| # taz.de -- Die Wahrheit: Gift, Gestank und andere Waffen | |
| > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (165): Wanzen sind | |
| > äußerst geschickt bei der Abwehr von Fressfeinden. | |
| Bild: Fast banal: Ritterwanze, Insekt des Jahres 2007 | |
| Wo die Liebe hinfällt: „Wanzen sind meine Lieblingstiere“, sagte die | |
| Biologin [1][Christiane Bramer] in ihrem Vortrag über afrikanische | |
| Raubwanzen, den sie auf Einladung des Berliner Insektenforschervereins | |
| „Orion“ vor einiger Zeit im Hörsaal des Naturkundemuseums hielt. Demnächst | |
| werde sie in Leipzig Evolutionsbiologie lehren, erzählte sie, sie hoffe | |
| jedoch, sich dort weiter mit Raubwanzen beschäftigen zu können. | |
| Christiane Bramer interessiert sich für die „hochspezialisierten“ unter | |
| ihnen. Ihre afrikanischen Raubwanzen produzieren Toxine gegen Fressfeinde. | |
| Es gibt bei den Wanzen mehrere Strategien zur Abwehr: Erstens Mimesis – | |
| sich dem Untergrund, Blätter oder Böden, anzuverwandeln, sich also | |
| unsichtbar zu machen. Zweitens das Gegenteil – sich eine auffällige | |
| Warntracht zuzulegen. Wie die hiesigen roten Feuerwanzen, die man oft in | |
| Trauben an Bäumen und Wegrändern findet. Einige Arten speichern außerdem | |
| Toxine, die sie ungenießbar machen. Die Fressfeinde lernen, sie in Zukunft | |
| zu meiden. Drittens die chemische Abwehrmittel – wie sie zum Beispiel die | |
| „Stinkwanzen“ produzieren. | |
| Diese sehen sehr schön bunt aus. Wenn es draußen kalt wird, kommen sie ins | |
| Haus. Sie sind völlig harmlos, nur nicht leicht einzufangen. Wenn das | |
| gelingt, soll man sie in der Natur aussetzen, rät der Naturschutzbund; weil | |
| sie aber gut fliegen können, sollte man gleichzeitig Türen und Fenster | |
| schließen. | |
| Christiane Bramers befasst sich mit Milchkrautwanzen, die | |
| Milchkrautpflanzen bevorzugen. Es gibt welche, die sogar auf diese Pflanzen | |
| angewiesen sind, um sich zu vermehren. Sie haben einen Stechrüssel, der | |
| schmerzhaft ist, wenn sie ihn einsetzen, aber es ist nicht ihre Hauptwaffe. | |
| Die besteht aus einem Wehrsekret, das sie sich bei Tausendfüßern holen. Sie | |
| umringen ihre Beute, und eine versucht, ihn daraufhin mit einem Stich zu | |
| lähmen, danach fallen alle Wanzen über die Beute her und saugen sie aus. | |
| ## Pulver | |
| Dabei nehmen sie auch das flüssige Gift des Tausendfüßers auf und arbeiten | |
| es zu Pulver um. Es hat dieselbe Zusammensetzung wie das alte Niespulver, | |
| das man vom Markt nahm, weil es gesundheitsschädlich war. Bei Gefahr | |
| schießen die Wanzen ihren Pulverstrahl aus zwei Drüsen wie ein | |
| Rasensprenger bis zu 50 Zentimeter weit. Um dessen Wirksamkeit zu testen, | |
| warf die Biologin einer Radnetzspinne eine ungiftige Wanze ins Netz, die | |
| sofort angenommen wurde, während eine giftige Wanze nach einem Probebiss | |
| aus dem Netz geworfen wurde. | |
| National Geographic berichtete 2019 über südamerikanische „Riesenwanzen“: | |
| Es sind Lauerjäger, die im Wasser leben, sie hängen kopfüber an Pflanzen | |
| und atmen über einen „Schnorchel“ am Hinterleib, unter anderem fressen sie | |
| Schildkröten, Entenküken und Giftschlangen. | |
| Lena schrieb mir: „Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ne kleine Wanze.“ Sie | |
| hat gerade ein Studium in Lyon angefangen, und in ihrem | |
| Studentenwohnheimzimmer fand sie „nicht eine, sondern ganz viele Wanzen – | |
| voll eklig!“ Sie zog vorübergehend in eine Pension, währenddessen kamen | |
| dreimal Kammerjäger, versprühten Insektenvernichtungsmittel, und sie musste | |
| ihre Kleidung dreimal heiß waschen. | |
| ## Wanze in Luxushotel | |
| Lena macht die mangelnde Sauberkeit im Studentenwohnheim für den | |
| Wanzenbefall verantwortlich. Ich nehme an, es handelte sich dabei um | |
| „Bettwanzen“, auch „Hauswanzen“ genannt, die zu den „Plattwanzen“ z… | |
| „Es ist ein Mythos, dass die Anwesenheit von Wanzen irgendetwas mit Schmutz | |
| und Dreck zu tun hat“, meint der Wanzenforscher Klaus Reinhardt aus | |
| Dresden. „Die sind genauso in Luxushotels wie in Hostels zu Hause.“ | |
| Es gibt keine Meldepflicht für sie, weil Bettwanzen keine Krankheiten | |
| übertragen. Bei einer Kreuzberger Firma – „Profis gegen Bettwanzen“ – | |
| kostet eine Bekämpfungsmaßnahme 220 Euro; wenn sie einen Spürhund einsetzt, | |
| kommen noch 120 Euro dazu. Ebenfalls in Kreuzberg klagte eine Mieterin | |
| kürzlich über Wanzen in ihrer Wohnung. Weil sie diese jedoch „auf keinen | |
| Fall chemisch, sondern biologisch“ bekämpfen lassen wollte, fand sich bis | |
| jetzt noch kein Kammerjäger. Und ich fand noch keine Literatur über das | |
| individuelle Dasein dieser kleinen Blutsauger, nur darüber, wie man sie | |
| alle tötet. | |
| Letzteres hat bereits den tuwinisch-mongolischen Schriftsteller [2][Galsan | |
| Tschinag] erbost, wie er in „Auf der großen blauen Straße“ (Unionsverlag | |
| Zürich, 2007) berichtet. Er studierte ab 1962 in Leipzig Germanistik und | |
| bezog ein Zimmer in einem Studentenwohnheim. Dort fielen ihm „einige kleine | |
| schwarze Tierchen“ auf dem Bettlaken auf, die er zunächst für deutsche | |
| Käfer hielt und wegschnippte. Aber dann besuchte ihn sein FDJ-Betreuer. Als | |
| der eines dieser Tierchen sah – auf einem Buch, das Tschinag gerade las, | |
| der das Insekt dann einfach vom Tisch wischte, rief er erschreckt: „Das ist | |
| ja eine Wanze – töten sollst du sie, schnell!“ | |
| ## Töten, töten, töten | |
| Diese Aufforderung, ein Lebewesen zu vernichten, traf das nomadische | |
| „Naturkind irgendwie unangenehm“, empört erwiderte es schroff: „Immer | |
| töten, töten – Faschismus!“ Der „Genosse Betreuer“ verließ daraufhin | |
| beleidigt das Zimmer. Galsan Tschinag musste erst im Wörterbuch nachgucken, | |
| was Wanzen für Tiere sind. Dabei fiel ihm ein, dass sie in den Jurten vor | |
| allem Läuse kannten, aber auch Wanzen waren ihm nicht ganz unbekannt, denn | |
| er hatte einmal gelesen, dass „der deutsche Faschist, der ein Haus | |
| besetzte“, sich derart vor ihnen ekelte, dass er die Bewohner als erstes | |
| auf Russisch fragte: „klop jest?“ Gibt es Wanzen? | |
| Und um deren „bisschen abscheuliches Leben“ hatte er nun die „Beziehung zu | |
| seinem Betreuer, einem Parteigenossen, verdorben …“ | |
| Sein „Mitgefühl für die ‚Käfer‘ schlug in ekelvollen Mordshass um“. … | |
| tötete alle Wanzen, die er erwischen konnte, und lief zum Heimleiter. Der | |
| sagte ihm, im ganzen Heim seien Wanzen, am nächsten Tag werde aber | |
| „gespritzt“. | |
| Nicht nur am nächsten Tag, sondern an neun weiteren Tagen wurde Tschinags | |
| „Zimmer bespritzt“, was ihm einige Tage und Nächte „Kopf- und | |
| Halsschmerzen“ bescherte. Die Wanzen blieben jedoch. Auch „nach dem zehnten | |
| Mal“ waren sie noch immer „quicklebendig“, deswegen sagte er der | |
| Kammerjägerin, zu ihm brauche sie nicht wieder zu kommen. „Worauf sie | |
| verständnisvoll nickte und erleichtert sagte: ‚Nicht wahr?‘“ | |
| Tschinag kaufte sich dann erstens eine „Federpistole mit Gummigeschoss“, | |
| womit er alle Wanzen „klatschte“, und schrieb zweitens eine Satire: | |
| „Deutschland, deine Chemie, deine Wanzen“. Der Heimleiter wollte mit ihm | |
| schimpfen, weil die zerquetschten Wanzen an den Wänden seines Zimmers | |
| Blutflecken hinterlassen hatten, aber Tschinag entgegnete ihm: „‚Typisch, | |
| das hier an Wände gedacht wird, und auch nicht ein bisschen an Menschen, | |
| wohl da diese nur Ausländer sind‘. Der alte Mann schüttelte müde den Kopf | |
| und ging.“ | |
| Als Galsan Tschinag mit Diplom zurück in die mongolische Hauptstadt | |
| Ulan-Bator reiste und dort eine Stelle als Deutschdozent antrat, wurde er | |
| zunächst „unter einem halb verfallenen feuchten Lehmdach untergebracht“, wo | |
| er am Morgen als Erstes „zwei feiste Wanzen die Wand emporkriechen sah“, | |
| was ihn zu der Einsicht zwang: „Auch wir haben Wanzen.“ | |
| 6 Mar 2023 | |
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| [1] https://www.umweltkalender-berlin.de/angebote/details/65106 | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Galsan_Tschinag | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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