Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns: Für ein paar Cent mehr
> Der Mindestlohn steigt 2024 nur um 41 Cent – trotz Inflation. Die
> Gewerkschaften melden Protest an. Die Linkspartei nennt es „eine
> Katastrophe“.
Bild: Auch in der Gastronomie arbeiten viele zum Mindeslohn
Berlin taz | Der Mindestlohn wird 2024 auf 12,41 Euro angehoben, [1][2025
auf 12,82 Euro]. Das verkündete die Vorsitzende der Mindestlohnkommission,
Christiane Schönefeld, am Montag früh. In der Kommission waren zuvor
zwischen Arbeitergebern und Gewerkschaften die Fetzen geflogen. Man hatte
mehr als 12 Stunden bis Montagmorgen getagt. Und zum ersten Mal fiel die
Entscheidung nicht im Konsens.
Stefan Körzell, DGB-Vertreter in der Kommission, nannte das Ergebnis
„absolut nicht zufriedenstellend“. Die geringe Erhöhung um 3,4 und 3,3
Prozent bedeute angesichts der hohen Inflation „einen enormen
Reallohnverlust für sechs Millionen ArbeiternehmerInnen“. Betroffen seien
vor allem Frauen und der Osten. Die Kommission habe ihren gesetzlichen
Auftrag ignoriert, für einen Mindestschutz für Beschäftigte zu sorgen.
Gerade jene, die wenig haben, seien besonders hart von der Preissteigerung
betroffen. Körzell deutete die geringe Erhöhung als politischen Racheakt
der Unternehmen. „Der jetzige Vorschlag ist eine Revanche für die 12 Euro
Mindestlohn des Staates.“ Die Ampel hatte die Untergrenze zuletzt – an der
Kommission vorbei – zum Herbst 2022 von 10,45 auf 12,00 Euro angehoben. Das
war ein zentrales Wahlversprechen der SPD gewesen.
Die Kommission, so Körzells Kritik, habe „einen Rechentrick angewandt,
nämlich die Erhöhung nicht auf die 12 Euro Mindestlohn aufgesetzt, sondern
auf die 10,45 Euro“, die zuvor galten. Deshalb könne der DGB die
Entscheidung nicht mittragen. Sein Veto bezeichnete Körzell als
„historisch“. Die Gewerkschaften werden aber nicht aus der Kommission
aussteigen.
## Armutsschutz nicht Aufgabe der Kommission
Steffen Kampeter (CDU), Vertreter der Arbeitgeber, verwies darauf, dass man
sich wie vorgeschrieben an der Steigerung des Tariflohns orientiert habe.
Der sei von Oktober 2022 bis Juni 2023 um 2,3 Prozent gestiegen. Auch
Kampeter bemerkte, dass es „[2][eine gewisse Enttäuschung“] über die
geringe Erhöhung gebe. Das aber sei Schuld des Erwartungsmanagements der
Gewerkschaften. „Wut ist ein schlechter Ratgeber“, so Kampeter. 12 Euro
seien „kein gelungener Eingriff des Staates gewesen“. Im Übrigen sei es der
Job der Kommission, allein aus den Lohnerhöhungen der Vergangenheit
spiegelbildlich die Erhöhungen des Mindestlohns für die Zukunft zu
berechnen. Die Mindestlohnkommission, so Kampeter, sei „kein
Reparaturbetrieb für Inflation oder andere sozialpolitische Probleme“.
Die Vorsitzende Christiane Schönefeld, Zünglein an der Waage, teilt diese
Position offenbar. Armutsschutz sei nicht die Aufgabe der Kommission, so
Schönefeld. Der Wirtschaftsweise Achim Truger sagte der taz, dass der
ausdeutbare Auftrag der Kommission ein Problem sei. Die Mindestlohnhöhe
sollte sich „an 60 Prozent des Medianlohns orientieren. Das hätte dann
einen Zusammenhang zur Armutsrisikoschwelle, die nicht mehr unterschritten
würde.“
Wie tief der Streit zwischen Arbeitergebern und DGB geht, zeigte eine
Randnotiz. Kampeter behauptete, der Mindestlohn steige um fast 6 Prozent
pro Jahr, Körzell korrigierte ihn: 6 Prozent bezögen sich auf zwei Jahre,
nicht auf ein Jahr. Offenbar waren in der Kommission grundlegende Zahlen
umstritten.
## Ball liegt beim Arbeitsminister
Die Union hält den geringen Anstieg des Mindestlohns für richtig. Gitta
Connemann, CDU-Wirtschaftspolitikerin, lobte die Erhöhung als Ausweis
„staatspolitischer Verantwortung und tarifpolitischer Vernunft“. Die
Arbeitsmarktexpertin der Linksfraktion, Susanne Ferschl, sagte der taz
hingegen, die Entscheidung sei „eine Katastrophe. Das reicht nicht, um die
Inflation zu kompensieren.“ Dass der Mindestlohn Jobs kostet, hält Ferschl
nicht für plausibel. „Diese Angst wird bei jeder Mindestlohnerhöhung
geschürt und hat sich nie bestätigt.“ Der Ökonom Achim Truger hält die
geringe Erhöhung auch wirtschaftlich für schädlich. Zu befürchten seien
„massive Reallohnverluste, die den ohnehin schwächelnden privaten Konsum
weiter schwächen dürften“.
Für Susanne Ferschl (Linke) „liegt der Ball jetzt bei dem Arbeitsminister“.
Doch Hubertus Heil (SPD) wird sich wohl an das übliche Verfahren halten und
die Entscheidung umsetzen. Die Alternative – ein politisch beschlossener
höherer Mindestlohn – würde ohnehin an der FDP scheitern. Und wohl an der
SPD. Martin Rosemann, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Fraktion, hätte
zwar ein höheres Ergebnis begrüßt. Aber die Ampel habe beschlossen, so
Rosemann zur taz, dass „die Anpassung wieder in die Hände der
Mindestlohnkommission gegeben wird“. Die Erhöhungen des Mindestlohnes
inklusive der vorigen auf 12 Euro seien „ein wichtiger Faktor für den
Schutz vor Armut, insbesondere auch Altersarmut“. Also eigentlich alles in
Ordnung. Das dürften die Gewerkschaften anders sehen.
26 Jun 2023
## LINKS
[1] /Erhoehung-des-gesetzlichen-Mindestlohns/!5942909
[2] /Anpassung-des-Mindestlohns/!5939075
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Mindestlohn
Gewerkschaft
Ampel-Koalition
Hubertus Heil
Bundesarbeitsministerium
Bezahlung
Ampel-Koalition
Mindestlohn
Mindestlohn
Inflation
Mindestlohn
Lesestück Recherche und Reportage
Sozialdemokratie
## ARTIKEL ZUM THEMA
SPD-Chef und seine Idee zum Mindestlohn: Was Klingbeil verschweigt
Die Bundesrepublik muss die EU-Mindestlohnrichtlinie spätestens 2024
umsetzen. Das Versagen der Ampel ist, dass sie es nicht bereits getan hat.
Bis zu 14 Euro pro Stunde: SPD für höheren Mindestlohn
Das Leben ist teuer, höhere Löhne nötig: Die SPD will für Linderung sorgen,
doch die FDP ist gegen eine Erhöhung. Bedauern kommt von den Grünen.
Erhöhung des Mindestlohns um 41 Cent: Wo bleibt die Aufregung?
Die Mindestlohnerhöhung ist so minimal, dass sie einen Reallohnverlust
bedeutet. Wer das berechnet hat und was Gewerkschaften sagen.
Ifo-Institut meldet Zahlen für Juni: Teuerung bei Lebensmitteln ebbt ab
Die Preise für Lebensmittel klettern seit etwa zwei Jahren nach oben. Jetzt
zeichnet sich laut Experten eine Entspannung ab, besonders in der
Chemieindustrie.
Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns: Minimal mehr Mindestlohn
Sozialverbände hatten einen großen Sprung auf 14 Euro gefordert. Nun soll
das gesetzliche Minimum nur um 82 Cent steigen. Und auch das nur in zwei
Schritten.
Urteil zu Gefangenenvergütung: Was Häftlinge verdienen
Ist es angemessen, für einen Stundenlohn von 1,78 Euro arbeiten zu müssen?
Am Dienstag entscheidet Karlsruhe über eine Klage von Häftlingen.
Linke Parteien in der Krise: Das böse Erwachen
Die moderat linken Parteien Europas stecken in der Krise. Daraus lässt sich
lernen: Solides Regierungshandwerk ist besser als zu viel
Sendungsbewusstsein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.