# taz.de -- Die Wahrheit: Halb Pflanze, halb Tier | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (166): Seegurken sehen | |
> meist aus wie Gurken und profitieren von der Vermüllung der Weltmeere. | |
Bild: Seegurke in der Ägäis | |
Die maritime Flora und Fauna soll fortan besser geschützt werden, die | |
Seegurke gehört quasi beiden an. Die meisten dieser Tiere sehen auch aus | |
wie Gurken. Die Schriftstellerin Benoîte Groult schreibt in „Vom Fischen | |
und von der Liebe“, dass ihr vergreisender Mann sie an eine Seegurke | |
erinnert. In der Tiefsee bestehen 90 Prozent der bodennahen Biomasse aus | |
Seegurken, es sind „Sedimentfresser“. Sie nehmen die organischen | |
Bestandteile vom Meeresboden auf und scheiden die unverdaulichen, | |
mineralischen Teile wieder aus. Der Umweltjournalist George Monbiot meint | |
jedoch in „Verwildert“ (2021), dass die Seegurken die großen Tangwälder an | |
der pazifischen US-Küste fraßen und beinahe vernichteten – weil die | |
Seeotter ihres Pelzes wegen fast ausgerottet wurden. Die Otter fressen | |
nämlich „vor allem Seegurken“. | |
Im Mittelmeer sitzen in den Wasserlungen der „Königsseegurke“ oft | |
„Eingeweidefische“. Sie schwimmen durch die Afteröffnung – das Atemloch … | |
Seegurken – ein und aus und knabbern an den inneren Organen der Gurke. | |
Angeblich sollen sie sich dort auch vermehren. Bei Gefahr können die | |
Seegurken einen Teil ihrer inneren Gedärme zur Ablenkung des Feindes | |
auswerfen. Die dazugehörigen Schleimfäden machen den Angreifer entweder | |
durch ein klebriges Sekret bewegungsunfähig oder sie betäuben ihn durch | |
Gift. Innerhalb kurzer Zeit wachsen die Eingeweide der vorübergehend | |
organlos gewordenen Tiere nach. | |
Seegurken sind getrenntgeschlechtlich, sie können sich jedoch auch durch | |
Teilung vermehren. Das macht sie zu halben Pflanzen, wie schon Aristoteles | |
fand. Man zählt sie mit den Seesternen und Seeigeln zu den Stachelhäutern. | |
Die Zeit schreibt über diese „unterschätzten Tiere: [1][Die Seegurke ist | |
ein Widerspruch in Weich]. Zwar ist sie ein Tier, doch sie heißt wie ein | |
Gemüse, sieht aus wie ein Gemüse und verhält sich auch wie ein Gemüse: | |
nämlich gar nicht.“ | |
In einem weiteren Artikel der Zeit heißt es: „Seegurken muss man einfach | |
mögen. Ob für ihren delikaten Geschmack oder dem der Haut der Tiere | |
nachempfundenen Kunststoff. Dieser soll die Elektroden verbessern, die u. | |
a. ins Gehirn von Epileptikern implantiert werden“. Die Italiener nennen | |
die Seegurke „Cazzo di mare – Meerpenis“. Einige Arten können zwei Meter | |
lang werden, andere nur wenige Millimeter. | |
## Bedroht | |
Der Meeresbiologe Matthew Slater vom Alfred-Wegener-Institut hat sich auf | |
Seegurken spezialisiert. Er bedauert, dass sie im Mittelmeer und im | |
Atlantik bald genauso bedroht sein könnten wie im Indopazifik, wo die | |
zunehmende Zahl chinesischer Feinschmecker zügig zu ihrem Aussterben | |
beiträgt. Sie zahlen 2.700 Euro für ein Kilo getrocknete Seegurken. | |
Inzwischen liefern ihnen schon türkische und portugiesische Fischer | |
Seegurken in großen Mengen. „Chinas Feinschmecker dezimieren Seegurken | |
weltweit“, meldete der Spiegel. Chinas Kranke schwören, dass Seegurken | |
gegen Arthritis, Gelenkschmerzen und Bronchitis helfen. | |
Die Tiere haben keine Ohren, keine Augen und kein Gehirn. „Langsam kriechen | |
sie über den Meeresgrund, so langsam, dass eine Schnecke zu ihren | |
Fressfeinden gehört“, heißt es in der Zeit. Man wird wohl dazu übergehen | |
müssen, sie für den Markt zu züchten. Das Problem dabei ist ihre | |
Vermehrung: „Einzig die Braune Seegurke orientiert sich am Mondzyklus und | |
laicht jeden Monat zur selben Zeit ab“, so die Hamburger Wochenzeitung. | |
„Alle anderen muss man zur Paarung zwingen. Einige lassen sich noch durch | |
die Zugabe von Futter anheizen. Nicht so die Japanische Stachelseegurke. | |
Für sie gilt: Je härter, desto besser. Sie braucht Temperaturschocks, | |
Wasserentzug und eine heftige Dröhnung Salzwasser aus einem Wasserschlauch. | |
Dann heben Männchen und Weibchen ihre vorderen Körperhälften in die Höhe | |
und spritzen ihre Spermien und ihre Eier auf gut Glück in die Wassersäule.“ | |
Gegen die Chinesen hilft ansonsten nur die Vermüllung der Meere: Wenn diese | |
zunimmt, ist das gut für die Seegurken. Ihr Erforscher Ben Wigham vom | |
Southampton Oceanographic Centre fand heraus, dass wenigstens einige Arten, | |
die im Nordatlantik in 4.800 Meter Tiefe leben, sich von Cyanobakterien | |
ernähren: Photosynthese betreibende Mikroben aus dem lichtdurchfluteten | |
Oberflächenwasser, die sich infolge der Vermüllung verbunden mit der | |
Klimaerwärmung rasch vermehren und in die Tiefe sinken. Diese Mikroben | |
enthalten „besonders viel Carotinoid-Farbstoffe, die sich direkt auf die | |
Fruchtbarkeit der Seegurken auswirken“, was laut der FAZ zu einer wahren | |
„Bevölkerungsexplosion“ bei ihnen führt. | |
## Leuchtet bei Berührung | |
Eine der in der Tiefsee lebenden Seegurkenarten, „Enypniastes eximia“, | |
leuchtet auf, wenn etwa ein Fressfeind sie berührt. Das Leuchten wird durch | |
Berührungsreiz ausgelöst, es ist gebunden an Hunderte kleiner Körnchen in | |
der brüchigen und klebrigen, gelatinösen Außenhaut der Tiere. Die Art hat | |
Schwimmhäute an der Vorder- und Rückseite entwickelt, die es ihr erlauben, | |
sich schwimmend fortzubewegen. Dank dieser Fähigkeit können die Tiere sich | |
zu neuen Weidegründen bewegen und Gefahren umgehen. | |
Sie suchen nach bisherigen Beobachtungen den Meeresgrund wohl nur zum | |
Fressen auf und verbringen die übrige Zeit schwimmend. Die Tiere stoßen | |
sich durch plötzliche, synchrone Abwärtsbewegung der vorderen und hinteren | |
Schwimmhäute vom Meeresboden ab, wodurch die Seegurken schräg nach hinten | |
aufwärts katapultiert werden. Auftrieb erzeugt vor allem das Schlagen des | |
großen vorderen Segels, die seitlichen Schwimmhäute dienen mehr zur | |
Stabilisierung der Schwimmlage. Die Tiere schwimmen vor allem mit senkrecht | |
gehaltenem Körper, mit dem Vorderende nach unten. „Enypniastes eximia“ | |
wurde 1874 von der Challenger-Expedition, der ersten Meeresexpedition zur | |
Erforschung der Tiefsee, entdeckt. Der Erstbeschreiber, der Schwede Hjalmar | |
Théel, benannte die Gattung nach dem griechischen Ausdruck für Träumer. | |
Es gibt da unten aber einige weitere Seegurkenarten, die auch nicht wie | |
Gurken aussehen. Die „Psychropotes“ zum Beispiel, sie sind lila und ähneln | |
mit ihrer aufrechten Schwertflosse einem winzigen Killerwal. Oder die | |
„Elasipodia“: Sie sieht wie eine Tiefseekrake aus, hat ein Dutzend | |
Mundtentakel und keine Wasserlungen. Ihr Enddarm besitzt einen | |
Blindschlauch, der nach vorne gerichtet ist. Entlang der Längsachse ihres | |
Körpers hat sie einen Hautsaum, der sie durch wellenförmige Bewegungen | |
vorantreibt. | |
Es gibt ferner eine Seegurkenart, die einer Qualle ähnelt, eine andere | |
einer im Wasser treibenden roten Eichel, eine dritte einer zerfransten | |
Plastiktüte, eine vierte ähnelt einer durchsichtigen Nacktschnecke. Es gibt | |
außerdem weiße Seegurken mit gelben Pocken und rote mit lauter Hörnern am | |
Körper. | |
Im deutschen Zentralorgan der Zeugen Jehovas, dem Wachtturm, schreibt ein | |
frommer Mitarbeiter aus Fidschi: „[2][Wir verdanken den Seegurken | |
unglaublich viel, denn mit ihren] unermüdlichen Hausmeisterarbeiten tragen | |
sie zur Gesunderhaltung der Meere bei. Diese erstaunlichen Staubsauger des | |
Meeres machen dem, der sie geschaffen hat, auf ihre leise, ruhige Art alle | |
Ehre! (Psalm 104:24,25).“ Das gilt laut dem Autor auch für die | |
Seegurkenforscher. Halleluja! | |
20 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2F2016%2F14%2F… | |
[2] https://www.jw.org/de/bibliothek/zeitschriften/g20050908/Die-erstaunlichen-… | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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