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# taz.de -- Schmauchspuren beim Systemwechsel: „Eijentlich nischt jeändert“
> Wie ist dass, wenn ein Land in einem anderen Staat aufgeht? Die Kolumne
> „Wirtschaftsweisen“ blickt noch einmal zurück – und irgendwie auch nach
> vorn.
Bild: Reste der Grenzmauer der ehemaligen Staatsgerenze DDR/BRD gibt es im ganz…
In den frühen siebziger Jahren hatten wir uns noch manchmal den Spaß
erlaubt, wenn der Tagesspiegel mal wieder Verleumderisches über eine linke
Aktivität berichtet hatte, ein Flugblatt mit dem Logo der Zeitung zu
drucken und es auf dem Ku'damm und an der [1][TU] zu verteilen, in dem
diese sich für seine bösartige Berichterstattung bei seinen „lieben Lesern�…
entschuldigte – was am nächsten Tag einen noch böseren Bericht des
Tagesspiegels zur Folge hatte.
Ende der achtziger Jahre verging uns der Spaß. Das begann schon einen Tag
nach Öffnung der Mauer: Da traten Willy Brandt, Walter Momper,
Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl vor dem Schöneberger Rathaus auf und
langweilten uns mit getexteten Jubelreden. Als sie dann auch noch die
Deutschlandhymne anstimmten, wurde es uns (immerhin waren wir mehr als
10.000) zu viel: Wir pfiffen und buhten sie fast einstimmig nieder, so
laut, dass sie ihren Gesang abbrechen mussten.
Der [2][Sender Freies Berlin] nahm alles auf. Als er es sendete, war von
den tausendfachen Pfiffen und Buhrufen nichts mehr zu hören. Eine tolle
Leistung der SFB-Techniker, die dafür Überstunden abrechnen durften.
Die schon bald in Auflösung begriffene DDR wurde dann fast ausschließlich
unter dem Aspekt der „Stasi“ thematisiert und die materielle Substanz der
DDR grundsätzlich als „marode“ beschrieben. Dazu wurden bald auch sämtlic…
DDR-Bürger als von den Kommunisten infantilisiert begriffen.
## Diamanten-Collier für Margot Honecker
Die Ostberliner Publizistin Daniela Dahn hat in ihrem 2020 erschienenen
Buch „Tamtam und Tabu“ zusammen mit Rainer Mausfeld die übelsten medialen
Lügen gesammelt. Zum Beispiel vom Spiegel Hans Modrows Auslassungen in
Davos am Rande des Weltwirtschaftstreffens über den nahen Zusammenbruch der
DDR: „Auf Anfrage sagt Hans Modrow heute, er habe kein Wort davon gesagt.“
In einem langen Spiegel-Bericht über die angeblichen Machenschaften
[3][Alexander Schalck-Golodkowskis] findet sich im Dezember 1989 das
Faksimile einer Rechnung für ein Diamanten-Collier im Wert von knapp 10.000
DM für Margot Honecker, die das, wie sie wiederholt versicherte, jedoch nie
besessen habe.
Die Bild-Zeitung der Springerstiefelpresse ging natürlich noch weiter: „Von
wegen nett und bieder: Modrow ließ das Volk prügeln“, titelte sie sowie:
„Honecker hatte 100 Millionen auf dem Konto“, „Der flotte Egon“ (Krenz)
fuhr einen „Jaguar“ und trieb es mit „feschen Mädels aus der FDJ“,
„Leitende Stasi-Offiziere stahlen aus BRD-Briefen an DDR-Bürger in den
letzten drei Jahren 65 Millionen DM“ – auch dies eine Lüge der Bild, die
nach der Kohl-Reise zu Gorbatschow einen 34-tägigen
„Countdown-Abreißkalender“ bis zur „Freiheitswahl“ druckte.
## Günter Wallraff, Wolf Biermann etc.
Günter Wallraff erzählte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum
Tag der deutschen Einheit 2022, dass Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung
1976 bei ihm einzog und die beiden daraufhin von der Bild-Zeitung
„dauerüberwacht“ wurden – mit einer „Fangschaltung“, was die beiden …
erst später von einem bei Springer in Ungnade gefallenen Bild-Redakteur
erfuhren, der ihnen die Abhörprotokolle vorlegte.
Der „Whistleblower“ wurde seitdem seines Lebens nicht mehr froh: Man
bedrohte ihn mehrfach, schlug ihn zusammen, und am Ende wurde er tot in
seiner Wohnung aufgefunden. Er war CSU-Mitglied gewesen und Zuträger für
den von Nazis und Amis nach dem Krieg gegen den Kommunismus gegründeten
Bundesnachrichtendienst. Sein Mörder war wahrscheinlich, wie Wallraff in
dem FAS-Text vermutete, „ein noch lebender Nachrichtenhändler, der auch in
Krisengebiete Waffen flog“ (was jetzt alle EU-Staaten tun).
2019 hatte die Zeit die Ergebnisse der wohl letzten größeren Umfrage unter
Ostdeutschen mit der Schlagzeile veröffentlicht: „Die staatliche Willkür in
der DDR war auch nicht schlimmer als heute“, das meinten über 70 Prozent
der Befragten, und 41 Prozent behaupteten, „man konnte in der DDR offener
reden“.
Etwas lockerer sah das ein Müllmann von der Berliner Stadtreinigung, wo man
den Ost- und Westbetrieb zusammengelegt hatte. Er meinte auf die Frage des
SPD-Politikers Norbert Gansel, der in den Parlamentsferien bei der BSR
arbeitete, ob seine Tätigkeit nun anders geworden sei: „Eijentlich hat sich
nischt jeändert außer det Jesellschaftssystem.
21 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.tu.berlin/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Sender_Freies_Berlin
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Schalck-Golodkowski
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Kolumne Wirtschaftsweisen
DDR
Wende
Nachwendezeit
Die Wahrheit
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Schwerpunkt Stadtland
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