# taz.de -- Die Wahrheit: Ganz famose Schnuppertiere | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (162): Der Fall | |
> Schnabeltier – ein biologisches Wunder mit interessanter Kloakenfunktion. | |
Bild: Schnabeltiere finden lecker Nahrung durch Sensoren an der Oberfläche des… | |
Das in Australien an Flüssen und Seen lebende Schnabeltier hat, wie sein | |
Name sagt, einen Schnabel, aber auch Fell. Es legt Eier, doch säugt es | |
seine Jungen. Es hat Flossen wie ein Fisch, betreibt aber Lungenatmung. Die | |
Süddeutsche Zeitung fügt zu diesem „Tier mit der dreifachen Natur“ hinzu: | |
„Schnabeltiere können hervorragend schnuppern, elektrisch orten, sich mit | |
Gift wehren und zudem ohne Zitzen säugen.“ | |
Sie sehen aus wie „halb Ente halb Biber“, meint der Spiegel. Die | |
australischen Siedler nannten sie „Wassermaulwürfe“. Sie haben jedoch als | |
„Kloakentiere“, zu denen auch noch die australischen Ameisenigel zählen, | |
nichts mit jenen Insektenfressern gemein. Beim Kloakentier münden Enddarm, | |
Harn- und Geschlechtswege in einen gemeinsamen Ausführgang, der Kloake. | |
Als Ende des 17. Jahrhunderts das erste tote Schnabeltier bei europäischen | |
Wissenschaftlern ankam, hielten diese es zunächst für den Scherz eines | |
Tierpräparators – eine Art Wolpertinger. Das Kuddelmuddeltier, so lang wie | |
eine Katze, passte nicht in ihr Linné’sches Klassifikationssystem der | |
Arten. Es wurde zunächst in die Ordnung der „Bruta“ (Untiere) eingefügt u… | |
vorübergehend „Platypus“ genannt – „Breitfuß“, mit Schwimmhäuten z… | |
den Zehen und Giftstachel an den Fußgelenken der Männchen. | |
## Platypus, der erste seiner Art | |
Im Angloamerikanischen nennt man dieses Tier noch immer so und „zahllose | |
Produkte und Firmen mit australischem Bezug tragen heute ‚Platypus‘ im | |
Namen“. Das schreibt der Insektenforscher am Berliner Museum für | |
Naturkunde, Michael Ohl, in seinem Taxonomie-Buch „Expeditionen zu den | |
ersten ihrer Art“ (2022) – eine Anspielung auf Douglas Adams „Reise zu den | |
letzten ihrer Art“ (1992). | |
Laut Ohl war dieses „Mosaiktier“ eine „Herausforderung für die | |
Evolutionstheorie“, wobei sein Körperinneres dann noch weitere | |
Überraschungen bot: Den weiblichen Genitalien fehlt eine Gebärmutter, und | |
die Eileiter der Eierstöcke münden getrennt in die sogenannte Kloake. Für | |
die „Anti-Eier-Partei“ unter den Naturforschern gehörten Schnabeltiere (und | |
australische Ameisenigel) zu den Säugetieren. Sie bezweifelte deswegen, | |
dass diese Eier legen, während Lamarck und Saint-Hilaire dies nicht | |
bezweifelten, sie jedoch nicht zu den Säugetieren zählen wollten, weil sie | |
keine Milchdrüsen besitzen. | |
## Verlorene Drüsenschlacht | |
Die beiden Forscher verloren schließlich die „Schlacht der Milchdrüsen“, … | |
Umberto Eco. Zwar hat das Schnabeltier-Weibchen keine Zitzen, aber die | |
nackten und blinden Jungen lecken die Milch vom Bauch der Mutter ab. Auch | |
Richard Owen von der „Anti-Eier-Partei“ musste klein beigeben, obwohl er | |
1865 auf die Nachricht hin, dass ein Schnabeltier in Gefangenschaft zwei | |
Eier gelegt habe, zunächst davon ausgegangen war, dass ein Witzbold „zwei | |
Vogeleier in den Käfig gelegt hatte“. | |
80 Jahre lang wurde der Fall Schnabeltier verhandelt. Für den italienischen | |
Semiotiker Eco ist dieses Tier deswegen „wie geschaffen, um eine Theorie | |
der Erkenntnis zu prüfen“. Er veröffentlichte im Jahr 2000 ein dickes Buch | |
über „Kant und das Schnabeltier“. 2010 folgte dem ein Buch, das witzig sein | |
wollte: „Platon und das Schnabeltier gehen in eine Bar“. Damit | |
Sinneseindrücke einen Sinn machen, braucht es laut Eco ein „Schema“. | |
Das war jedoch im Falle des Schnabeltiers nicht vorhanden: „Denn wie sollte | |
man den Schnabel und die Schwimmhäute an den Pfoten mit dem Fell und dem | |
Schwanz eines Bibers in Einklang bringen, oder den Begriff Biber mit dem | |
eines eierlegenden Tieres? Und wie konnte man einen Vogel dort sehen, wo | |
man einen Vierfüßler sah, und einen Vierfüßler, wo man einen Vogel | |
erblickte?“ | |
## Sinnliche Anschauung | |
Obwohl Kant das Schnabeltier noch nicht kennen konnte, wäre er, so Eco, als | |
„Widerleger des Idealismus“ sich sicher gewesen, wenn er eine „sinnliche | |
Anschauung“ von dem Tier gehabt hätte, dass es wirklich „‚existiert‘, … | |
dass es also möglich sein mußte, es zu denken“. Die australischen | |
Aborigines haben das in ihrer Dyirbal-Sprache schon lange vor Kant getan. | |
Für sie gehören „das Schnabeltier, die Frauen, das Feuer und die | |
gefährlichen Dinge zur selben Kategorie“. | |
Uns und auch Eco bereitet eine solche Einordnung jedoch ähnliche | |
„Kopfschmerzen“ wie frühen Biologen das Schnabeltier bei seiner Einordnung | |
in ihr hierarchisches Tierreich. Inzwischen kommen noch Kenntnisse anderer | |
Völkerkosmologien (wie etwa die der Eskimos, Inder oder Japaner) hinzu. Sie | |
bestärkten den Ethnologen Philippe Descola in der Vermutung, „dass die Art | |
und Weise, wie das moderne Abendland die Natur darstellt, etwas ist, was in | |
der Welt am Wenigsten geteilt wird“. | |
Nehmen wir nur die alte chinesische Enzyklopädie, wie sie Jorge Luis Borges | |
1966 überliefert hat, in der die Fauna folgendermaßen geordnet wird: „a) | |
Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) | |
Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese | |
Gruppierung gehörende, i) die sich wie Tolle gebärden, j) die mit einem | |
ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, k) und so weiter, l) die | |
den Wasserkrug zerbrochen haben, m) die von Weitem wie Fliegen aussehen.“ | |
## Vereinzelter Ursäuger | |
Nachdem man das Schnabeltier glücklich in das westliche „System der Natur“ | |
eingeordnet hatte – mit dem Namen „Ornithorhynchus anatinus“ –, trug die | |
Forschung noch weiteres Wissen über diesen „Ursäuger“ zusammen. Es ist | |
einzelgängerisch und dämmerungsaktiv, sucht seine Nahrung (Würmer, | |
Insekten, Krebse und Muscheln) unter Wasser, hat (in Gefangenschaft) eine | |
Lebenserwartung von 17 Jahren und einen großen Schlafbedarf von täglich 14 | |
Stunden. | |
Da die Schnabeltiere ihre Augen beim Tauchen schließen, finden sie ihre | |
Nahrung mithilfe von Sensoren an der Schnabeloberfläche. Es ist ein | |
„elektrischer Sinn“, den wir nicht haben. Mit diesen „über 50.000 | |
Elektrorezeptoren“ spüren sie die „schwachen elektrischen Felder“ ihrer | |
Beute, schreibt der Wissenschaftsjournalist Ed Yong (in: „Die erstaunlichen | |
Sinne der Tiere“, 2022). | |
Im Schnabel haben sie darüberhinaus vier verschiedene „Mechano-Rezeptoren“, | |
wie wir auch, „die das Gefühl der Berührung erzeugen. Im Gehirn empfangen | |
aber dieselben Neuronen Signale von beiden. Das Schnabeltier hat also | |
vermutlich nur einen einzigen Sinn der Elektroberührung.“ | |
Auf Nahrungssuche, so Yong weiter, „nimmt es vielleicht das von einem | |
Flusskrebs erzeugte elektrische Feld wahr, bevor es das von ihm | |
ausgewirbelte Wasser spürt.“ Außerdem fand man heraus, dass sein Fell | |
fluoresziert, es leuchtet – in ultraviolettem Licht allerdings. „Das | |
Schnabeltier überrascht uns immer wieder“, meinte Gilad Bino, | |
Schnabeltierexperte an der Universität von New South Wales in Sydney | |
gegenüber nationalgeographic.de. | |
Unter den jüngsten Bränden in Australien haben die Schnabeltiere schwer | |
gelitten. Tierschützer haben sie wenigstens zum Teil retten können und in | |
den Zoo von Sydney gebracht. Dort gelingt es seit 1998, sie zu züchten. | |
16 Jan 2023 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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