# taz.de -- Die Wahrheit: Da! Ja, da! Nein, da! Daahaaa … | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (164): Über Tiere, die | |
> unsere Hinweise mit dem Zeigefinger verstehen oder auch nicht. | |
Bild: Der berühmte Fingerzeig Gottes von Michelangelo | |
John Steinbeck unternahm 1960 mit seinem Pudel Charley eine Fahrt durch die | |
USA in einem Wohnmobil. Über das Salinas Valley schrieb er ein Jahr später | |
in „Meine Reise mit Charley“: „Genau dort unten in dem kleinen Tal da habe | |
ich mit deinem Namensvetter, meinem Onkel Charley, Forellen geangelt. Und | |
dort drüben – schau, wohin ich zeige – hat meine Mutter eine Wildkatze | |
geschossen.“ Steinbeck zeigte so dem Hund „sein“ Amerika – aber verstand | |
Charley diese Geste überhaupt? | |
Der Humanethologe Boris Cyrulnik behauptet in seinem Buch über die | |
„Entstehung von Sinn bei Mensch und Tier“, dass Hunde, ebenso wie | |
Schimpansen auf den Zeigefinger zugehen, mit dem man ihnen eigentlich etwas | |
sonst wo zeigen wollte. Jagdhunde müssten lange dressiert werden, damit sie | |
dieses „Fingersignal“ verstehen. Von Natur aus sei ihnen „nur die | |
unmittelbare, den Sinnesreizen nächste Bedeutung zugänglich“. In diesem | |
Sinne könne man sagen, „dass die Schimpansen, eigentlich gesprochen, keinen | |
Zeigefinger haben“. | |
Das Menschenkind braucht eine ganze Weile, bis es diese Geste seiner | |
„Bezugspersonen“ versteht. Der Zeigefinger benötigt also ein soziales | |
Umfeld, um als Hinweis verstanden zu werden. Im Umkehrschluss heißt das, | |
dass Haushunde und in Gefangenschaft gehaltene Affen, auf die sich Cyrulnik | |
stützt, ein solches Umfeld nicht haben, sonst würden sie die „Zeigegeste“ | |
der Menschen verstehen. | |
Die Verhaltensforschung hat inzwischen jedoch festgestellt, das die | |
Haushunde fast als einzige Tiere nicht nur wissen, dass sie sich auf eine | |
Stelle konzentrieren sollen, auf die ihre Herrchen mit dem Finger zeigen, | |
es reicht ihnen bereits ein diskreter Blick als Hinweis. Der Hund hat sich | |
im Gegensatz zu den Affen „für den Menschen entschieden“, wie Daniel | |
Kehlmann sagt, und versteht deswegen, anders als gefangengehaltene | |
Schimpansen, auch dessen subtilste Zeichensprache. Das Leipziger | |
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat das jüngst noch | |
einmal empirisch bewiesen, wie man so sagt. | |
## Zeigefinger abgebissen | |
Bei den eingesperrten Schimpansen löst das Zeigen der Menschen sogar | |
Aggressionen aus: Im Westberliner Zoo biss einer, „Pedro“, dem Direktor | |
einen Zeigefinger ab. Zuvor hatte ein anderer Berliner Schimpanse seinem | |
„Dompteur“ in einer Affen-„Auffangstation“ bereits den zweiten Finger | |
abgebissen. Auch den Schimpansenforscherinnen Angelique Todd und Sue | |
Savage-Rumbaugh wurden ihre Zeigefinger abgebissen. Vielleicht haben die | |
Tiere dies aber auch gelernt? In einem Interview meinte die | |
Schimpansenforscherin Jane Goodall auf die Frage, ob Schimpansenmütter ihre | |
Kinder auch „physisch zurückweisen“ würden: „Normalerweise nehmen sie d… | |
Hand und beißen hinein. Nicht so, dass eine Wunde entsteht, aber dass es | |
spürbar ist. Das ist eine ganz typische Bestrafung. Und es gibt Mütter, die | |
das nicht können und die dann häufig verwöhnte Kinder haben.“ | |
Eher schon lernen die Menschenaffen die Bedeutung des „Stinkefingers“, so | |
wie die Deutschen sie nach dem Krieg lernten. Hier ist diese Geste im | |
Straßenverkehr noch immer eine „teurere“ Beleidigung als alle anderen Wut | |
ausdrückenden. Der Verleger Werner Pieper hat all diese „Gesten, Gebärden | |
und Beleidigungen“ in seinem Buch „Der stolze Finger“ (2013) | |
zusammengetragen. | |
Mittlerweile werden solche Gesten zunehmend auch metaphorisch gebraucht: im | |
„Fingerzeig“, den jemand der Polizei „gibt“. Oder der berühmte „Fing… | |
Gottes“, den erst Michelangelo als Übertragungsmedium malte, und der dann | |
aus bestimmten Felsformationen bestand, schließlich auch Wirbelstürme | |
umfasste, ferner eine spezielle Planetenkonstellation in der Astrologie | |
bedeutete, sowie in der neueren Kosmologie ein „Effekt bei der Beobachtung | |
von Galaxienhaufen“. | |
Im Internet bringt es der „Finger of God“ inzwischen auf 136 Millionen | |
Einträge. Bei einem beträchtlichen Teil ist davon leider (wieder) ganz | |
unmetaphorisch die Rede. Auch „Darwins Finger“ hat nicht wenige Einträge. | |
Charles Darwin selbst hat dem Vorschub geleistet – als er im Vorwort zu | |
seinem umfangreichen Buch über die Befruchtungsvorgänge bei britischen und | |
kontinentalen Orchideen den Lesern versicherte: Sowohl die Anhänger der | |
Idee von der Schöpfung Gottes als auch die einer materialistischen | |
Evolutionslehre werden in seinem Werk manches Brauchbares finden. Das | |
britische Internetportal „handresearch“ fand kürzlich heraus: „Darwin ha… | |
einen besonders langen Zeigefinger.“ | |
Im Oktober 2013 vermeldeten Kognitionsforscher der schottischen Universität | |
St. Andrews, dass sie etwas Neues entdeckt hätten – und zwar bei den | |
Elefanten: Diese seien nämlich durchaus „in der Lage, menschliche Gesten | |
korrekt zu interpretieren“, wie die Süddeutsche Zeitung unter der | |
Überschrift „Da!“ berichtete. Dabei sollen sich die Elefanten sogar | |
„geschickter“ anstellen als Hunde und Schimpansen. | |
## Zeigegeste gelernt | |
Den Gegenstand ihrer Forschung fanden die schottischen Wissenschaftler in | |
Südafrika: bei elf einst wild lebenden Elefanten eines | |
Touristikunternehmens. Bei den Tests – mit dem Zeigefinger der | |
Projektleiterin Anna Smet, mit dem sie auf einen Eimer Futter neben einem | |
leeren Eimer wies, – „erzielten die Elefanten eine Trefferquote von 67,5 | |
Prozent“. Die Schotten müssen dann anscheinend auch noch mit elf Kindern | |
diesen Test gemacht haben, denn weiter heißt es: „Einjährige Kinder | |
schaffen bei ähnlichen Aufgaben eine Quote von 72,7 Prozent.“ | |
Die Forscher vermuten, dass die Elefanten wegen ihres sozialen | |
Zusammenhangs in einer Herde (die SZ spricht von „komplexen Netzwerken“) | |
quasi darauf geschult sind, Gesten zu deuten, zudem könnten sie ihren | |
Rüssel vielleicht schon in der Funktion eines Zeigefingers benutzen. Die SZ | |
illustrierte ihren Bericht dann auch mit einem Foto von einem kleinen | |
Elefantenrüssel, der in Richtung eines großen Muttertieres „weist“, wobei | |
der „Finger“ am oberen Ende des Rüssels diesen Eindruck noch verstärkt. | |
Nur: Es handelt sich hierbei nicht um einen (süd)afrikanischen Elefanten, | |
sondern um einen asiatischen. Diese haben einen Finger am Rüsselende, jene | |
aber zwei. | |
Des ungeachtet heißt es am Schluss des Artikels: „Die Studie liefere auch | |
eine Erklärung dafür, warum Menschen schon seit Jahrtausenden Elefanten als | |
Arbeitstiere einsetzen können: Obwohl sie anders als Pferde, Hunde oder | |
Kamele nie darauf trainiert wurden, scheinen Elefanten, Menschen verstehen | |
zu können, schreiben die Forscher. ‚Elefanten ähneln uns kognitiv mehr als | |
bisher gedacht. Das versetzt sie in die Lage, unsere typische Angewohnheit | |
zu verstehen, auf Dinge in der Umgebung mit dem Finger zu zeigen‘, meint | |
der Forschungsleiter.“ | |
Wahr ist jedoch erst einmal, dass man im Gegensatz zu asiatischen | |
Elefanten, die dort als heilig gelten, mit afrikanischen Elefanten nie | |
gearbeitet hat, es wurde immer nur ihr Fleisch und ihr Elfenbein genutzt. | |
13 Feb 2023 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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