Doch die
meisten Plätze sind bereits belegt: Bislang sind über 1.500 Menschen
angekommen, weitere werden folgen.
Als Notunterkunft soll daher bald auch die Metropolishalle am Filmpark
Babelsberg dienen, die Verhandlungen mit dem Land dazu laufen.
Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Orten.
19 Mar 2022
## LINKS
[1] /Petition-der-Woche/!5418486
[2] /Fluechtlinge-aus-der-Ukraine/!5837099
[3] /Gefluechtete-aus-der-Ukraine-in-Berlin/!5838541
## AUTOREN
Johanna Jürgens
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Stadtland
Potsdam
Geflüchtete
Potsdam
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Potsdam
Potsdam
## ARTIKEL ZUM THEMA
Biosphäre Potsdam: Leben im Dschungel
Die Biosphäre Potsdam will ein „Dschungelspaß für die ganze Familie“ sein
und ist auch Heimat für ukrainische Geflüchtete. Ein Ortsbesuch.
Flucht aus der Ukraine: Feldbetten als Notlösung
Fast 200.000 Flüchtlinge aus der Ukraine hat Deutschland bisher erfasst.
Die Registrierung läuft schleppend, Finanzfragen sind ungeklärt.
Ukraine-Flüchtlinge in Brandenburg: Am Geld soll es nicht scheitern
Regierungs- und Oppositionspolitiker in Brandenburg sind weniger von
Willkommensklassen überzeugt als in Berlin Regierungschefin Franziska
Giffey.
Neues Viertel für Potsdam: Hindernisse am Stadtrand
Potsdam will ein neues klimafreundliches Viertel auf einer alten Kaserne in
Krampnitz errichten. Doch es zeigen sich immer mehr Probleme.
Petition der Woche: Naturschutz unter einem Dach
Die Biosphäre in Potsdam ist warm, feucht, schön – und ein Verlustgeschäft.
Aber sollte sie deswegen gleich verschwinden?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.