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# taz.de -- Vulkanausbruch der Antike neu bewertet: Klein, aber verheerend
> Kieler Forscher*innen zeigen, dass der Ausbruch in Santorini kleiner
> war als gedacht. Diese Erkenntnis kann helfen, Gefahren besser
> einzuschätzen.
Bild: Die Eruption war kleiner als gedacht, die Spuren sind bis heute gewaltig:…
Hamburg taz | Von Vulkanen geht eine fast mystische Kraft aus: rohe
Naturgewalt, verschollene Städte, brennender Stein. Für einige Menschen ist
dieses Lieblings-Kinderthema auch ein Beruf, so wie für den Geophysiker
Jens Karstens. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geomar
Helmholtz-Zentrum in Kiel. Zusammen mit einer Gruppe von Forscher*innen
hat er herausgefunden, dass eine der bekanntesten Vulkaneruptionen viel
weniger Volumen hatte als bisher gedacht. Das kann in Zukunft dabei helfen,
die Gefahr, die von [1][Vulkanen] ausgeht, besser einzuschätzen.
Um zu dieser neuen Erkenntnis zu kommen, hat das elfköpfige Forschungsteam
um Karstens 2019 zweieinhalb Wochen auf der „Poseidon“ im Mittelmeer
Schallwellen gemessen. Die „Poseidon“ war damals ein Forschungsschiff des
Geomar Helmholtz-Zentrums. Mittlerweile ist es nach 539 Forschungsfahrten
ausgemustert und hilft unter dem Namen [2][„Humanity 1“ Seawatch] bei der
Rettung Geflüchteter im Mittelmeer. Die Stimmung sei damals sehr gut
gewesen, das Team nett, Verpflegung und Wetter gut, erzählt Karstens – und
der vorerst letzte Lichtblick vor Pandemiebeginn: „Wir sind Ende Oktober
2019 eingelaufen, und dann kam direkt Corona.“
Dass das Forschungsteam ausgerechnet im griechischen Mittelmeer vor
Santorini seine Messungen durchführte, hat einen entscheidenden Grund. Vor
etwa 3.600 Jahren explodierte auf Santorini, damals Thera genannt, ein
Vulkan. Das nahe Dorf Akrotiri wurde unter Asche und Bimsstein für die
Ewigkeit konserviert, inklusive zweistöckiger Häuser und funktionierender
Toiletten. Akrotiri ist heute eine berühmte Ausgrabungsstätte.
Das Gestein rauschte ins Meer und löste einen zehn Meter hohen [3][Tsunami]
aus, der die Nordküste der nahen Insel Kreta für immer veränderte. Dieser
Ausbruch ist als die Minoische Eruption bekannt und zählt zu den am besten
erforschten Eruptionen weltweit, weil bereits im 19. Jahrhundert Interesse
daran bestand zu verstehen, was mit dem Dorf Akrotiri passiert sein könnte.
Trotzdem waren bisherige Schätzungen zur Größe der Eruption eher ungenau.
„Früher konnten Mächtigkeit und Volumen der Eruption nur grob geschätzt
werden, und diese groben Zahlen wurden dann weitergetragen“, sagt Karstens.
## Neue, genauere Messungen
Um zu den neuen Ergebnissen zu kommen, musste das Forschungsteam neben
Bohrkernen auch neue, genauere Methoden verwenden. Die könnten zum Vorbild
für ähnliche Messungen anderswo werden. Konkret sah das so aus: An der
„Poseidon“ wurde ein etwa 300 Meter langer Gummischlauch befestigt, der mit
Öl gefüllt durch das Wasser des Mittelmeers gezogen wurde. Der Schlauch
selbst hatte einen Durchmesser von etwa sechs Zentimetern, und darin wurden
Unterwasser-Mikrofone befestigt.
Während die „Poseidon“ sich in Schrittgeschwindigkeit fortbewegte, ließen
die Forscher*innen alle paar Sekunden Luftblasen mit einer Luftpresse
ins Wasser. Diese implodierten unter der Oberfläche, Schallwellen breiteten
sich aus, wurden zum Teil vom Meeresboden reflektiert und trafen dann auf
den mit Öl gefüllten Schlauch und die Hydrophone darin. Das funktioniert so
ähnlich wie Computertomographie im Krankenhaus. Die Schalldaten wurden
gespeichert und von den Forschenden aufbereitet.
Das Ergebnis: eine ziemlich genaue Karte des Meeresbodens um Santorini.
Daran abzulesen ist zum Beispiel, welchen Weg die Lavaströme nach der
Explosion ins Meer genommen haben. Und treppenförmige Strukturen zeigen,
dass Gestein von der Flanke des Vulkans ebenfalls ins Meer gerauscht ist.
Auch das Volumen der Gesteinsmassen kann man anhand dieser Karten erkennen.
Jens Karstens und sein Team schätzen das bei der Eruption freigesetzte
Magma auf 26 bis 41 Kubikkilometer. Das ist zwar immer noch eine
unvorstellbare Menge, schließlich beinhaltet ein Kubikkilometer eine
Billionen Liter. Aber es ist bei Weitem nicht so viel, wie bisher
angenommen wurde. Viele Schätzungen gingen bis dato von der doppelten
Magma-Menge aus.
Ein Grund zur Beruhigung ist das allerdings nicht, denn wenn die Eruption
kleiner war als gedacht, dann haben auch kleinere Ausbrüche eine
verheerende Wirkung. Deshalb sei die Studie des Geomar Helmholtz-Zentrums
so wichtig, sagt Karstens. Um das Risiko künftiger Ausbrüche einschätzen zu
können, müsse man zunächst genaue Zahlen zum Verlauf vergangener Eruptionen
haben. Das gelte nicht nur für die Minoische Eruption: „Auch andere große
Eruptionen sind schlecht bestimmt“, sagt Karstens.
[4][Pompeji] im Jahr 79, der Ausbruch des Unterwasservulkans [5][Hunga
Tonga] 2022 im Pazifik und auf [6][La Palma] im Jahr davor – Vulkane machen
Menschen Angst. Scheinbar ohne Vorwarnung verschwört sich die Erde gegen
ihre Bewohner*innen, spuckt brennendes, flüssiges Gestein in den Himmel,
zerstört Existenzen und vernichtet Leben.
Richtig einzuschätzen, wann ein Vulkan zur Gefahr werden kann, ist eine
schwierige Aufgabe. Noch schwieriger, sagt Karstens, sei die Kommunikation
der Gefahreneinschätzung. In der Nähe von Santorini befindet sich noch ein
weiterer Vulkan namens Kolumbos, sieben Kilometer nordöstlich der Küste auf
dem Grund des Mittelmeers. Unterhalb des Vulkankraters scheint sich erneut
Lava zu befinden. 1650 hatte Kolumbos einen Tsunami ausgelöst und giftige
Gaswolken in die Luft über Santorini gespuckt.
## Schwierige Prognose
Trotzdem, sagt Jens Karstens, bestehe kein Grund zur Sorge. „Ein Erdbeben
geschieht ohne Vorwarnung, aber ein Vulkan meldet sich in der Regel, bevor
er ausbricht.“ In der Ägäis werde hart daran gearbeitet, die dortigen
Vulkane zu überwachen. Außerdem seien die meisten Vulkanausbrüche nicht
gefährlich. Trotzdem werde in einigen Medien vor der nächsten
bevorstehenden Vulkankatastrophe gewarnt. So veröffentlichte der Guardian
Ende Januar dieses Jahres einen Artikel über eine bevorstehende Eruption
des Kolumbos. Dem sei aber nicht so. Die Kolleg*innen in Griechenland
hätten einigen Aufwand betreiben müssen, um die Panik der Bevölkerung zu
befrieden.
Jens Karstens sagt, er sei trotzdem froh, dass die neuen Ergebnisse
außerhalb seines wissenschaftlichen Umfelds wahrgenommen würden – und das
nicht nur in Deutschland: „Unsere Forschungsergebnisse trafen auf großes
Interesse in Griechenland. So wurde in der größten Tageszeitung Kathimerini
darüber berichtet.“ Zu den lokalen Wissenschaftler*innen in
Griechenland hätten sie ein gutes Verhältnis, sagt er. Das Forschungsumfeld
sei dort sehr offen und international, alle Beteiligten an engagierter
Forschung interessiert. „Es sind Nachfolgeprojekte mit den Kolleg*innen
in Griechenland geplant.“
22 Jul 2023
## LINKS
[1] /Ausbruch-des-Vulkans-Mauna-Loa-auf-Hawaii/!5898844
[2] /Gefluechtete-in-Italien/!5927808
[3] /Bericht-der-Atomenergiebehoerde-IAEA/!5941891
[4] /Neuer-Fund-in-Pompeji/!5813367
[5] /Nach-Vulkanausbruch-bei-Tonga/!5828666
[6] /Insel-La-Palma-nach-Vulkanausbruch/!5881844
## AUTOREN
Lisa Bullerdiek
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